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Nur das Herz, nie das Gewand

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DIE SCHÖNSTEN ERZÄHLUNGEN. - ERINNERUNGEN. - APHORISMEN, PARABELN UND MÄRCHEN. Von Maria von Ebner-Eschen-b a c h. Nymphenburger Verlagshandlung, München. 323, 295, 235 Seiten. Preis je Band 8.80 DM.

In ihrer Erzählung „Lotti, die Uhrmacherin“ läßt die Dichterin ihre Lotti gegenüber Halwig sagen: „Ihr habt Furchtbares zu zeichnen, zeichnet es denn mit furchtbarer Kraft und Deutlichkeit, aber auch mit dem tiefinnerlichen Schauder, den Euer Schüler, Euer Leser, bebend mitempfindet.“ Mit ungewohnter Strenge, wie es vor diesen Worten heißt, aber mit dem Verantwortungsgefühl für die Erziehung des Menschengeschlechtes, hat die Gräfin Dubsky aus Zdislavic mit ihrer Gabe des leidvollen Mitempfindens, mit ihren klaren, weisen Augen, die immer nur das Herz und nie das Gewand schauen, Zeile um Zeile niedergeschrieben. Mit dieser Frau — wie mit Ferdinand von Saar — sind die kleinen Leute in das Blickfeld der Dichtung getreten, rückte das soziale Problem aus den Niederungen geläufiger Schlagworte weiter vor und höher in die Bereiche sittlicher Bildung. Man müßte nun, hundertdreißig Jahre nachdem diese Frau geboren wurde, hundert Jahre nachdem ihr Trauerspiel „Marie von Schottland“ Otto Ludwig auf sie aufmerksam gemacht hat, annehmen können, daß ihre Werke nicht nur als Schullesestoff etlichen Stunden den Inhalt gäben, daß sie vielmehr aus der Enge der Stuben hinauswirkten. Man müßte glauben, daß gerade in Österreich der Spürsinn wach wäre und die Verlage sich nur so drängten, daß die Leserschaft nicht müde würde im Empfangen und Geben, im Nehmen und Weiterreichen, im Nacherleben der Ebner. Aber der Prophet gilt eben nicht viel in seinem Vaterland, und da ist es einem auswärtigen Verlag hoch anzurechnen, daß er in Einzelbänden das erzählerische Werk unserer größten Dichterin neu aufgelegt hat. Zugrunde gelegt ist den Ausgaben, die in genau aufeinander abgestimmten Leinenbänden in gut gezeichneten Schutzumschlägen auch äußerlich einen gefälligen Eindruck machen, überall der Text der Erstdrucke. Sehr schätzenswert — da wir keine historisch-kritische Ausgabe besitzen und die für vier Bände vorgesehene Veröffentlichung des Nachlasses (Wien 1948) wegen Auflösung des Verlages beim ersten Band steckenblieb — sind die den Bänden, welche Edgar Groß herausgegeben hat, beigegebenen Nachworte und vor allem die Anmerkungen. Hier ist, bis zur Übersetzung fremdsprachiger Ausdrücke (tschechische, französische) bis zum Aufzeigen historischer Bezüge, bis zu biographischen Einzelheiten und Quellenangaben gründliche Arbeit geleistet worden.

Im Rahmen der gesammelten Werke der Ebner-Eschenbach liegen nunmehr vor: „BoZena“, zwei Folgen von Erzählungen, „Das Gemeindekind“, zwei Romane („Lotti, die Uhrmacherin“ und „Glaubenslos“), dazu ein Band mit dem Roman „Unsühnbar“, ferner Novellen mit dem „Freiherrn von Gemperlein“ an der Spitze, die „Erinnerungen“, welche die Siebzigjährige geschrieben hat („Meine Kinderjahre“, „Meine Erinnerungen an Grillparzei“), und schließlich die eben erschienenen „Aphorismen, Parabeln und Märchen“. Diese neunbändige Ausgabe gehört in jedes Haus.

KRAMBAMBULI UND ANDERE ERZÄHLUNGEN. Von Marie von Ebner-Eschenbach. Union-Verlag, Berlin. 244 Seiten.

Dieser Band macht den Versuch, moderne Graphik in den Text zu stellen (die Illustrationen stammen von Hanns Georgi, der auch das Nachwort geschrieben hat). In diesem Nachwort, das im übrigen mit netten anekdotischen Zügen den Wert des Dichtwerkes immer wieder beleuchtet, ist die Bemerkung zu finden, daß die „vorwiegend dem Individuell-Menschlichen zugewandte Darstellungsweise die tieferen Konflikte der sich immer mehr zum Problem entwickelnden Klassenunterschiede“ übersehen habe. Das ist — vom Standpunkt des Herausgebers — zwar begreiflich, kann aber nicht unwidersprochen bleiben. Gerade, weil die Ebner glücklicherweise nicht die Theorie der Volkswirtschaft bedichtet hat, ist sie über die zeitgebundenen Schreiber hinweg lebendig geblieben. Das Wesen der sozialen Dichtung, um es mit aller Deutlichkeit zu sagen, liegt nicht in der Poetisierung der philosophischen Ideen und schon gar nicht in der Instrumentation von Leitartikeln. Die Dichtung, die doch im Grunde immerdar eine vom Menschen bleiben sollte, von seinem Charakter, seiner Pflichterfüllung, seiner Fähigkeit, sich der Gemeinschaft einzuordnen und diese sich zu verpflichten, diese Dichtung verliert ihre Flügel, die sie höher tragen, wenn die Mängel des Zusammenlebens von ökonomischen Werten und dem Gewicht der Umwelt hergeleitet werden und nicht von der charakterlichen Verschiedenheit, von der eingeborenen Fähigkeit, der gegenüber die Bildungsaufgabe übersehen wurde.

ERINNERUNGEN UND BETRACHTUNGEN. Mein Leben aus der Musik. Von Elly Ney. Paul-Pattloch-Verlag, Aschaffenburg. 387 Seiten, 12 Bildtafeln. Preis 14.80 DM.

Das Erinnerungsbuch der bekannten Pianistin, die durch ihre Studienzeit auch mit Wien verbunden ist, bietet eine höchst persönlich geformte, überaus fesselnde und temperamentvolle Darstellung ihres Wirkens, sozusagen ein Thema mit Variationen, durch die vielfältige Einschaltung von fremden Äußerungen und die angebahnten Querverbindungen zur Philosophie, Dichtung und Kunstgeschichte.

Es war bereits bei Schneekluth in Darmstadt in erster Auflage erschienen. Die neue Fassung, auf besserem Papier gedruckt, ist textlich um 67 Seiten erweitert, stilistisch überall, oft erheblich zum Vorteil des Buches, überarbeitet worden. Auch das Bildmaterial wurde teilweise ausgewechselt.

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