Nicht nur für Opernfreaks

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Die Autobiografie Ioan Holenders erzählt auch von der politisch bewegten Jugendzeit des Staatsoperndirektors.

Dass in Österreich der Tag der Befreiung am 27. April begangen wird, haben weder Historiker noch Politiker entschieden - sondern der Direktor der Wiener Staatsoper. Für 1995, 50 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches, planten die Republik und die Staatsoper einen großen Festakt. Bundeskanzler Franz Vranitzky wollte eine Kommission einsetzen, um das historisch korrekte Datum zu ermitteln, doch Staatsoperndirektor Ioan Holender hatte schon den 27. April ins Auge gefasst, denn da hatten Placido Domingo, José Carreras und Edita Gruberova gerade Zeit. Also wurde der 27. April offizieller Gedenktag. Nachzulesen in der jüngst erschienenen Autobiografie Holenders.

Ioan Holenders selbst erzählte Lebensgeschichte - bearbeitet von der Historikerin Marie-Theres Arnbom - ist ein Muss für Opernfreunde, ist aber auch für Leser von Interesse, die keine Opernfreaks sind. Vor allem die ersten drei Kapitel bis zur Ausreise aus seiner Heimat Rumänien liefern einen spannenden Einblick in die hierzulande kaum bekannte Geschichte eines Landes, das teilweise einmal zur Donaumonarchie gehörte. Die folgenden Abschnitte geben einen Einblick in die Entwicklung der Oper in den letzten 40 Jahren, ohne sich in launigen Sängeranekdoten - "Als damals der Soundso zu spät aufgetreten ist ..." - zu verlieren. Und nicht zuletzt gibt das Buch Aufschluss über Persönlichkeit und Anschauungen jenes Mannes, der seit nunmehr neun Jahren die Geschicke eines der bedeutendsten Opernhäuser der Welt leitet.

Der 1935 geborene Holender wuchs in einer politisch bewegten Zeit auf: 1940 musste Rumänien die Nordbukowina und Bessarabien an die Sowjetunion abtreten, ebenso Teile Siebenbürgens an Ungarn. Ein Jahr später errichtete Ion Antonesco, Führer einer halbfaschistischen Bewegung, eine Diktatur in Rest-Rumänien und verbündete sich mit Deutschland. Die an die Sowjetunion verlorenen Gebiete wurden zurückgewonnen. Am 23. August 1944 putschte König Michael I., Rumänien kämpfte nun auf der Seite der Alliierten gegen Deutschland. Von 1945 an wuchs der Einfluss der Kommunisten ständig, bis schließlich 1947 die Volksrepublik ausgerufen wurde.

Unter Antonescu wurden antijüdische Gesetze erlassen. Holender, Sohn einer jüdischen Bürgerfamilie, der sich selbst "weder innerlich und schon gar nicht äußerlich" zum Judentum hingezogen fühlte, war plötzlich ein Mensch "schlechter Abstammung". Doch Holender und viele andere rumänische Juden hatten Glück: Während aus den rumänischen Gebieten, die unter ungarischer Hoheit standen, 35.000 Juden nach Auschwitz deportiert wurden und es in den von der Sowjetunion zurückgewonnenen Gebieten zu Massenexekutionen von Juden kam, die mit den Sowjets sympathisiert hatten, blieben die Juden im rumänischen Kernstaat relativ unbehelligt. Es fanden "Rumänisierungen" statt, so wie in Österreich Arisierungen - mit einem großen Unterschied: "Rumänisiert bedeutete, dass die Villa meines Großvaters nicht mehr meinem Großvater, sondern einem Herrn Dr. Delamunte, einem rumänischen Bürger, gehörte. Dieser bekam ein gewisses Entgelt dafür, dass er das auf sich nahm, aber selbstverständlich weder dort wohnte noch davon profitierte und die Villa nach dem Bruch 1944 sofort zurückgab. Eine typisch rumänische Eigenschaft: Wir nehmen ein Scherzel vom Brot, aber wir nehmen nicht das ganze Brot weg", schreibt Holender.

Schwerer hatten es Holender und seine Familie als Menschen "ungesunder" - will heißen: bürgerlicher - Abstammung unter den Kommunisten. Als der Ingenieurstudent wegen einer "konterrevolutionären" Rede von der Universität verbannt wurde und sich als Tennislehrer durchschlagen musste, emigrierte er 1959 nach Wien, wo ein völlig neues Leben begann.

Schon immer war er opernbegeistert, nun lernte er Gesang. Seine Karriere als Opernsänger war zwar kurz, doch dann ergriff er jenen Beruf, der ihn zum späteren Operndirektor prädestinieren sollte: Sängeragent. Die Sänger sind für ein Publikum wie jenes der Wiener Staatsoper das Um und Auf. Und Holender erwarb während seiner Tätigkeit als Vermittler ein Wissen über Stimmen und Sänger, wie es kein Theatermanager je erwerben kann: Er hört völlig unbekannte Sänger und erkennt sofort, ob er einen zukünftigen Star vor sich hat, er weiß um die Entwicklung von Stimmen und welche Partien diese Entwicklung fördern oder behindern. 1993, als sich Cheryl Studer kurzfristig aus der Premiere von "Hoffmanns Erzählungen" zurückzog, konnte Holender, der das geahnt hatte, dem Publikum eine junge und vollkommen unbekannte Sängerin präsentieren: Natalie Dessay. Als sie am Ende des Olympia-Aktes ein nicht komponiertes und wohl noch nie auf der Bühne gehörtes dreigestrichenes hohes G sang, geriet das Premierenpublikum in Ekstase und applaudierte fast die gesamte Pause durch.

Ein politischer Mensch ist Holender stets geblieben. Bei der zu Beginn angesprochenen Gedenkfeier hielt er eine vielbeachtete Rede, die im Anhang seiner Autobiografie nachzulesen ist. Er erinnerte an die 1938 aus der Staatsoper verjagten Künstler und auch daran, dass der letzte Staatsoperndirektor im Dritten Reich derselbe war, der zehn Jahre später die wieder aufgebaute Oper leitete. Die von Holender konzipierte Feier wurde zu einem bewegenden Ereignis. Bevor sich der Vorhang ohne Applaus, ohne Bedankungen, ohne Verbeugungen der zahlreichen Stars senkte, sang ein alter, gebrechlicher Bassist, der Theresienstadt und Auschwitz überlebt hatte, ein tschechisches Lied. Holender: "Sein Lebenstraum war es gewesen, an der Staatsoper zu singen, den konnten wir nun erfüllen. Einige Monate später starb er."

DER LEBENSWEG DES WIENER STAATSOPERNDIREKTORS

Von Ioan Holender

Böhlau Verlag, Wien 2001

232 Seiten, geb., öS 343,-/E 24,90

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