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NICHT NUR ERBEN...

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Dichtung und Kunst, anderwärts in Europa oft schon in pure Artistik ausgeartet, ringen in Griechenland heute noch um den Anschluß an moderne Entwicklungen. In der Literatur spiegelt sich das vielleicht am deutlichsten. Genauso wie früher Knut Hamsun, Ibsen, Nietzsche die gesellschaftskritische Prosa Griechenlands beeinflußt hatten, werden seit etwa 1930 die Themen und Ausdrucksmittel der jüngeren abendländischen Generation anvisiert. Kafka, Sartre und sein existenzialistisches Gefolge beginnen durchzuschimmern. Auch nach dem zweiten Weltkrieg beherrschen die inzwischen zur Reife gelangten Schriftsteller der dreißiger Jahre im großen und ganzen das Feld. Allen voran Nikos Kazantzakis, der, ohne mit der überlieferten Realistik zu brechen, einen eigenen epischen Stil schuf. Mit ihm setzen sich aber auch andere, in Westdeutschland bislang noch weniger bekannte Erzähler durch. Ihre Vielfalt nach Gegenstand und Form ist um so größer, als einige noch offensichtlich von der das 19. Jahrhundert beherrschenden „katharewussa“, der Gelehrtensprache, gebannt sind, andere wiederum, dem mutigen Dichter und Sprachwissenschaftler Jannis Psycharis („Meine Reise“, 1888) folgend, das volkstümliche Griechisch pflegen.

Joannis M. Panajötopoulos (geb. 1901), eine führende Begabung, zeichnet sich durch beinahe schon vollendete platonische Dialoge aus. In seinem 1956 erschienenen Roman „Die Siebenschläfer“ streitet ein frischgetaufter junger Grieche in sanfter Schwermut mit seinem heidnisch gebliebenen Freund über das Für und Wider des Christentums. Das fließt alles in schöner Ungezwungenheit, aus feinspürig gehütetem klassischen Blutserbe heraus. Archaisches Erleben pulst auch in dem Werk von Elias Venesis (geb. 1904 in Anatolien), der sowohl zur Akademie der Wissenschaften in Athen wie auch zum Vorstand des dortigen Nationaltheaters gehört. Dem deutschen Sprachraum stellte er sich mit der Ubersetzung des Romans „Äolische Erde“ (1949) und ausgewählten Erzählungen (1959) vor. Mit wenigen Strichen weiß er, hierin Kazantzakis nicht unähnlich, das Urgrauen und die noch unverfälschte Beseligung seiner dörflichen Laridsleute einzufangen. Der Ton bleibt freilich seltsam kühl. Ergriffenheit wirkt oft wie sorglich abgefiltert — ein Zug, dem wir übrigens auch in der neuhellenischen Lyrik begegnen.

Eines der ursprünglichsten Erzählertemperamente ist der nun schon 70jährige Alkibiades Jannopoulos, der seit 1959 auch als Redakteur der ..Bulletins de Bibliographie Hel-lenique“ hervortritt. In seinen erinnerungsfreudigen Schilderungen von Bürgermilieus klingt Marcel Proust auf, ohne daß er sich aber auf dessen weitvorgetriebenes Psychologi-sieren einläßt. Wehmut, rückwärtsgewandte Sehnsucht stellen sich oft gegen die Heiterkeit ewig durchsonnter Natur, deren Töchtern und Söhnen wir kaum melancholische Losungen wie diese zutrauen:

„Ich ziehe hin,

Tag in die Ferne

Mein armes bitteres Los.“ Aber das Gefühl der Heimatlosigkeit scheint bei den Poeten ein internationales geworden. Erschütternd schlägt es auch bei den Neugriechischen hervor, die in der Diktion Verwandtschaft mit Heinrich Boll oder Dino Buzzati erkennen lassen. Der schon 1960 in mittlerem Alter verstorbene Athener Mitsos Karagatis, dessen Hoffnungslosigkeit nicht durch das Studium der Juristerei angewärmt worden sein dürfte, fahndet unter Vor- und Großstadttypen nach einem Stück Seele. In einem Arbeiter, der Katzen von seinem schmalen Lohn füttert, könnte sie gefunden sein. Als aber der dann einer Dirne in die Hände fällt, wenden sich auch die Tiere von ihm ab.

Immer mehr dringt auf der westlichen Erdhälfte das kritische Essay nach vorne und so auch in Griechenland. Im Bereich von Kultur und Literatur haben sich hier besonders auch Professor K. Tsatsos und Professor P. Kanellopoulos (Europäische Geschichte) verdient gemacht. In beiden Fällen haben wir es mit einem bei uns leider nur wenig kultivierten Brückenschlag zwischen Universität und Politik zu tun. Tsatsos, unter der Regierung Karamanlis Botschafter in Bonn, hält auch an der Heidelberger Universität Vorlesungen. Kanellopoulos, beim Volke überaus beliebter Kopf der Nationalradikalen Union (ERE), hat unter anderem ein in bemerkenswert elegantem Deutsch geschriebenes Büchlein über Mistra verfaßt. Auch der Sohn Papandreous hat eine Zeitlang eine Dozentur an der Havard-University in den USA innegehabt. Heute steuert er, wie man weiß, einen extrem anderen Kurs.

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