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Noch ein „Roman aller Romane"

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Zum doppelten Jubiläum persifliert Herbert Rosendorfer Literatur und Literaturkritik, indem er einen Drogisten In Rom ums Leben kommen läßt, der von Journalisten für den verschollenen Schriftsteller Fenix gehalten wird.

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Zum doppelten Jubiläum persifliert Herbert Rosendorfer Literatur und Literaturkritik, indem er einen Drogisten In Rom ums Leben kommen läßt, der von Journalisten für den verschollenen Schriftsteller Fenix gehalten wird.

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Im Februar beging Herbert Rosendorfer seinen 60. Geburtstag (siehe FURCHE 7/1994), außerdem ist es ein Viertel) ahrhun-dert her, daß „Der Ruinenbaumeister" erschienen ist, jenes allegorische Pamphlet auf das Romanschreiben, das den Autor berühmt gemacht hat. Sein neuestes Werk ist tatsächhch so etwas, wie Harro Berengar mutmaßt: „Der Roman aller Romane".

Der angesprochene Autor, durch ein Iniognito anonym bleibend, stimmt ironisch zu: „So etwas in der Richtung", imd ergänzt, den hochtrabenden Ton des ahnungslosen Gesprächspartners höhnisch kopierend, „also ungefähr ,Ulysses' mit dem ,Prozeß' ge Saart." Berengar glaubt nämhch, er „westpreußische James Joyce" zu sein, und behauptet konsequent, daß andere ihn so bezeichnet hätten. Von seinen Novitäten werden rund 200 Exemplare verkauft, doch macht er dauernd Lesereisen - auf Kosten des Goethe-Institutes. Den spöttischen Kommentar zu alldem pflegt der Kritiker Sergio Kreisler zu geben: mündlich imd schriftlich.

Aber den Roman aller Romane hat der weltberühmte Amerikaner Florous Fenix nie geschrieben. Durch seine früheren Werke ist er so reich geworden, daß er seit Jahrzehnten pausieren kann. Er hat sich, angewddert vom nichts als betriebsamen Literaturbetrieb, zurückgezogen und unter dem falschen Namen Marchese Fioravanti eine römische ViUa in Tivoh bezogen, unerkannt, seine Tantiemen auf komphzierten Umwegen beziehend.

Der Roman ist in aller Munde und handelt von dem (bis vor kurzem) ungelösten Fermatschen Problem, das der französische Mathematiker vor mehr als 300 Jahren aufgestellt hat. Fenix lebt in seinem luxuriösen Versteck mit einem treuen Diener und dessen Familie, die natürlich keine Ahnung haben, daß er ein viel und vergebens gesuchter Autor ist. Sie halten ihn bloß für schrullig: Er hat als absolut unhterari-sches Hobby eine riesige Uh-rensammlung.

Die Story ist nur der Rahmen, der das Bild (um nicht zu sagen: die Karikatur) gegenwärtigen Li-teratentums umschheßt. Ja: „was ist Literatur?" Und: „Es gibt Erzählungen, die haben überhaupt keine Handlung", sodaß „häufig eine handelnde Person zur anderen sagt: ,Ich weiß, daß du das nie verstehen warst'." Spannung: zwei Autos rasen hintereinander her, aus dem hinteren wird auf das vordere geschossen, „und dem Leser bleibt der Atem weg, weil er erst in der letzten Zeile erfährt, wer im vorderen Auto gesessen ist." Aber leider: „Je mehr Spannung, desto seltener kann man die Erzählimg lesen", klar, weil „man schon vorher weii3, wer im vorderen Auto gesessen ist". Was aber den vielgelobten und wenig gelesenen Berengar betrifft: Anfang Oktober jeden Jahres kann er vor Aufregung nicht schlafen; endlich ist es so weit: „Wieder hat irgendein anderer den Literatur-Nobelpreis erhalten."

Solche Sorgen macht sich der Autor auflagenstarker Bücher, Herbert Rosendorfer, nicht. Übrigens ist er (man möchte fast sagen: im Nebenberuf) Gerichtspräsident. Ist sein Urteil über die Ge-genwartshteratur streng? Also, sagen wir: es ist streng satirisch.

Ein Leerstück Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter" zählt zu jenen Gegenwartsklassikem, die ihre Aktualität und düstere Aussagekraft so schnell nicht verheren werden. Es sei denn, dieses Lehrstück wird, wie nun im Grazer Schauspielhaus, auf Sand gesetzt. Regisseur Christian Elbing betreibt skrupellos Verrat am Original. Die Feuerwehrleute vmrden aus der oberflächlichen Inszenierung gänzhch verhärmt; ihren Platz nimmt ein Fernsehteam ein. Denn das Geschehen im Hause Biedermaim soll im Stile einer TV-Reahty-Show abgespult werden. Pointe, laß nach. Gespielt wird mit bemühtem Unemst, all der ursprünglich vorhandene, tiefschwarze Sar-kasmus ^eht in Schall, Rauch und bilhgen Gags auf Graz beherbergt den lustigsten Biedermann, den es je gab - das ist traurig und schlimm zugleich.

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