6604526-1954_09_10.jpg
Digital In Arbeit

Nur ein Intermezzo

Werbung
Werbung
Werbung

Nach der „Frau ohne Schatten" hatten Textautor und Komponist das Gefühl, ein wenig: „schwer geworden“ zu. sein. Vor dem nächsten großen Werk, der „Aegyptischen Helena", branchte Strauß eine Atempause, ein wenig Ferien von der freundlich-strengen Aufsicht Hofmannsthals, der nun schon seit zwanzig Jahren die Rolle eines Mentors — und zuweilen auch ein wenig die Gouvernante — spielte. Es gab Zeiten, da Strauß kein Hehl daraus machte, daß er ein „unbezwingliches Talent zur Operette" habe, und er bezeichnete sich als den einzigen Komponisten unter den Zeitgenossen, der wirklich Humor, Witz und parodistische Begabung habe, „Ja, ich fühle mich geradezu berufen zum Offenbach des 20. Jahrhunderts, und Sie werden und müssen mein Dichter sein." AJ er das wollte Hofmannsthal nun freilich nicht, zumindest nicht auf die Art, wie Strauß es sich vorstellte. Auch für eine andere Neigung des Komponisten hatte der Dichter nichts übrig: „Ich möchte am liebsten immer mich selber komponieren — kann mich aber leider nicht dichten." Da ihn sein Textdichter im Stich ließ — wohlweislich und aus kunstpädagogischen Gründen, komponierte Strauß sich selbst ohne poetische Hilfe, zunächst im „Heldenleben" und in der „Domestica", dann 1924 in -der bürgerlichen Komödie mit symphonischen Zwischenspielen, „Intermezzo".

Eigentlich ist es erstaunlich, daß Strauß, der von jeher einen Hang zum musikalischen Naturalismus zeigte und auch in dieser Hinsicht ein echtes Kind seiner fortschrittsgläubigen Zeit war, nicht früher, auch vom Text her, in diesen Weg eingebogen ist. Er suchte — und hier fand er endlich —- den „ganz aus dem realen Leber, geschöpften, von nüchternster Alltagsprosa durch mancherlei Dialogfarbenskalen bis zum gefühlvollen Gesang sich steigernden Stoff". Natürlichkeit des Konversationellen und der Darstellung sind die Hauptqualitäten, auf die der „vetehr- liche Bühnenleiter" seine Aufmerksamkeit zu richten habe. Daher juch die Bitte des Autors, bei der Verteilung der Rollen keinerlei Ansprüche der Primadonna assoluta oder des ersten Baritons zu berücksichtigen, da im „Intermezzo" keine Opernhelden agieren, sondern wirkliche Menschen darzuštellen sind. Und zwar nicht nur wirkliche, sondern dem Komponisten auch sehr gut bekannte Personen; und der Meister von Garmisch-Grundlsee hatte es gern, wenn der Hofkapellmeister Robert Storch in der Maske von Richard Strauß auf die Bühne trat.

Wir sehen also das Straußsche Familienleben auf der Bühne, mit Kind, Freund und Hausfreund, Skatpartie und Kammerjungfer. Was da alles vorgezeigt wird und wie es zur Sprache kommt, ist menschlich entwaffnend, künstlerisch hochinteressant. Freilich bereitet nicht alles in gleichem Maße Kurzweil und Vergnügen. Alles Gefühlsmäßige und Dramatische ist viel zu dick aufgetragen, im Text zunächst, aber noch viel stärker in der Musik. Das war auch Hofmannsthals erster Eindruck nach der Premiere von 1924. („Ich war betroffen über den ganzen Ernst der Durchführung, und ich hatte mir das Ganze weit lustspielartiger gedacht und die Rolle der symphonischen Zwischenspiele nicht so gewaltig.") Strauß kannte die Gefahr der Orchesterpolyphonie, die der Tod des auf der Bühne gesungenen Wortes ist, denn ,,der leidige Satan hat uns Deutschen den Kontrapunkt in die Wiege gelegt, damit uns ai!f der Opernbühne nicht allzu wohl werde". Aber er war der Ueberzeugung, diese Klippen im. Musikalischen umschifft zu haben. Im Dialog, in der Konversation ist es ihm auch glänzend gelungen; in den lyrischen Partien leider. nicht. Auch das Textbuch eröffnete dem musikalisch-dramatischen Schaffen, wie er es vorausgesagt hatte, keinen „neuen musikalisch-dramatischen" Weg. Die Erneuerung kam von anderer Seite. Dieses Werk blieb nur ein Intermezzo. — Unter der Regie von Heinz Arnold als Gast, mit den Bühnenbildern Robert Kautskys und unter der musikalischen Leitung von Rudolf Moralt wurde „Intermezzo" im Theater an der

Wien nach 23 Jahren zu neuem Leben erweckt. (In den Hauptrollen Hilde Zadek, Alfred Poell, Anny Felbermayer und Rudolf Christ.)

Nach den verschiedenen „Neueinstudierungen" klassischer Werke im Theater an der Wien und nach den Premieren älterer Operetten auf der Linie „Girofle-Giroflä“ und „Der Graf von Luxemburg" in der Volksoper, wäre es nun an der Zeit, dem Spielplan durch die Neueinstudierung eines repräsentativen zeitgenössischen Werkes neues Blut zuzuführen. Denn die „Novitäten , die uns bisher in dieser Spielzeit geboten wurden, kann man bestenfalls als Intermezzi gelten lassen, denen hoffentlich bald wieder ein Hauptwerk folgen wird.

Helmut A. F i e c h t n e r

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung