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Nikolaus von der Flue

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Mit allem seinem Glanz umgab Sankt Peter zu Rom am Christi-Himmelfahrts-Tage die Heiligsprechung des großen Schweizers, der seinen Landsleuten -und der ganzen christlichen Welt ein Christsein vorgelebt hat, das die begnadete Macht hatte, an der Gestaltung des öffentlichen Lebens entscheidend mitzuwirken. Die vorliegenden Schweizer Berichte geben eine eindrucksvolle Schilderung des kirchlichen Ereignisses, das sich in Anwesenheit von fünftausend Schweizern, unter ihnen der vor der päpstlichen Sedia Gestatoria in gestickten Hirtenhemden einherschreitenden Nachkommen des heiliggesprochenen Nikolaus von der Flüe vollzog. In seiner in Deutsch, Französisch und Italienisch gehaltenen Ansprache, in der er weit über die Würdigung des persönlichen Lebens von Nikolaus von der Flüe hinausgehend, die Bedeutung dieses Schweizers für die Gegenwart umriß, sagte der Papst:

„Die Zahl der guten Christen ist heute nicht gering, die der Helden und Heiligen in der Kirche vielleicht größer als zuvor. Aber die öffentlichen Verhältnisse sind weithin zerrüttet Und das ist die Aufgabe der Kinder der Kirche, aller guten Christen, sich dieser Abwärtsbewegung entgegen zji st e rn tri e n und durch Bekenntnis wie Tat, in Beruf1 und m der Handhabung der Bürgerrechte, in Handel und Wandel, im täglichen Dasein dem G e. bot Gottes und Gesetz Christi wieder den Weg in alle Bereiche des menschlichen Lebens zu bahnen. Christliche katholische Schweizerl Hier liegt auch eure Aufgabe für euer Vaterland. Führt sie durch im Geist und in der Kraft von Bruder Klaus! Dann erst könnt ihr in Wahrheit sagen, daß er euer Heiliger ist.

Die Heiligsprechung ihres „Bruder Klaus“, die vollzogene kirchliche Ehrung, hat für die Schweiz die Bedeutung eines nationalen Ereignisses. Nikolaus von der Flüe ist doch so recht das christliche Vorbild in der gesamten Eidgenossenschaft, aufgerichtet an einer der bedeutungsvollsten Stellen Schweizer Geschichte. Wenn er, der 1*87 im Alter von 70 Jahren starb und 1669 selig gesprechen wurde, erst jetzt zur kirchlichen Heiligsprechung gelangt ist, so wohl gerade deshalb, weil er über die Stürme der Reformationszeit hinweg auch dem protestantisch gewordenen Teil der Schweizer als Symbol der Einheit inmitten aller Trennung stets teuer blieb und weil man früher diese Gefühle durch ein Betreiben der kirchlichen Kanonisation zu verletzen fürchtete. Inzwischen ist über den konfessionellen Gegensätzen der Gedanke von der großen christlichen Einheit in das Bewußtsein aller Christen zurückgekehrt. Heute, wo man die christliche Substanz als kostbares Erbe zu erkennen beginnt, sucht man nach der Gemeinsamkeit des Ausdrucks und nach dem Zeugnis eines solchen Lebens. So fand die Schweiz in ihren ernsten Tagen wieder zu dieser eigenartig großen Gestalt zurück, welcher es gelungen war, in den schweren Zeiten der Begründung der Eidgenossenschaft über alle trennenden Hindernisse die gemeinsame Aufgabe und Verantwortung allen Schweizern mit Erfolg vor Augen zu stellen. An seinem Geiste erprobte sich das Werk, das zu schaffen er durch die Kraft seiner Persönlichkeit mithalf und das heute mit dem Geist seines Ursprungs dem heutigen friedlosen Europa viel zu sagen hat. So hat die erstaunliche Bewahrung der Schweiz vor den Schrecken zweier Weltkriege, die man in christlichen Bevölkerungskreisen des ganzen Landes mit zunehmender Bestimmtheit dem besonderen Schutz und der Fürbitte des Klausners von der Ranftschlucht zuschrieb, schließlich alle solche Bedenken verscheucht und es nur noch als drängende Dankesschuld empfinden lassen, dem großen Helfer in der Not die längst fällige Ehre zu erweisen. Erleichtert wurde dieser Schritt durch die hervorragende wissenschaftliche Vorarbeit eines Landsmannes und fernen Nachkommen des Heiligen, des Robert Durrer, der, als Ergebnis jahrelangen, den strengsten kritischen Anforderungen genügenden Forschens, ein mächtiges zweibändiges Quellenwerk, „Bruder Klaus, die ältesten Quellen über den seligen Nikolaus von der Flüe“, Samen, 1917 bis 1921, vorlegen koaiwelWrJjeder Versuch; Bruder Klaus — in. dessen-,.Lehen e.s nicht wenig gibt,.,was zu^cinex voreingenommenen Aufgeklärtheit gar nicht passen will — als legendäre Gestalt zu stempeln, wird an dieser gewaltigen Leistung Durrers zunichte. Im hellen Licht der Geschichte, belegt durch Quellen, an deren Lauterkeit kein Zweifel besteht, liegt das Leben des Bruders Klaus vor uns. Wir können uns davon abwenden, weil es uns Dinge enthüllt, die wir nicht anzuerkennen belieben —, aber wir können sie nicht wegkritisieren.

Der erste, bis zum fünfzigsten Jahre des nachmaligen „Bruder Klaus“ währende Teil dieses Lebens unterscheidet sich kaum von anderen seiner Zeit und Umgebung'; “Er entstammt einer Obwaldener Bauernfamilie, die im Flüeli bei Sachsein ansässig war, übernahm, zu Jahren gekommen, das elterliche Erbe, lebte in glücklicher, durch zehn Kinder gesegneter Ehe, genügte, als die Umstände es ergaben, seiner heimatlichen Soldatenpflicht, und bekleidete nacheinander in seiner Heimatgemeinde die Ämter eines Ratsherrn, Richters -und Tagsatzungsgesandten. Einige Dinge sind es, die aber doch schon in dieser Zeit — wenn man für seine spätere Entwicklung nach Voraussetzungen Ausschau hält — Beachtung verdienen: seine unbeirrbare Rechtlichkeit und sein auch für einen frommen Bauern außergewöhnlich intensives religiöses Leben.

Die restlichen, beinahe 20 Jahre seines Lebens verbrachte Nikolaus dagegen als Einsiedler. ^Vorangegangen war eine Zeit innerer Krisen, die durch ein jähes Hereinbrechen der Übernatur in sein bisheriges Dasein gekennzeichnet ist. Insbesondere drängten ihn bedeutsame Gesichte, alles zu verlassen, um fortan Gott allein zu dienen. Durch seinen geistlichen Berater, den Pfarrherrn von Kriens, Haimo fm Grund, wurde er dahin belehrt, daß er einen solchen Schritt nur mit Einwilligung seiner Ehefrau und seiner Familie tun könne, die ihm auch nach anfänglichen Einwendungen vollkommene Freiheit gaben. Nach einem Versuch, sich den „Gottesfreund^n“ im Elsaß anzuschließen, erkannte es Nikolaus als seine Aufgabe, in nächster Nähe seiner bisherigen Wohnstäfe zu bleiben, doch in völliger Einsamkeit und Enthaltsamkeit als „Waldbruder“ ein der Beschauung gewidmetes Leben zu führen. Hier, in der weltfernen Waldschlucht der Melchaa, im „Ranft“, ist noch heute die Städte dieses

Klausnerlebens zu sehen: ein kleines Holzhäuschen, nur eine niedrige Zelle mit angebauter Kapelle umfassend, jedoch so armselig, daß der hochgewachsene Bruder Klaus darin nicht aufrecht stehen konnte, dabei völlig leer, ohne Tisch und Bett und Kochgeschirr. Zum Schlafen legte sich der Eremit auf den Boden oder lehnte sich in halb stehender Haltung an die Wand. Es ist wichtig, diese Dinge zu erwähnen, um sich das Leben des Bruder Klaus im Ranft nicht als Idylle vorzustellen; es war das Leben eines großen christlichen Asketen und Mystikers. War Klaus schon zu Zeiten seines bürgerlichen Lebens ein gewaltiger Beter gewesen, so versenkte er sich nun ganz in die Geheimnisse des Glaubens. Neben der Passionsbetrachtung und einer sehr innigen Marienverehrung zog ihn das Mysterium der Trinität mächtig in seinen Bann. Neben geheimnisvollen, überwältigenden Schauungen, deren er gewürdigt wurde, und die, Berichten zufolge, sein Antlitz jenseitig prägten, dürfen jene anderen nicht unerwähnt bleiben, die Zeugnis davon geben, wie auch die unheimliche Welt der Dämonen nach ihm jriff. bevor er noch zur letzten Abgeklärtheit gelangte. So gehört das vollkommene, beinahe 20 Jahre währende Fasten des Heiligen, das von weltlichen und geistlichen Behörden überprüft wurde und quellenmäßig einwandfrei beglaubigt ist, in das Bereich der Mystik. Nur der Genuß der heiligen Eucharistie beim heiligen Meßopfer, dem er anfangs in Sachsein, später in einer eigenen Kapelle beizuwohnen pflegte, ließ ihn, wie wir durch Oswald Yßner wissen, „eine Stärkung empfangen, daß er ohne Essen und Trinken sein möge, sonst möchte er das nicht erleiden“.

Nur wer bereit ist, diese Tatsachen als solche hinzunehmen, wird imstande sein, auch das recht zu verstehen, was in seinem Leben für die ganze Schweiz von hoher Bedeutung wurde. Das Fastenwunder machte Nikolaus von der Flüe — obwohl er selbst darüber nie sprach — bald über die Grenzen seiner engeren Heimat als Heiligen bekannt. Man faßte Vertrauen zu ihm, suchte ihn in seiner Einsamkeit auf und bat um seinen Rat in privaten wie in öffentlichen Angelegenheiten, und man wurde dabei nicht enttäuscht. Ein geheimnisvoller Friede und eine wunderbare Weisheit ging, wie die Quellen berichten, von dem Manne aus, der selbst der Welt so vollkommen entsagt hatte. Wer seinen oft ganz ins Praktische gehenden Weisungen folgte, der /tat wohl daran. So kam es, daß Bruder Klaus, der Einsiedler, der niemals Lesen und Schreiben gelernt hatte, den Eidgenossen zum unentbehrlichen, weitbückenden Berater wurde. Im Jahre 1481, am Vorabend eines drohenden Bürgerkrieges, der voraussichtlich das Ende ihres noch jungen Staatenbundes herbeigeführt hätte, vermochte er dieses Unglück zu verhindern, indem er das sogenannte „Stanser-verkommnis“ zustande brachte, ohne selbst bei der entscheidenden Tagsatzungsversammlung anwesend zu sein. Einzig seine von erleuchteter Friedensliebe getragene Botschaft, sein Gebet und das hohe Ansehen, das er allenthalben genoß, brachten dies zustande. Dadurch wurde nicht nur ein dauernder Friede zwischen den streitenden Parteien gestiftet, sondern es wurde tatsächlich damit die Grundlage zur alten eidgenössischen Verfassung gelegt, die jahrhundertelang Bestand hatte. Darüber hinaus wurde der weiteren staatlichen Entwicklung der Schweiz bis auf den heutigen Tag die entscheidende Richtung gewiesen. „Mit dieser Tat, die nur ein Heiliger vollbringen konnte, der in den Streit der Parteien nicht verwickelt und in seiner Selbstlosigkeit auch auf keinen Vorteil bedacht war, hat sich Bruder Klaus für alle Zeiten in das Gedächtnis der Eidgenossen eingegraben“, schreibt ein Schweizer Protestant der Gegenwart. ^

Unter denjenigen, die sich zu seinen Lebzeiten um Rat an ihn wandten, nennen die Quellen auch die Herzöge von Österreich *. Sollten wir Österreicher von heute es ihnen in unserer Not nicht gleichtun?

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