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Nyerere sammelt seine Kräfte

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Da waren in kurzer Aufeinanderfolge drei Affären von internationalem Nachhall, die miteinander im engen ursächlichen Zusammenhang stehen. Über sie, die im Mittelpunkt der Gespräche in den eingeweihten Sphären standen — und wer zählt sich unter der polnischen Intelligenz nicht zu diesen der Geheimnisse Kundigen? —, war in der Presse nichts als eine kleine Todesanzeige zu lesen. „Zycie Warszawy“ vom 28. Dezember brachte an verstecktem Ort: „Am 21. Dezember starb eines tragischen Todes im Alter von 41 Jahren Henryk Holland, Doktor der Philosophie, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Philosophie und Soziologie der polnischen Akademie der Wissenschaften, wovon in tiefstem Schmerz die Familie Mitteilung macht.“ Dr. Holland war niemand anderer als der einstige Kabinettschef des in der Versenkung verschwundenen ersten Ministerpräsidenten des 1944 wiedererstandenen Polens, Os6bka-Morawski, ein vielfach ausgezeichneter Held der Widerstandsbewegung gegen die deutschen Okkupanten, begeisterter Kommunist und einer aus der außerhalb Polens vergessenen Gruppe von „Po Prostu“, die im Oktober 1956 ausschlaggebend bei der Wiederkehr Gomulkas zur Macht mitgewirkt hat. Sprachkundig, weltgewandt, verkehrte er viel mit fremden Diplomaten und Journalisten. Denen hat er nun manches gesteckt, das in Polen peinlichst der Öffentlichkeit vorenthalten wird, in keine Zeitung darf und das trotzdem durch die Flüsterpropaganda, in entstellender Übertreibung, den Weg durch ganz Polen und ins Ausland nimmt. Um ein Exempel zu statuieren, drehte man Dr. Holland einen zunächst bildlichen Strick aus diesen seinen Bekanntschaften und Gesprächen. Des Verrats angeklagt, wurde er von Organen der Militärprokuratur aufgesucht. Da er in seiner Wohnung zweifellos Material besaß, das Mißwollende zum Substrat einer Anklage benutzt hätten, und im Vorgefühl, daß ihm die Vernichtung seiner Existenz und Jahre schlimmer Haft drohten, entzog sich der Ärmste durch einen Sprung in die Tiefe dem Walten der irdischen (Un)gerechtigkeit.

Davon. ,hat nun der, Korrespondent des Pariser „Monde“ eingehend an seine Zeitung berichtet. Noch-mehr, er hat von der höchst unangenehmen Angelegenheit des ebenfalls eifrig kommunistischen Schriftstellers Kornacki gemeldet, der sich nach der dem liberalen Holland entgegengesetzten Richtung fortentwickelt hat und wegen antisemitischer Pamphlete, die nicht einmal vor der Gattin Gomulkas zurückscheuten, ein Jahr Gefängnis aufgebrummt bekam. (Unnötig, zu betonen, daß diese Schmähschriften nur polykopiert verbreitet wurden.) Was half es dem französischen Journalisten Jean Wetz, daß er sich stets bemüht hatte, über Polen aufs freundlichste zu berichten und vor allem in der Frage der Oder-Neiße-Linie kräftig den polnischen Standpunkt zu verfechten? Er wurde am 8. Jänner ins Außenamt zitiert, wo ihm ein Beamter der Presseabteilung in dürren Worten mitteilte, Wetz' Aufenthaltsbewilligung, die am 17. Jänner ablief, werde nicht erneuert werden. Dem Faß hatte den Boden ausgeschlagen, daß Wetz, vermutlich in aller Unschuld, ein düsteres Geheimnis

enthüllte. Zum Jahreswechsel sollten im polnischen Rundfunk drei westliche Journalisten und ein sowjetischer sprechen. Daraus wurde nichts, denn ,,man“ war rechtzeitig eingeschritten. Doch derlei in die Welt hinauszu-drahten! Wirkung: Der polenfreundliche Franzose soll fort. Ob er wirklich heimgeschickt wurde, ist mir im Augenblick noch nicht bekannt. Jedenfalls hat der seinerseits abgehende französische Botschafter Burin des Roziers bei einer Unterredung mit dem polnischen Premier Cyrankiewicz die Sache erörtert und, vor allem, die französischen Behörden haben den Pariser Korrespondenten der amtlichen polnischen Agentur PAP verständigt,

daß dessen Aufenthaltsbewilligung im Mai nicht erneuert würde.

Unnützer Kleinkrieg

Auf diese Weise schlittert Polen wieder in einen kalten Kleinkrieg gegenseitiger Schikanen hinein, wie er vor 1956 bestanden hat. Das .aber ist sehr mächtigen Kreisen in Warschau keineswegs erwünscht. Sie trachten verzweifelt das Gleichgewicht zu behalten. Wenn nicht anders, mn die amerikanische Wirtschaftshilfe ' zu retten, die einen Moment lang fraglich zu werden drohte. Und überhaupt: Das Problem der polnischen Weltpolitik aber, von deren Nebengeleisen:

den Beziehungen zu den neuen Staaten, zur dritten Kraft, gelegentlich in einem anderen Bericht gesprochen werden soll, mag auf weite Sicht in den von uns genannten zwei Grundfragen beschlossen sein — dem Bewahren des Weltfriedens und im eigenen ungestörten Territorialstatus, im fried-' liehen inneren Aufbau —: in unmittelbarer1 “nächster Zukunft und, so fügen wir hinzu, innerhalb der polnischen Möglichkeiten, erschöpft es sich darin, daß, wie es im Sprichwort heißt, ,,wilk byl sity i koza cala“, daß der Wolf satt werde und die Ziege ganz bleibe. Ach, es ist nicht leicht, den sowjetischen Wolf und den Westen zufriedenzustellen!

Die bestürzende Nachricht vom Rücktritt Nyereres als Ministerpräsident von Tanganjika hat eine Schockwirkung ausgelöst, ein Beweis für das große Vertrauen, das er weit über sein Land hinaus genießt.

Was ist am 22. Jänner in Daressalam vor sich gegangen?

1954 hat Nyerere die TANU gegründet, hinter der schließlich fast das gesamte Volk Tanganjikas einschließlich der rassischen Minderheiten stand. 1959 sagte mir Nyerere: „Die TANU ist eher eine Volksbewegung als eine Partei. Ihr einziges Ziel ist die Erlangung der Unabhängigkeit für unser Land. Wenn wir dieses Ziel erreicht haben werden, wird es wohl zur Gründung eigentlicher politischer Parteien kommen.“

Die TANU ist heute Regierungspartei. Die Parlamentsmitglieder sind fast ausnahmslos Mitglieder der TANU oder, sympathisieren wenigstens mit ihr und wurden deswegen von ihr zur

Wahl vorgeschlagen. Neben der TANU fristet noch eine andere Partei, die ANC (African National Congress), gegründet und geleitet von Zuberi Mtemvu, ein klägliches Leben. Seitdem Mtemvu nach Peking wallfahrte, haftet der ANC das Stigma der Kommunistenfreundlichkeit an.

In jüngster Zeit entstanden schwerwiegende Spannungen zwischen der TANU und dem TFL (Tanganjika Federation of Labour = Nationaler Gewerkschaftsbund). Der TFL, der immer radikaler und klassenkämpferischer wird, drängt nach politischer Unterstützung seiner Bestrebungen und ist mit der TANU unzufrieden. Sein Generalsekretär Rwegasira drohte vor kurzem damit, eine eigene Arbeiterpartei zu gründen oder sich einer schon existierenden Partei anzuschließen. Natürlich bewerben sich nun Mtemvu und die ANC um den Zusammenschluß mit dem TFL, der ihnen politische Bedeutung verleihen würde.

die Lizenz zu entziehen. Es haben eben auch jetzt noch manche Europäer nicht gemerkt, daß sie in einem von Afrikanern regierten Staat leben. Kann man dem Stadtrat diesen Beschluß verargen? Oder was soll man

von der Eselei eines Schweizers sagen, der kurz vor dem Unabhängigkeitstag, also in einer Zeit höchsten nationalen Stolzes und höchster nationaler Empfindlichkeit, sich den „Witz“ leistete, seinem Hund Unabhängigkeitsmedaillen umzuhängen? Ist es Fremdenhaß, wenn er des Landes verwiesen wird? Wir dürfen hoffen, daß der neue Kurs, den Nyerere eingeschlagen hat, im besten Interesse seines Volkes, aber auch der übrigen Nationen Ostafrikas sein wird.

Sein Nachfolger, Rashid Mfaume K a w a w a, den ich persönlich als klugen jungen Mann kennenlernte, wird sich kaum des Rates seines langjährigen Freundes und Mentors Nyerere entschlagen. Kawawa war früher Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes, der erst nach seinem Wegzug in die Regierung unter Rwegasira eine radikalere Linie eingeschlagen hat.

Konzentration auf die Partei

Die TANU selber, deren einziges Ziel ja die Erlangung der Unabhängigkeit war, hat — das erkennt Nyerere klar — irgendwie die Orientierung und ihren Sinn verloren. Dazu kommt, daß gerade wegen des Fehlens einer .starken Opposition in der Partei Unstimmigkeiten und Streit entstanden sind. Sie bedarf also unbedingt einer Reorganisation und neuen Sinngebung, wenn der vernünftigen Innen- und Außenpolitik der Regierung nicht die parlamentarische Unterstützung entzogen werden soll. Nyerere war bisher Präsident der TANÜ und gleichzeitig Regierungschef. Die große und schwere Arbeit einer Reorganisation konnte er unmöglich neben seinen Regierungsgeschäften durchführen. Er erkannte auch mit Recht, daß niemand besser als er selber diese Umbildung der Partei durchführen könnte. So stand er vor der Notwendigkeit, seinem Posten zu entsagen, und es spricht für seine politische Reife und seinen Willen zum Dienst am Volk, daß er bereit war, auf den ehrenhaften Posten eines Regierungschefs zu verzichten, um die schwere Arbeit der Neuorganisierung der TANU auf sich zu nehmen.

Kein Staatsstreich

Zusammenfassend ist festzuhalten: Es gab in Tanganjika keinen Staatsstreich;

die Resignation Nyereres erfolgte nicht auf Druck oder infolge Differenzen innerhalb der Regierung, sondern ist ein persönlicher Entscheid Nyereres, dem die Parteigrößen erst nach dreitägiger Diskussion ungern zustimmten;

Nyerere persönlich hat seinen bisherigen Vizepremierminister Kawawa und auch die übrigen Mitglieder der Regierung nominiert;

er schenkt der neuen Regierung sein volles Vertrauen, bleibt Mitglied des Parlaments und erster Berater der Regierung;

er übernimmt hauptamtlich die Reorganisation der TANU, weil er diese Aufgabe für wichtiger hält als sein Verweilen in der Regierung;

er erklärt bestimmtest, daß weder die Innen- noch die Außenpolitik der Regierung geändert werde.

Und der „Fremdenhaß“?

Nyerere weigert sich in diesem Zeitpunkt, seine Reorganisationspläne bekanntzumachen, und sagt nur, er werde eine neue TANU aufbauen, ihre neue Aufgaben geben und

sie rester zur Unterstützung der Regierung heranziehen.

Und der wachsende Fremdenhaß in Tanganjika, von dem die Agenturmeldungen sprachen? Der Hauptgrund für dicsc_ Behauptung dürfte wohl in der Resignation des verdienten Finanzministers. Sir Ernest .Vasey, gelegen haben. Der Hintergrund dieser Resignation ist aber folgender: Sir Ernest kann aus persönlichen Gründen nicht auf sein bisheriges Bürgerrecht ver-

ziehten. Da nach neuestem Gesetz in Tanganjika kein Doppelbürgerrecht anerkannt wird, kann er als Nicht-bürger unmöglich dem Ministerkabinett weiter angehören; er bleibt aber als Finanzberater der Regierung. Übrigens sind die beiden anderen nichtafrikanischen Kabinettsmitglieder, Bryceson (Europäer) und Jamal (Inder), nach wie vor auf ihren Posten.

Ein weiterer Grund zur obigen Behauptung: Der Stadtrat von Daressalam hat beschlossen, in Zukunft iedem Geschäft, Hotel oder Klub in Daressalam, die Farbige oder Schwarze wegen ihrer Hautfarbe zurückweisen,

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