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Non confundar

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Vor 25 Jahren, am 15. Jänner 1934, Ist in München nach qualvollem Leiden Hermann Bahr gestorben. Einige Tage darauf, in sonnenvergoldeter, klirrendkalter Winterstunde, senkten Anna Bahr-Mildenburg und ein kleiner Kreis von Freunden den sterblichen Leib des Dichters in die Familiengruft zu Salzburg. Wenige Stunden vor,3er Rückreise nach München übergab Frau Bahr mir, als langjährigem Freund, TagebuchaufZeichnungen über die letzten Lebensmonate und das Sterben des Dichters. Ich mußte das feierliche Versprechen geben, dieses erschütternde Dokument der Zerbrechlichkeit alles Leiblichen nicht vor zwanzig Jahren nach Bahrs und zehn Jahren nach ihrem Tode der Literaturhistorie zu übergeben, was hiermit geschieht. Lieber letzte Anordnung Wurde in den mächtigen Syenitobelisken des Grabes 'eingemeißelt: „NON CONFUNDAR IN ÄETERNUM.“ Das im Goetheschen Sinne unausgesetzt fließende, sich wandelnde, schillernde Leben Bahrs mündete nach furchtbarem Kampf seines irdischen Teiles in den Sieg seines letzten, erhabenen Credos und Bekenntnisses: Ich werde in Ewigkeit nicht vergehen... denn ich glaube. R.H.

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Vor 25 Jahren, am 15. Jänner 1934, Ist in München nach qualvollem Leiden Hermann Bahr gestorben. Einige Tage darauf, in sonnenvergoldeter, klirrendkalter Winterstunde, senkten Anna Bahr-Mildenburg und ein kleiner Kreis von Freunden den sterblichen Leib des Dichters in die Familiengruft zu Salzburg. Wenige Stunden vor,3er Rückreise nach München übergab Frau Bahr mir, als langjährigem Freund, TagebuchaufZeichnungen über die letzten Lebensmonate und das Sterben des Dichters. Ich mußte das feierliche Versprechen geben, dieses erschütternde Dokument der Zerbrechlichkeit alles Leiblichen nicht vor zwanzig Jahren nach Bahrs und zehn Jahren nach ihrem Tode der Literaturhistorie zu übergeben, was hiermit geschieht. Lieber letzte Anordnung Wurde in den mächtigen Syenitobelisken des Grabes 'eingemeißelt: „NON CONFUNDAR IN ÄETERNUM.“ Das im Goetheschen Sinne unausgesetzt fließende, sich wandelnde, schillernde Leben Bahrs mündete nach furchtbarem Kampf seines irdischen Teiles in den Sieg seines letzten, erhabenen Credos und Bekenntnisses: Ich werde in Ewigkeit nicht vergehen... denn ich glaube. R.H.

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Ich durchlebe mit Hermann seit Monaten Furchtbares. Es trat eine sich steigernde Verschlechterung seiner geistigen Kraft ein. Von leichten Schlafmitteln mußte zu stärkeren gegriffen werden. Er verlor die Erkenntnis von Tag und Nacht, verlangte immer wieder, in den Raum geführt zu werden, in dem wir uns während des Tages aufhielten. Dann saß er, rauchte, sah mich glücklich an und war zufrieden, bis er nach einer Viertelstunde sagte: „Aber nun müssen wir schlafen gehen." Er bekam Morphium oder dergleichen. Es war mir grauenhaft, ihm diese Gifte einzugeben, aber die Schlaflosigkeit war für ihn und uns kaum mehr durchzuhalten. Grauenhaft war es, zu verfolgen, wie sein Geist sich von der Wirklichkeit abwandte; er hielt in der Nacht Reden, war in fernen Ländern, sprach mit Menschen, die nicht da waren, schilderte sie, wies auf sie, beschrieb sie, unterhielt sich mit ihnen, ging im Zimmer herum und fand erst gegen Morgen Schlaf, öfter aber blieb er 36 Stunden wach. Dann kam die Zeit, in der er die Umgebung nicht mehr kannte. Nur bei mir wußte er immer, daß ich es bin: „Bist du wirklich die Antsche?“ Er hielt mich stundenlang bei der Hand; furchtbar war es, dieses herzbrechende Weinen, wenn ich nicht bei ihm war, weil ich doch meine Kurse habe. Wenn ich zurückkam, verklärte sich sein Gesicht, er, fragte, warum ich denn tagelang weg war. Sein Wesen und Leben waren nur noch in mir verankert, klammerte sich mit unheimlicher Intensität an mich. Das gab mir die Kraft zu allem, was ich tun muß, was ich tat und noch tun werde. Ich knie vor ihm, damit er mich voll sehen kann, und über mich weg gehen Strppie yon Zärtlichkeit lind ppaufhorlįphe Ve -, Sicherungen seiner Liebe„ JJanu„ j&JJį.,er, unvcn-, mittelt in ein immer wiederkehrendes Gebet und singt immer das gleiche Lied, Tag und Nacht: die Lorelei. Und ich sang mit und hielt den Kopf tief gesenkt, damit er nicht mein Weinen sehen konnte. Und alle taten mit, jeder zeigte für ihn ein vergnügtes Gesicht. Ich aber lief oft weg, ich mußte wenigstens für einen Augenblick aus der grauenvollen Anspannung. Niemand schlief im Haus, Jenny, die nun 27 Jahre als Hausdame bei uns ist, wachte die Nächte bei ihm, oder wir schleppten ihn von einem Zimmer in das andere. Hermann verlangte immer wieder mit unheimlicher Kraft, fortzugehen. Mich hielt er, so wie er konnte, an sich gepreßt und sprach die wunderschönsten Sachen. Alle sollten mir von seiner Liebe erzählen.

Endlich mußten wir eine Nachtschwester zu unserer Hilfe rufen. Hermann begehrte mit unheimlicher Kraft aus dem Bett. Die Unruhe wuchs von Nacht zu Nacht und von Tag zu Tag. Seinen langjährigen Hausarzt kannte er eines Tages nicht mehr. Der konnte nur zu immer stärkeren Mitteln greifen. Morphium, Veronai, Phanodorm wirkten aber, als ob sie Zuckerwasser wären. '

Ich mußte mich endlich entschließen, Hermann der psychiatrischen Klinik des Geheimrats Bumke zu übergeben. Dieser hatte bereits auf meine Bitte, für Fälle, in denen es sich um Hermanns Unterschrift handelte, ein psychiatrisches Zeugnis ausgestellt, aus dem hervorgeht, daß sein Zustand jede geistige Betätigung unmöglich macht.

Am Neujahrstag brachten wir ihn in die Klinik: unser Hausarzt, Sanitätsrat Völker, ich und Jenny brachten ihn über die zwei Stockwerke hinab. Als er im Auto saß, wurde er auf die weißen Bäume aufmerksam und sagte: „Das ist schön.“ Dann lag er während der ganzen Fahrt zurückgelehnt in meinem Arm und betete unaufhörlich sein gewohntes Gebet, ließ wie immer das meiste davon aus, nur der Schluß kam mit voller Klarheit: „ . . . und führe uns zur Herrlichkeit der Auferstehung.“ Wir führten ihn in der Klinik in das für ihn bestimmte Zimmer. Er schien von allem nicht befremdet zu sein und nicht bedrückt, rauchte, aß ein Würstel — das einzige, das er noch hie und da aß —, sang leise die Lorelei vor sich hin, betete und drückte mich bei allem fest an sich, dazu immer wieder die gleichen Worte murmelnd: „Lieb, bleib mir, geh nicht von mir, du bist die einzige Frau, die ich je geliebt, ich hab’ dich sooo lieb ...“ Dabei ließ er sich Bissen um Bissen von mir in den Mund schieben, auch Kuchen,. in Milch getaucht, trank Eierkognak. Alles natürlich nicht bei klarem Bewußtsein, aber es waren doch deutliche Willens- und Lebensäußerungen. Dann brachte man ihn in das Bett; ich mußte ihn verlassen; seine ihn gewohnte Nachtschwester blieb bei ihm, denn das hatte ich mir ausbedungen, damit er nicht in den halbwegs klaren Augenblicken in der Nacht durch fremde Gesichter beunruhigt würde.

Als ich am nächsten Morgen sehr früh in die Klinik kam, roch das Zimmer nach Aether. Hermann lag rpchęlnd im Bett, kannte mich nicht, konnte sich nicht aufrichten, sein Körper sank immąr wieder zurück oder fiel nach vorne. Der Mund Astand weit offen, verzog - sich wie im Ek« : .«O. Ai therdurtst kam daraus hervor, sein Bewußtsein War total weg, und das ganze machte mir namenlose Angst. Vielleicht noch zweimal am Tage lallte er, wenn ich ihn laut beim Namen nannte, „Antschi“, aber das war doch nur noch Reflexbewegung. Ich blieb dauernd in der Klinik,-um immer da zu sein. Der nächste Tag war noch furchtbarer. Wenn Hermann den Mund öffnete, kam daraus der penetrante Aethergeruch; ich befeuchtete ihm unaufhörlich die Zunge, flößte ihm tropfenweise Flüssigkeit ein. Ich verließ ihn keine Minute mehr. Dann kam auch Jenny, wir hoben ihn, betteten ihn immer aufs neue, setzten den Bewußtlosen in den Lehnstuhl vor sein Bett. Die Augen gingen nicht mehr auf, und nur wenn er sich auf den Füßen stehend fühlte, lallte er kaum vernehmlich: „Dorthin.“ Mir ward es immer gewisser, daß man ihn immer im Aether- rausch hielt, daß er aber doch noch im Unterbewußtsein wegwollte. Meine Verzweiflung war unbeschreiblich! Ich mußte mitansehen, wie hier nun gewaltsam jeder Lebensfunke ausgelöscht wurde. Ich weinte und weinte unaufhaltsam.

Jenny, die Hermanns Zustand erkannte, hatte um einen Priester gebeten, damit er die Letzte Oelung bekäme. Eines stand in mir fest: Hermann muß von der Klinik weg! Wenn das Letzte kommen muß, dann soll er in seiner ihm vertrauten Umgebung die Erde verlassen! Worte gibt es nicht, die das wiedergeben könnten, was an Leiden zwischen dem allen in jeder Sekunde mein Herz zermarterte!

Es gab in der Klinik eine furchtbare Szene, als ich Hermanns Herausgabe verlangte. Ich wußte, daß Jenny es machen würde. Sie schwur mir, daß ich Hermann in einer Stunde zu Hause haben würde, und schickte mich heim, damit ich alles vorbereite für seine Ankunft. Ich war noch bei der Letzten Oelung anwesend, von der Hermann nichts wußte, dann überließ ich alles Jenny: die Auseinandersetzungen mit den Aerzten und die Herausgabe Hermanns; ich war dazu nicht mehr fähig. In kaum einer Stunde brachte man ihn auf einer Bahre, völlig ohne Bewußtsein. Eine Zeitlang lag er, ohne sich zu rühren, ohne die Augen zu öffnen. Plötzlich strebte er empor. Wir brachten ihn in das ihm gewohnte Zimmer. Endlich öffnete er die Augen, und ein Schimmer von klarem Erkennen flog über sein Gesicht. Unbewußt nahm er eine Zigarre, doch konnte er sie nicht halten, machte deutlich die Bewegungen des Zigarrenhaltens, dann suchte er mit geschlossenen Augen nach etwas. Als ich seine Hände fest in die meinen nahm, lallte er deutlich: „Antschi“, versuchte die Augen aufzumachen. Es gelang uns, ihm etwas Kognak mit Ei einzuflößen. Gleich darauf verfiel er in Schlaf. Um zwei Uhr früh verlangte er aus dem Bett. Wir führten ihn wieder in sein Zimmer. Er rauchte abermals, alles mit geschlossenen Augen, wie im Schlaf, doch schien es, daß er einen Schimmer von Klarheit hatte. Am nächsten Tag schlief er unaufhörlich, man konnte ihm aber flüssige Nahrung einflößen. Von Tag zu Tag trat in seinen Lebensäußerungen eine sichtbare Aenderung ein; er ging oft sogar; das körperliche Befinden wurde sichtlich besser, Puls und Herztätigkeit wurden wieder erstaunlich kräftig. Der Geist flackerte nicht in gleichem Maße auf; wohl erkannte er mich wieder, oft deutlich, sprach auch zu mir mit unendlicher Zärtlichkeit. Furchtbar war es, als er plötzlich von seinen Eltern zu sprechen begann, verlangte, zu ihnen geführt zu werden. Er wollte auf den Bahnhof, sie holen; er weinte herzzerreißend. Unheimlich war sein Streben nach „zu Hause“. Dann brach er in Klagen aus, weil er mich nicht „finden“ konnte, mich nicht sah; verwechselte mich mit der Mutter.

„Es w.ap abet,;noch, erschütitefoder, .wenn, ęr sogar Ijįiątig wurde, ..wenn er lallend mit mir ihm bekannte Lieder sang. Dann fingen wieder die Fragen nach den Eltern an, er wanderte von einem Zimmer in das andere, wie suchend, mit den Händen dort und dort hinweisend. Ich tat, als ob wir in der Kirche wären, betete die Litanei mit ihm, in die er murmelnd einstimmte. Von Zeit zu Zeit machte er das Kreuzzeichen, um sich dann plötzlich zu erheben und flehend nach Hause zu verlangen.

Einen Abend nützte es mir, da er nicht in , das Bett wollte, daß ich ihm sagte, die Mutter habe mich geschickt und lasse ihn bitten, daß er mir folgen möge. Er lag dann-ruhig im Bett und schlief endlich ein. Am nächsten Abend legte ich meinen Kopf dicht neben den seinen und sang ihm die Glockenmelodie aus „Parsi- fal". Er lag, so lange ich sang, ruhig, aber dann nützte auch dies nichts mehr, und wir mußten ihn wieder in ein anderes Zimmer führen, und so ging es unaufhörlich fort.

Gestern schlief er uns öfter sitzend ein, rauchte aber doch wieder und ließ sich auch verschiedene Stärkungsmittel einflößen. Heute wachte er nur für kurze Zeit auf, verlangte aus dem Bett. Wir führten ihn zu einem Diwan. Plötzlich stammelte er weinend: „Hermann Bahr.“ Und das werde ich bis an mein Ende im Ohr, in meiner Seele behalten! Ein endlich tiefer Schlaf kam dann ohne Mittel und führte ihn schmerzlos von der Erde weg! Einmal noch, schon in tiefer Bewußtlosigkeit, zog er meine Hände an seinen Mund und küßte sie! Und einmal noch murmelte er, kaum verständlich; „Herrlichkeit der Auferstehung." Noch einmal hatte er sich auf dem Wege, den er gehen müßte, nach mir umgewandt, und dann rief ihn wohl eine andere Stimme, und seine Lippen sprachen zum letztenmal, was sie in den letzten Wochen unzählige Male gesprochen: „Führe uns zur Herrlichkeit der Auferstehung!“

Und von da ab hielt ihn wirklich schmerzloser Schlaf umfangen. Qualen litt er nicht mehr. Die Hände lagen regungslos, wie sein ganzer Körper. Der Kopf lag drei Tage leicht zur Seite geneigt, Puls und Herz blieben noch verhältnismäßig stark.

Ein. Priester betete zwei Tage vor seinem Tode an seinem Bette. Am Montag nachmittag wurde der Puls schnell, aber schwächer, und ich wußte, daß das Letzte kam. Ich schlang seinen Rosenkranz um s;ine Hände und legte einKreuz hinein. Dann setzte ich mich auf sein Bett, nahm sein Buch.„Der Himmel auf Erden“, verschloß mich völlig der Außenwelt, versenkte mich in seinen Geist, nahm seine Hand in die meine, fühlte seine Pulsschläge, und meine Liebe geleitete ihn auf diesem letzten Gang. Die Schwester und die anderen, die laut zu beten anfingen, bat ich, es leise zu tun. Kein Laut des Scheidenden sollte mir verlorengehen! Dann hielt ich meine Augen dicht über sein Gesicht, seine Augen hatten sich vor Tagen für immer zugetan. Soviel ich noch lauschte: das Herz war stillgeworden! Alles nur Worte! Für das, was dazwischenliegt, gibt es keine Worte!

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