6565601-1949_44_03.jpg
Digital In Arbeit

„Nur ein Jesuit!“

Werbung
Werbung
Werbung

Die Menschen unserer Generation sind gegenüber Redekunst skeptisch geworden. Zu oft sind sie in den vergangenen Jahren von Tribunen in Hoffnungen versetzt worden, die sich schließlich als blutig zu bezahlende Illusionen erwiesen. Und die Menschen unserer Generation sind auch skeptisch geworden gegenüber dem Schlagwort „Kreuzzug“. Denn zu oft wurden sie aufgerufen zu „Kreuzzügen“, die keine waren. Und die Menschen sind skeptisch geworden gegenüber den Worten von Liebe. Denn zu oft haben jene, die von Humanität redeten, Taten gesetzt, die Haß und Neid und Zwietracht gebaren. Die Menschen unserer Generation sind skeptisch geworden ‘ Um so erstaunlicher scheint es zu sein, daß Hunderttausende solcher freiwillig sich versammeln, um die Stimme eines Ordensmannes, eines italienischen Jesuiten, namens Riccardo Lombardi, zu hören, der sie zu einem Kreuzzug der Liebe und Güte aufruft. Noch mehr, der ihnen zuruft, daß sogar ihre Verzweiflung ein Lichtpunkt sei, da endlich Raum für etwas Großes in ihrem Leben geschaffen wurde, und der ihnen versichert, daß diese — jetzige — Stunde eine große sei und sie nicht verzagen sollten, da sie einer jungen und hoffnungsvollen Generation zugehören.

Welche geistigen Riesenkräfte besitzt dieser kleine, erst vierzigjährige Jesuit mit den klugen romanischen Augen, die, hinter Brillen verborgen, kaum etwas von den Schmerzen eines Leidens preisgeben, wohl aber Humor verraten? Welches Phänomen stellt dieser Piemontese dar, dessen Vater als Universitätsprofessor in Neapel wirkte, in der Nachbarschaft Benedetto Croces, und der selbst drei Doktorate erworben hat? Aus welchen Wurzeln fließen die Erfolge dieses Mannes in dem unscheinbaren Ordenskleid? Ein Erfolg, der sich schon an seine Fersen zu heften begann, als er im Jahre 1938, kurz nach Empfang der Weihen, seine ersten religions-philosophischen Vorträge begann. So daß bald die Aula der Universität zu klein wurde, schließlich auch das Theater, in das er sie verlegt hatte, schließlich auch die Radrennbahn, die größten Plätze, die größten Kirchen. Bis ganze Städte, ganze Provinzen, eine ganze Nation seinen Worten lauschten und schließlich die Welt auf ihn aufmerksam wurde. Welches sind die Wurzeln dieses Erfolges?

Ein ungeheures Gottvertrauen, das mitreißt, sagen die einen; ein ungeheuer natürlicher und vitalster Optimismus, der den Menschen Mut gibt, erklären die anderen. Eine glutvolle Mystik behaupten die einen; ein kühl berechnender Verstand, der das Herz einsetzt im Bewußtsein, daß in der tiefsten Schichte einer jeden Menschenbrust die Sehnsucht nach Güte wohnt, sagen die andern. Eine große Demut, meinen die einen, welche ihn sagen lasse, er sei nur ein kleines Menschenleben, hineingestellt in eine große Stunde, ein schlichtes, ja schlechtes Leben, das nichts sei als ein Werkzeug Gottes; eine überstarke Persönlichkeit, deren Wirkung durch die Behauptung vom schlechten Werkzeug nur erhöht werde, fügen die andern hinzu.

Wer von beiden Parteien hat recht? Wo liegen die wirklichen Wurzeln eines derartigen Erfolges? Vielleicht ist es die kluge Arbeit von Organisationen, die ihn „gemacht“ haben und ihm die Massen zutreiben? Aber gerade das Umgekehrte ist der Fall: zuerst kamen die Massen und dann erst die Organisation — wie so oft im katholischen Lager. Viele verweisen auf die große rhetorische Begabung cles Mannes als eine der Voraussetzungen seiner Erfolge, eine rhetorische Begabung, die ihn als würdiges Mitglied jenes Landes erweise, das von Cicero bis heute eine nicht unterbrochene Reihe von klassischen Rednern besitze. Aber mit Recht können andere darauf hinweisen, daß Lombardi der Erfolg auch treu bleibt, wenn er in Sprachen redet, die er nur mangelhaft beherrscht und deren Aussprache ihm Mühe macht. Es sei ein besonders starker und geschulter Intellekt, der den Jesuiten instand setze, nicht nur mit einem Universitätsprofessor, sondern auch mit dem kleinen Mann von der Straße und, was noch mehr sei, zu beiden gleichzeitig sprechen könne, und dies überdies noch in Definitionen und Sätzen, die einfach und doch nicht primitiv, klassisch gefeilt und prägnant, alle zu überzeugen vermöchten. Ein Intellekt, der gepaart mit einem starken historischen Bewußtsein und einem psychologischen Instinkt, welcher die besondere Situation des heutigen Menschen so klar durchschaue, des heutigen Menschen in seiner Ruhelosigkeit, seiner Einsamkeit, seiner Verzweiflung, seiner Skepsis, seinem rationellen Grübeln, seiner Angst, der diesen Jesuiten Worte finden lasse, die ihm die Massen zuführen.

Welches sind nun die wirklichen Wurzeln seines Erfolges? Wer hat mit seinen Behauptungen recht? Keine der Parteien: denn sie haben alle in ihrer Art recht. Wäre also dieser Pater Lombardi ein Phänomen? Man braucht nicht so weit zu gehen: er ist ein Jesuit. Lombardi gibt selbst Auskunft über die Quelle und Grundlage seines Erfolges in einem Aufsatz, den er vor einem halben Jahr in der Zeitschrift seines Ordens, „Civilti Cattolica“, erscheinen ließ. In diesem vielbeachteten Aufruf forderte er eine Reform aller katholischer Orden. Jeder Orden sei einst entstanden aus einer zeithaften Notlage — als geistig-geistliche Antwort auf eine Wunde, eine N°t der Zeit. Heute schlage nun eine neue Stunde für die katholischen Orden: die Gegenwart fordert sie ein — zu neuem Dienst; die Orden hätten heute eine große Chance: aus dem Geiste, aus dem Frömmigkeitsstil ihres Stifters und mit ihren spezifischen, in ihrer Gemeinschaft gewachsenen Mitteln müßten sie um eine neue Begegnung mit der Jetzt-zeit ringen. Aktivierung also ältester Kräfte der Tradition — in Konfrontation mit unserer Zeit. Dergestalt könnte nicht mehr und nicht weniger gewirkt werden als eine echte Revolution: eine Bewegung aus den Herzen der Liebe heraus.

Lombardi ist nun der Mann, der fest entschlossen ist, diese Chance für sich wahrzunehmen — der Mann, der die edelsten und ältesten Anliegen seines geistlichen Stammes wachruft in mutiger Begegnung mit unserer Zeit — und der dergestalt aufzeigt, was katholisches Ordensleben, richtig haben“, heißt es in diesen Satzungen, „sollen sich auf die Aneignung gründlicher und vollkommener Tugenden verlegen, das geistliche Leben pflegen und mehr Wert darauf legen als auf Wissen und andere natürliche Gaben.“ „Denn“, heißt es an anderer Stelle, „zur Erreichung des übernatürlichen Ziels sind jene Satzungen wirksamer, die das Werkzeug mit Gott verbinden und es befähigen, durch Gottes Hand geführt zu werden, als jene, die es mit den Menschen verbinden. Dergleichen übernatürliche Mittel sind Lauterkeit der Gesinnung und Tugend, vor allem aber Liebe, die reine Meinung im göttlichen Dienst und der aufrichtige Seeleneifer zur Ehre dessen, der sie erschaffen hat.“

Nach diesem Primat des Göttlichen befehlen die Satzungen ebenso streng, die natürlichen Mittel nicht zu vernachlässigen. „Diese Mittel sollen gepflegt werden“, heißt es, „seien es die angeborenen, seien es die erworbenen, insbesondere ein gründliches Wissen, die Form, es den Menschen in Predigten und Vorlesungen zu vermitteln und die Art, mit den Menschen zu verkehren und sie zu behandeln.“

Wer sich dem Orden anschließt, von dem wird verlangt, daß er sich gänzlich dem Dienst Gottes hingibt. Zum Wesen dieses Dienstes gehört es, daß er sich in der Hilfe für den Nächsten erschöpft. Zum Wesen dieser Hilfe, daß sie mit einem Optimum an Kräften ausgeübt wird. „Age quod agis“, „was du tust, tue ganz“, heißt es in den Exerzitien. Zum Wesen dieser Ausschöpfungen gehört es, daß sie nur mit Hilfe der Gnade erreicht werden kann. „Porro unum necesse est: id est gratia“, heißt es weiter in den Exerzitien, „eines nur ist notwendig: die Gnade“.

Zweifellos besitzt dieser italienische Jesuit große Geistesgaben. Aber seine ganze Größe macht sicherlich aus, daß er die Größe der Stunde erkannt hat und auch, welche Rolle einem kleinen Menschenleben in dieser erfaßt, heute für Sprengkräfte zu entfalten vermag. Aus dem Geist der ignatianischen Exerzitien und der Ordenssatzungen schöpft Lombardi seine Kräfte.

Diese Satzungen stellen eine seltsame Mischung von Idealismus und Realismus dar, von idealer Lebensauffasung und realem Wirklichkeitssinn. Eine Mischung, in der das Göttliche den unbestrittenen Primat innehat und gleichzeitig versucht wird, das Natürliche auf den höchstmöglichen Grad der Vollkommenheit zu führen. „Diejenigen, die sich der Gesellschaft angeschlossen Stunde zugedacht ist, das in Demut mit aller Kraft es unternimmt, der gestellten Forderung gerecht zu werden.

In einem Gebet, das Ignatius von Loyola zugeschrieben wird, heißt es: „Ewiges Wort lehre mich dir dienen, wie du es verdienst: zu geben, ohne zu zählen, zu kämpfen, unbekümmert um Verwundungen, zu arbeiten, ohne Ruhe zu suchen.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung