Nicht verunglimpft, nicht verklärt

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Den Rauriser Literaturpreis erhielt Katja Oskamp für ihren Roman "Halbschwimmer". Darin erzählt sie von ihren Jugendjahren vor und nach der Wende in der ehemaligen DDR.

Der Hamster meiner Kindheit hieß Rolf. Meine Eltern kauften ihn, weil ich ohne Geschwister auskommen musste." Katja Oskamp, 1970 in Leipzig geboren, beginnt ihre Geschichtensammlung unvermittelt, scheinbar unschuldig, mit gewollter Belanglosigkeit, um dann loszulegen.

Das Oberhaupt der Nachbarfamilie Wiedemeyer, ein gut riechender und sich weich anfühlender Kuschelmann, heißt ebenfalls Rolf, und wenn Tanja, die IchErzählerin behauptet, man sei mit Rolf und dessen Frau Elke befreundet, dann steckt dahinter ein weiteres Geheimnis, eine weitere, kleine Alltagslüge. Der Erzählraum der neun Textsequenzen ist begrenzt, niemand verliert sich hier vor dem Bühnenbild der DDR, der Achtziger- bzw. Neunzigerjahre. Tanja, die früher so gerne - mit offenen Augen - mit dem Vater getaucht ist, distanziert sich von ihm, dem hohen NVA-Offizier und seinem Ertüchtigungsideal, sie sucht die "wahre Liebe" und provoziert ihre Eltern mit Karl, dem kettenrauchenden Schauspieler.

Katja Oskamp stattet das enge Lebensumfeld ihrer Erzählerin mit kleinen Verstecken, Andeutungen, Verwirrungen und Unausgesprochenem aus. Es gelingt der in Berlin lebenden Absolventin des Leipziger Literaturinstituts vollkommene Einzelgeschichten zu konstruieren, die einen Roman ergeben: unaufgeregt, auf Details bedacht, in ruhigem Tempo, die Pointen gelassen ausspielend. "Jetzt aber roch es so ähnlich wie Weihnachten oder besser, wie Disko, nur gesünder", so der Auftakt der Geschichte "Herr O", in dem Tanja das Aufblühen ihrer Mutter bei den immer regelmäßiger werdenden Besuchen des Herrn Oschlies schildert: Herr O. hat eine Stimme wie Roger Whittaker, er "war voller Sympathie. Er wollte, dass meine Mutter eine liebe Tochter hatte." Oskamp platziert eine leere Flasche Rotkäppchensekt sowie zwei Zigarettenschachteln der Marke Duett scheinbar beiläufig am Schauplatz, dem Wohnzimmer, wo hinter vorgezogenem Vorhang die Mutter, Schuldirektorin, barfuß auf dem Sofa sitzend, mit Herrn O., einem Beauftragten für Wehrerziehung, Lehrpläne ausarbeitet. Die Beerdigung von Karl gestaltet die Autorin zur großen Schlussparade: zahlreiche Personen hält sie weiterhin im Klischee gefangen, während sie die Kraft ihrer Heldin ins Zentrum stellt, die Scheinwerfer der Erzählkunst gehen ein letztes Mal an, Tanja ist zurückgekommen, weint, verzeiht und stellt sich einem tiefen Blick in die Vergangenheit.

Halbschwimmer

Roman von Katja Oskamp

Ammann Verlag, Zürich 2003

87 Seiten, geb.,e 19,50

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