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Südfrankreich, sie dichten und komponieren. Ihre umstrittenen Wurzeln liegen nach wie vor dm dunkeln. Wichtig ist die Kunstform, die sie prägen, und die neue Thematik: das Rühmen und Besingen der Domina, der Herrin. Der Inhalt dieses neuen Dichtens unterscheidet sich wesentlich von der römischen Liebeslyrik, er ist Frauenlob, und dieses Thema, diese Verherrlichung edler, unnahbarer Weiblichkeit, bleibt auf Jahrhunderte Kennzeichen der italienischen wie der europäischen Lyrik. Als bekanntester Name sei Arnaut Daniel genannt, der um 1200 wirkt.

Von dieser unitalienischen, die italienische aber bedingende Lyrik darf und muß deshalb so ausführlich gehandelt werden, weil schon in diesen stilisierten Gedichten die vier Bilderkreise zu finden sind, die beherrschend bleiben: der Kampf, das Feuer, der Vasallendienst und das Martyrium, alle auf Liebe und Erleiden der Liebe bezüglich, und ein Vokabular (Sieg, Lanze, Fesseln, Versengen, Funken, dienen, huldigen, süße Bitternis, Inbrunst der Qual usw., um nur einiges wenige zu nennen), ein beschränkter Wortschatz, mit dem noch Petrarca arbeitet und der sogar noch bei Michelangelo anzutreffen ist, gar nicht zu reden von anderen Sprachgebieten, etwa Frankreich, wo die gleichen Metaphern die berühmten 24 Sonette der Louize Lab6 aufbauen.

Obwohl das Einzwängen eines unabsehbaren Gebietes in den winzigen Rahmen des Essays lexikalische Kürze und tausend Verschweigungen gebietet, muß doch noch ein Wort zu den Provenzalen gesagt werden: Sie dichteten in einer Landessprache, und diesem Ereignis ist es zu danken, daß auch in Sizilien und am Apennin die Lyrik sich so früh in der eigenen und nicht in der lateinischen Sprache darstellt. (Noch Petrarca schrieb bekanntlich neben dem toskanischen Canzoniere Werke in lateinischer Sprache.)

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Das Dichten war sowohl bei den Sizilianern wie kurz darnach in Bologna und weiterhin in Florenz Sache der Gebildeten, der Gelehrten, wodurch zwar nicht Gelehrsamkeit, aber die Klarheit des Denkens, ein Definierenwollen der Seelenlage und der Weltzusammenhänge in die Lyrik einzieht. Zur Zeit des jungen Dante kommt es zur Gruppenlyrik, zum Gedankenaustausch in Gestalt von Sonetten, zur Bildung einer Dichterkaste, die sich Fideli d'Amore nennt, sich nur an Eingeweihte wendet. Es entsteht aber auch der dolce stil novo, ein Ausdruckswille in sanfter Harmonie.

Auch Dante ist Lyriker, und lange vor der Divina Com-media schrieb er die Vita nova, aus der ein Sonett sowohl die Zeit und ihre Thematik als auch Dantes Eigenart zeigen möge, soweit das der ausgezeichneten Übersetzung Hugo Friedrichs zu entnehmen ist.

Amor und edles Herz sind beide eins,

Wie schon in seinem Lied der Dichter lehrt.

Und keines beider kann bei sich bestehen,

Wie auch Vernunft nicht, wenn Vernünft'ges fehlt.

Verlangt Natur nach Liebe, macht zum Herrn Des Herzens Amor sie und macht das Herz Zu seinem Haus, darin er schlafend ruht Auf manchmal kurze, manchmal lange Zeit.

Schönheit erscheint in hoher Herrin dann, Und strahlt ins Auge also, daß im Herzen Begehren aufsteht nach der Strahlenden. Und diese hält so lang im Herzen an, Bis es vom Schlaf des Amors Geist erweckt. Und gleiches wirkt geehrter Mann in Frauen.

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Spricht man gemeinhin vom italienischen Sonett und seiner welterobernden Kraft, so meint man Petrarca, der, noch zur Zeit Dantes geboren, bis 1374 lebt. Sein Canzoniere enthält 366 Gedichte, gleichsam ein Schaltjahr lang (in einem Schaltjahr will er Laura erstmalig erblickt haben) täglich ein Lied zu singen. Es sind nicht durchwegs, aber vorwiegend Sonette, in einer unendlich entwickelten, farbigen Diktion, voll unerhörter Klangreize, wenngleich noch immer von entwicklungsträchtiger Einfachheit und -begrenztem, fast traditionellem Wortschatz. Wieder bringen wir statt vieler Worte eine Probe.

Dem Phönix gleicht sie, da mit Goldgefieder Um ihres weißen Halses Anmut schlicht Sie einen kostbar schönen Schmuck gelegt, Der alle süß durchdringt —- und mich zerstört.

Naturgeschaffenes Diadem ist sie, Davon die Lüfte leuchten, und aus ihr Schlägt heimlich Amor flüssig rieselnd Feuer, Darin ich brenne, starrt auch rauher Frost.

Purpurgewand, mit Saum vom Blau des Meeres, Den Rosen übersä'n, umhüllt die Schulter; O einz'ge Schönheit, nie gekanntes Kleid!

Die Sage will, daß solcher Vogel fern

Sich in Arabiens Duftgebirg' versteckt —.

Doch stolz fliegt der durch unsre Himmel hin.

Kann auch unmöglich ein einziges Gedicht seinen Autor kennzeichnen und als sein „Durchschnitt“ imponieren, so erweckt es doch eine Ahnung der Wesensart dieser Lyrik. Sie ist immer durchdacht, bei aller Vielfalt modellhaft, ein pretiöses Geduldspiel. Man weiß — dies nur zur Bekräftigung unseres Eindrucks — von Gedichten, an denen Petrarca jahrelang umgedichtet, gefeilt, geändert hat, an einem sieben, an einem gar 26 Jahre! Wir haben es nicht mit

Ergüssen, nicht mit Gefühlen zu tun. Emotionen werden auf Kunstwert geprüft und kunstgewerblich passend eingefügt, freilich mit beispielhafter Behutsamkeit und behorcht von einem Ohr, das jeden Sprachton kennt. Sowohl Dante wie Petrarca, jeder einer selbstgeschaffenen Epoche angehörend, analysieren und interpretieren das eigene Dichten. Tagebuchartig macht letzterer sich selbst auf einen noch zu verbessernden Gedichtanfang aufmerksam: „Non videtur satis triste principium.“ (Wie ersichtlich, spricht er zu sich in lateinischer Sprache!)

*

Den Italienern eher fremd, uns willkommen wie etwas Urwüchsiges, Ursprüngliches ist Michelangelos Sprachkunst. Für unser Urteil steht sie nicht im Schatten seiner monumentalen Bildhauerei, sondern eröffnet in traditionsbrüchiger, harter und dunkler Art, wenngleich weiterhin im trag- und spannfähigen Sonett, sein Grübeln und sein Leiden. Er hat nicht Petrarcas, nicht Tassos Wortgabe, aber mit seinem Ausfall ginge der Sprache Entscheidendes verloren, eben das, was der Vielfalt italienischen Genies fehlt. Aller Autoren größter ist Dante, nicht in der Kleinkunst des Sonetts, sondern in seinem Lebenswerk; mag man in ihm einen Erzengel oder ein Wunder sehen, aber er ist doktrinärer Lehrer und inquisitorischer Richter, der keines Sünde übersehen kann, keine Verschuldung vergessen will. Michelangelo dagegen ist, was wir alle sind, der Mensch, den die Bürde des Menschlichen martert. Und in der Kunst sieht er nicht Maske, sein Leid zu decken, nicht Spiel, es zu erleichtern, sondern spröde Gottesgabe, es zu sagen. Hier eines seiner Gedichte.

Des Todes sicher, doch nicht seiner Stunde, Das Leben kurz, von ihm bleibt mir nur wenig: Die Sinne freut's und ist doch nicht das Haus Der Seele, die mich anfleht, daß ich sterbf.

Die Welt ist blind, das schlechte Vorbild will Frohlocken, drückt Vollkommenes darnieder. Das Licht erlosch und mit ihm jeder Mut; Das Falsche siegt und Wahrheit taucht nicht auf.

Ach Herr, wann wird mir werden, was ersehnt, Der an Dich glaubt — da allzu langes Zaudern Die Hoffnung bricht, die Seele sterben läßt.

Was soll's, daß Du uns so viel Licht versprichst, Kommt vorher doch der Tod und läßt uns ewig Und hilflos so, wie er uns übermannt?

„Gebet“ des Achtzigjährigen, der noch zehn Jahre zu dulden und zu werken hatte.

Wie er stirbt, ist Tasso schon 20 Jahre alt, berühmt, ein Frühreifer, dem Beherrschung der Form eingeboren war (wie etwa bei Raffael). Alles wird zu Lyrik, nicht nur im Kurzgedicht, sondern ebenso dm Epos („Gerusalemme liberata'1) oder im Schäferspiel „Aminta“, das er in zwed Tagen, geschrieben haben will, das Entzücken der Zeitgenossen, heute noch der Gelehrten. Ihm war aber nicht nur der Lieder süßer Mund gegeben, sondern kritischer Verstand und Kenntnis aller Vorgänger, besonders Petrarcas, aus dessen Sonett er lernt und weiterbaut, nicht minder jedoch Catulls, der römischen Erotiker überhaupt, ja sogar der Anthologia Graeca, Von allem und jedem übernimmt er, Thematik, Pointen, Versbausteine, aber alles wird seiner Eigenart assimiliert, bekommt Duft, Leichtigkeit, ein Vibrieren und Schweben, Zärtlichkeit, Unbestimmtheit, ein Trauern, ein Grollen und Schmollen, ein Spielen. Und alles unterliegt wie bei den Vorgängern der eigenen Reflexion, einem originellen Urteil, das die Sprachkunst (ähnlich wie es Kardinal Bembo, 1470 bis 1547, in kritischen Schriften getan hatte) weit über das Sachliche, über den Inhalt, über moralische oder philosophische Qualität stellt. Es wäre mehr zu sagen und sollte gehört werden. Die Beschränkung erlaubt nur noch eine Probe seiner Kunst, in diesem Fall willkürlicher und irreführender als je bei einem anderen Dichter, so weit ist die Spanne seiner Fähigkeiten, so verschieden sein Ausdruck.

Was für ein Tau, was für ein Weinen

Ist's denn gewesen, das in Tränen

Vom dunklen Kleid der Nacht versprühte,

Vom lichten Antlitz der Gestirne her?

Und warum säte denn der weiße Mond

Kristallner Tropfen reiner Schimmer

Hinab, den feuchten Gräsern in den Schoß?

Warum erklang es wie ein Klagen,

Wenn droben in der schwarzen Luft ringsum

Die Winde wehten bis vor Tag?

Ach, sollten's Zeichen sein, daß Du gegangen,

Du meines Lebens Du?

*

Wir haben vier Epochen angedeutet, von Dante bis Tasso, also nur zwischen 13 und 16. Jahrhundert. Weiß man, was

bis heute, was etwa bis Ungaretti noch zu bringen wäre, so hat dieser Essay höchstens den Wert einer Anregung. Fundamentale Belehrung über die Dichtkunst Italiens, vom Beginn bis Giambattista Marino (t 1625), bringt das Buch Hugo Friedrichs „Epochen der italienischen Lyrik“ (Verlag Klostermann, Frankfurt am Main, 784 Seiten), dem wir den Titel und die Fakten dieses Aufsatzes entnommen haben, nicht aber das Subjektive, das persönliche Gegenübertreten. Der Autor hat den gleichen hohen Rang als Polyhistor alter und neuer Literatur, als Romanist, als Kunstdeuter, als Übersetzer. Das ist schneller gesagt als gewürdigt. Hugo Friedrichs Übersetzung, deren vier Beispiele ein Bild geben wollen, verzichtete auf den Reim des Originals. Dadurch ist sie, verglichen etwa mit Rilkes Michelangelo-Neudichtungen, im Vorteil. Sie entgeht Zwangssituationen und kann sich der Sinntreue widmen. Dabei bietet sie Schwung und Umformungsfreiheit als Ersatz für die Originaldiktion, die ihre Schönheit oft mehr der Sprachmusik als der nun schon öfter erwähnten Ausdrucksschlichtheit verdankt. Wir erinnern uns an das zitierte Petrarca-Sonett, wo das erste Terzett, Vers 11, mit der Zusammenfassung des Geschauten endet; wörtlich:

„Neues Kleid, und einzigartige und alleinige Schönheit.“

Hugo Friedrich übernimmt sozusagen auf eigene Verantwortung mit der Beschreibung auch die Begeisterung und erhöht das ResumG zur Exklamation:

„O einz'ge Schönheit, nie gekanntes Kleid!“

Gewiß fallen Erhöhung, Klangfindung und Satzprägnanz auf, die sich aus sprachgesetzlichen Gründen mit dem Original nicht decken können. Sie waren aber notwendig, um das Niveau der verlorenen Wohl- und Reimklänge zu halten, Als kürzeste Kennzeichnung sei durchgehende Verläßlichkeit und Werktreue genannt, überall unterstützt von dankenswert universellem Wissen und durchdrungen von einfühlender Liebe, wie sie nur der Kongenialität eignet.

Nationalisten aller Schattierungen haben es immer als ein Manko angesehen, wenn sich unter ihren Vorfahren Angehörige fremder Nationen befanden. Durch gesteigerten Chauvinismus suchten sie diesen „Fehler“ zu kompensieren. Jean de Bourgoing, der bekannte österreichische Historiker, der am 30. Dezember das 90. Lebensjahr erreicht, hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß er sich glücklich preise, zwei Nationen anzugehören. Väterlicherseits ist Jean de Bourgoing Franzose. Das alte Geschlecht, dem er entstammt, diente dem französischen Vaterland in allen seinen Staatsformen. Seine Angehörigen waren Diplomaten und Offiziere der Bourbonen, des ersten und zweiten Kaiserreiches, der Ersten und Dritten Republik. Mütterlicherseits ist Jean de Bourgoing Österreicher und durch seine Mutter, eine geborene Gräfin Kinsky, mit dem Hochadel der alten Monarchie verwandt.

Jean de Bourgoing, Angehöriger zweier Nationen, ist wie kein anderer prädestiniert, sich gerade mit jenem Teil der Geschichte Frankreichs und Österreichs zu beschäftigen, der durch die französische Revolution und die napoleonischen Kriege erschüttert und geformt wurde. Niemand anderer konnte ein solches Verständnis für den Zusammenbruch des Ancien-Regimes, für das Entstehen neuer Kräfte und neuer Ordnungen aufbringen wie Jean de Bourgoing, seine Abstammung als Franzose und als Österreicher befähigten ihn insbesondere, grundlegende Forschungen über jene historische Persönlichkeit zu leisten, die, wie er selbst, ein halber Franzose und ein halber Österreicher war: über den Herzog von Reichstadt. Seine diesbezüglichen Arbeiten werden immer Standardwerke der historischen Forschung bleiben. Von dieser Zentralfigur seiner Forschung aus wandte sich Jean de Bourgoing der Geschichtsschreibung über die Mutter des Herzogs von Reichstädt, der Kaiserin Marie-Louise, spätere Herzogin von Parma, sowie dem Wiener Kongreß zu. Auch das Werk über Marie-Louise zu schreiben war nicht einfach. Denn viele heikle Dinge waren hier zu berühren und aufzuhellen. Dies konnte nur geleistet werden dank der Noblesse des Autors, mit der er auch ein weiteres Thema der Geschichte bearbeitete: die Herausgabe der Briefe Kaiser Franz Josephs an Katharina Schratt. Er hat mit diesem Werk nicht nur der Geschichte einen großen Dienst erwiesen, sondern auch die Gestalt Kaiser Franz Josephs in einem neuen Licht erscheinen lassen, das die so noblen und einfachen Züge dieses Kaisers, die oft hinter seiner majestätischen Gestalt verborgen sind, aufzeigt.

Auf eine reiche Ernte kann Jean de Bourgoing an seinem 90. Geburtstag blicken. Doch der Unermüdliche schreitet rastlos weiter in seinen Arbeiten: ein neues Buch über den Herzog von Reichstadt ist geplant. Über allen seinen Werken aber könnte als Leitspruch das französische Sprichwort stehen: Es genügt nicht, die Wahrheit zu sagen, man muß sie auch höflich sagen.

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