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Nur der Hund versteht den Heimkehrer noch

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Wir wissen, was ein guter Lehrer ist: wenn hinter der Lehre das eigene Leben steht, wenn der Professor also wirklich Be-kenner ist.

Peter Demetz, Jahrgang 1922, war 30 Jahre Professor für deutsche Literatur an der Yale University. Er ist böhmischer Abstammung, in Brünn, in Prag und Wien aufgewachsen, er hat die NS-Diktatur und dann den Stalinismus in den Knochen, er floh 1949 ins amerikanische Exil. Vom Emeritierten liegt nun ein Band mit neun Aufsätzen vor, die vom geistigen wie vom nackten Leben berichten, das diesen böhmisch-mährisch-deutschösterreichischen Raum geschüttelt hat. Man kann die Texte einteilen in Beiträge zur Zeitgeschichte, zur Städtegeschichte und zur Literaturgeschichte.

Zur Zeitgeschichte gehören seine Marginalien zum Ende des Prager Frühlings 1968, den er von Wien aus „mit zähneknirschender Hoffnung“ erlebt hat; gemeint ist damit jene slawische Verbissenheit, mit der man seit den hussitischen und gegenrefor-matorischen Verfolgungen in die Katastrophen hineingegangen ist, und durch sie hindurch.

Zeitgeschichte wird persönlich, wenn der Sprachwissenschaftler, nach 40 Jahren in der Fremde, die Veränderungen in der Prager Alltagssprache registriert: Worte wie „Bitte“ und „Danke“ sind außer Kurs wie verfallne Münzen, und das „Idiom der Vorstädte“ hat die bourgeoise Intonation von ehedem verdrängt. Odysseus kehrt zurück, und nur der Hund versteht ihn noch.

Im städtegeschichtlichen Teil wird anhand einer Kafkageschichte Prag mit Babylon überblendet: der Fluch der Sprachverwirrung wird umgedeutet in ein Ziel der Vielsprachigkeit, wo Landsmannschaften voneinander lernen. Der Wiener mag seine so verwandte Stadt dem Bild noch, überlagern, und wenn er kühn ist, auch noch Ninive, die andere sagenhafte Stadt, die sich fünf nach zwölf noch bekehrt, zu spät,.doch wunderbarerweise immer noch rechtzeitig.

Aufs Literarische natürlich richtet sich das Hauptinteresse. Gut hundert Namen fallen, viele davon stehen persönlich mit dem Autor in Verbindung. Die lebenden kennt er sowieso, über Rilke hat er ein Buch geschrieben, und der Literaturgeschichte Schwejks gilt ein eigener langer Aufsatz. Des Autors Vater, ein Brünner Dramaturg, verkehrte mit Kafka, Werfel, Brod. Das Anekdotische durchsetzt das Systematische, wird aber selbst zum System, wenn die eigene Geschichte als Schichte der großen Geschichte erkennbar wird. Dem guten Lehrer wird diese Freiheit dann zur guten Form.

BÖHMISCHE SONNE, MÄHRISCHER MOND

Essays und Erinnerungen. Von Peter Demetz. Deuticke Verlag. Wien 1996. 167 Seiten, geb., öS 248,-

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