7125218-1997_02_04.jpg
Digital In Arbeit

Nur ein bißchen nachhelfen beim Sterben...

Werbung
Werbung
Werbung

Cheyenne, edelmütiger We-stern-Held („Ich kann auf Krüppel nicht schießen!“), von einem Krüppel todkrank geschossen (Leberschuß), kann sich nicht mehr auf seinem Pferd halten. Er rutscht in den Staub am Straßenrand. Seine Schmerzen verbeißt er mehr schlecht als recht. Sein Kompagnon (gespielt von Charles Rronson, charakterlich Edelmut Nummer Zwei), steigt vom Pferd, die beiden nehmen, männlich knapp, Abschied voneinander. „Dreh Dich um!“ fordert Cheyenne den Freund auf. „Ich will nicht, daß Du siehst, wie ich krepiere!“ Abwendung, gedämpfter Schuß im Hintergrund, Filmende.

Das ist eine der unzähligen mythisch angehauchten Varianten des immer gleichen Spiels mit Namen „Sterbehilfe“. Zwar legt Cheyenne selbst 1 Iand an sich, er bringt sich um, aber es ist kein Zweifel: Könnte er das nicht selbst, würde er seinen Freund gebeten haben, es für ihn zu tun.

Auch wenn Cheyenne vom Pferd in ein Intensivbett gefallen wäre, hätte er sich den „Gnadenschuß“ nicht selbst geben können. Er hätte jemanden darum gebeten. Diese Ritte wäre aller Voraussicht nach allerdings nicht erhört worden. Das knappe, kurze Leinwand-Ende des Helden Cheyenne im Italo-Western „Spiel mir das Lied vom Tod“ findet in der überwiegenden Realität der westlichen Zivilisation nicht statt.

Interessant ist die beträchtliche Spannung zwischen dem sagenhaft überhöhten Heldenimage der Sterbehilfe im Film, in der Literatur und in anderen Kulturprodukten und der meist qualvollen, langwierigen und für viele fast unerträglichen Wirklichkeit vieler sterbender Menschen innerhalb des von der modernen Medizin geprägten Spitalsalltags.

Diese Diskrepanz und die Reschäf-tigung mit ihr hat in der jüngsten Zeit dazu geführt, daß - international, aber auch in Osterreich - Sterbehilfe (im Sinn eines Synonyms für Euthanasie) immer öfter als eine mögliche Alternative des Umgangs mit den Nöten sterbender Menschen diskutiert wird.

Was im Film und auf der Ruhne problemlösend unkompliziert aussieht, das sollte doch auch in Wirklichkeit geeignet sein, Angst, Trauer, Schmerz und Leiden der „letzten Zeit“ zu verhindern oder wenigstens zu lindern - so meinen zunehmend viele Menschen.

Das jüngste Beispiel eines Propagandafilms für „Sterbehilfe“ ist „La-morte“ von Franz X. Schwarzenberger (siehe FüRCHE-Dossier Nr. 44/1996). Hier inszeniert eine Frau ihren'eigenen Tod, weil sie das Elend einer an ihr festgestellten tödlichen Erkrankung nicht mitmachen will. Sie versammelt ihre Schulkameradinnen um sich, die ihr helfen sollen.

Die Rotschaft ist: Die Realität der Sterbephase ist heutzutage unmenschlich geworden. „Früher“ war alles anders; man lebte und starb in der Großfamilie. Im Zeitalter der Postmoderne mit seinem Grundcha-rakteristikum der Individualisierung und der Wertebeliebigkeit habe jeder ein Recht nicht nur auf ein eigenes Leben, sondern auch auf einen eigenen Tod. Die Sterbehilfe sei ein berechtigtes Mittel der Instrumentalisierung einer ansonsten unerträglichen Situation. Das Recht auf Sterbehilfe gebe dem Menschen einen Teil seiner enteigneten Autonomie zurück und sei in Wahrheit human. Ich bin nicht dieser Ansicht - im Gegenteil. Ich möchte begründen, warum.

■ Der Umgang mit sterbenden Menschen und ihren Angehörigen ist innerhalb des medizinischen Systems eine Katastrophe und Kulturschande. Eine Hauptursache dafür ist die Struktur medizinischer Anstalten: Sterben ist ein Tabu. (Übrigens: 60 Prozent aller Todesfälle spielen sich m Spitälern ab.)

■ Daraus leitet sich ab, daß die Strukturen, in denen gestorben wird, reformiert und umgebaut werden müssen. Damit könnte das Problem „menschenunwürdige Sterbeumstände“ gelöst werden, und zwar im Sinne der Hospizbewegung, die „Sterbebegleitung“ fordert.

■Wer daraus aber ableitet, daß „Sterbehilfe“ im Sinne von Euthanasie die Antwort sei, der will das Problem nicht lösen, sondern beseitigen. ■Das Verlangen nach Sterbehilfe geht meistens auf Angst zurück. Niemand will gerne leiden. Vor körperlichen Schmerzen, vor der Einsamkeit angesichts des Todes und vor einer als unwürdig empfundenen Existenz (Koma-Zustand) haben viele Menschen Angst. Aus dieser Angst heraus fordern sie Sterbehilfe. Es ist das keine frei getroffene Entscheidung, sondern ein Verlangen in einer Drucksituation.

■ Nimmt man Menschen angesichts von Tod und Sterben diese Ängste, wollen sie meist nicht mehr „vorzeitig“ sterben. Zahlreiche Untersuchungen zeigen: Bis zu 95 Prozent revidieren ihren Wunsch nach Sterbehilfe, wenn man ihnen garantieren kann, daß sie keine oder leicht erträgliche Schmerzen leiden werden, und daß man sie nicht alleine läßt.

Das bedeutet also: Sterbehilfe ist -abgesehen von Einzelfällen, hinter denen sehr ausgewogene Gründe stehen, wie vor allem die Unmöglichkeit, vorhandene Schmerzen zu lindern - eine Kapitulation vor dem derzeitigen medizinischen System, das sich als unfähig zeigt, mit den Nöten sterbender Menschen umzugehen.

Wird Sterbehilfe gesetzlich ermöglicht, besteht die Gefahr, daß Mißstände und Fehlentwicklungen der Krankenbetreuung zementiert werden. Sterbehilfe wäre in diesem Sinn ein probates Mittel in der Hand der Medizin, die erstens damit zu ihren vielen schon erkämpften Rechten ein weiteres Monopol gewonnen hätte, nämlich das Recht, den Tod zu geben, und die zweitens keine Notwendigkeit mehr sähe, Sterbebetreuung im Sinne des Regleitens bis zuletzt zu lernen und zu etablieren

Und noch eines kommt dazu: Neben medizinischen und psychologischen Gründen, die als Argumente für Sterbehilfe herangezogen werden können, gesellen sich neuerdings auch ökonomische. Der Anteil älterer und alter Menschen in der Gesellschaft steigt weiter an - die Kosten ihrer Retreuung werden nur mehr mühevoll aufzubringen sein. Wie groß wird dadurch die Gefahr, daß humane Gründe („Leidenden helfen“, „von den Schmerzen erlösen“, „ein Leben ohne Zukunft beenden“) bloß als Tarnmotive der wahren Absichten, nämlich Geld zu sparen, eingesetzt werden?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung