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Dieter Hildebrandt legt zum Schiller-Jahr ein Buch über Beethovens "Neunte Symphonie" vor.

Pünktlich zum Schiller-Jahr hat Dieter Hildebrandt sein Buch über "Die Neunte" vorgelegt. Geplant als Rettung des Anteils des Dichters am Weltruhm der Beethovenschen Symphonie, will das Buch den "widerständigen Gehalt" des Werkes rekonstruieren. Dazu bietet der Autor eine Fülle an Materialien. Das Buch ist eine wahre Fundgrube an Zeugnissen der Entstehungsgeschichte des Werks bis hin zu seiner globalen Rezeption. Auch die Vereinnahmungen durch die Nazi-Diktatur und der Fall Furtwängler kommen zur Sprache.

Am überzeugendsten und auch spannendsten gelangen die Kapitel über den Dichter, dessen Jugend in der "Militärischen Pflanzschule" Herzog Carl Eugens, die Schilderung der Uraufführung der "Räuber" und Schillers Flucht aus Stuttgart 1782. Informativ auch, von anfänglichen Schwächen abgesehen, die Interpretation des Schillerschen Gedichts, der Hinweis auf den Ursprung der Freudenode im Trinklied, sowie die Erläuterung der literarischen Rezeption in Thomas Manns "Doktor Faustus", wo der mit dem Teufel paktierende Adrian Leverkühn seine Klage-Kantate als Zurücknahme der Freudenhymne konzipiert.

Dass Hildebrandt, zumal er sich mehrfach auf Adorno beruft, jedoch ausschließlich biografische Deutungen vornimmt, als wäre ein künstlerisches Werk nicht mehr als unmittelbarer Ausdruck der Lebenssituation seines Schöpfers, befremdet. Leider bleibt dieses Manko nicht das einzige. So sehr der Autor Missverständnisse, Missbrauch und einseitige Bewunderung bemängelt - als eine der kuriosesten Anekdoten hat er das Maßnehmen an der Freudensymphonie für die Standardisierung der Länge der Compactdisc in den 80er Jahren durch den damaligen Sony-Vizepräsidenten Norio Ohga recherchiert -, so wenig kann er jedoch den Verdacht entkräften, dass das Buch selbst mehr Anteil am Kult des Meisterwerkes hat, als es zugeben möchte. Dazu trägt der oft aufgepeppt wirkende, klischeehafte Stil nicht unwesentlich bei: "Es war dieser Rest, der ihm den Rest gab", heißt es beispielsweise über den geringen Gewinn, der Beethoven nach der Uraufführung 1824 blieb. Weiters ist zu lesen, dass sich "Weltkunst als Allerweltskunst" offenbare oder "erlösend erlöst {...} der Ohrwurm in unser aller Muschel kuschelt". Bei so aufgesetzt "dialektischer" Rede, die der blumigen Rhetorik des hellenistischen Asianismus auch noch nach über 2300 Jahren alle Ehre machte, will nicht so recht Vertrauen in die Lauterkeit der proklamierten Autorenintention aufkommen.

Trotz der Fülle an Informationen, die auch einen kritischen Überblick über divergierende Analysen einschließen, welche, nebenbei bemerkt, allzu kühn als Zeichen für die Unfähigkeit der Musikwissenschaft gedeutet werden, mit dem Meisterwerk zu Rande zu kommen, beschleicht den Leser am Ende das Gefühl, man habe über Beethovens Musik eigentlich nichts, und schon gar nichts Neues, erfahren. Am meisten beunruhigt daran, dass Hildebrandt eine kritische Dimension völlig ausblendet, die der Symphonie im Laufe der Geschichte allerdings zweifellos zugewachsen ist: die berechtigte Frage nämlich, inwieweit der Freudenjubel in der Beethovenschen Version selbst geschichtlich ist und daher heute auch aus kritischer Distanz zu betrachten wäre. Und so greift der zweifelnde Leser schließlich doch wieder zu einem Standardwerk der von Hildebrandt geschmähten Musikwissenschaft: "Beethoven. Interpretation seiner Werke" (Laaber-Verlag 1994). Dort hat Wilhelm Seidel bereits vor mehr als einem Jahrzehnt schlüssig formuliert: "Wird hier die Musik nicht im Sinne Platons und seiner Geistesgenossen eingesetzt? Will sie nicht die Herzen der Menschen für die neue Ordnung der Menschen gewinnen, bevor sie fähig sind, sich frei zu entscheiden? Ist ihr Zugriff nicht total (und deshalb so leicht zu mißbrauchen)? Und vor allem: Wie geht sie mit ihren Gegnern um? Schiller hat sie nur des Raums verwiesen. Beethoven bekriegt sie. Auch für einen, der das Werk bewundert, ist es so unverständlich nicht, daß viele den Ausweg wählen, den ihnen Schiller weist, und weinend gehen."

Die Neunte

Schiller, Beethoven und die Geschichte eines musikalischen Welterfolgs

Von Dieter Hildebrandt

Hanser Verlag, München 2005

368 Seiten, geb, e 24, 90

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