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O Laxenburg!

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IM KLEINEN, HÖLZERNEN „SALETTL“ an der Südecke des Schlosses Laxenburg ist die Kaiserin Elisabeth gern gesessen; sie hat hier so manche Stunde ihres unglücklichen Lebens verbracht. Wir müssen über lose Bretter und vermorschte Balken turnen, wenn wir es betreten wollen. Auf dem Boden liegt hereingewehter Schnee, in den Fensterrahmen stecken Glasscherben.

Von unserem luftigen Aussichtspunkt aus sehen wir in den langen Verbindungsgang hinein, durch den der alte Kaiser aus dem Hauptgebäude, dem „Blauen Hof“, zum Speisesaaltrakt hinübergegangen ist. Schnee bedeckt gnädig den Schutt, ein paar Balken und Stangen sind alles, was von der Decke des Ganges übriggeblieben ist.

Ueberau Trümmer, Schnee, vernagelte Fenster. Gähnende Leere in den Zimmern, eisige Stille über dem weiten Park. Hier und da noch ein paar Stuckreste und im chinesischen Zimmer Fragmente abgeblätterter Wandmalereien. Wir denken an die bewegte Klage des Dichters: ,,Dy grossen sint dem tode geweit wie alle, dy leben, es sint. Ob sies freut oder ob sies leit, wie samen verweht sie der wint ...“ Schnee auf Schutt, leere Räume, vernagelte Fenster — das ist Laxenburg heute, im Jahr 1956. *

DAS ÄLTESTE BILD DES SCHLOSSES, es stammt aus der Topographie des Matthäus Vischer aus dem Jahre 1673, zeigt uns eine mittelalterliche Burg mit Türmen, Zinnen, Gräben und eine Zugbrücke. Ein kleines Türmlein steht abseits, mitten im Wassergraben, über ein Brückchen zu erreichen. Es hat keinen Zweck, es setzt dem ernsten, verteidigungsbereiten Bollwerk einen heiteren Akzent, einen verspielten I-Punkt auf.

Es ist symbolisch für den Geist, der in allen Zeiten, durch die Jahrhunderte, in Laxenburg geherrscht hat. Das Lustschloß war im allgemeinen kein Ort für ernste Staatsgeschäfte, obwohl die Pragmatische Sanktion hier unterzeichnet, die Heilige Allianz hier geschlossen wurde, obwohl Laxenburg einer der traditionsreichsten Orte in der österreichischen Geschichte ist.

„Mein Leben ist eigentümlich in Laxenburg“, schrieb Josef II. an seine Schwester Marie Christine. ,,Um 5 Uhr in der Frühe stehe ich auf, reite bis 8 Uhr; bis 2 Uhr wird gearbeitet, dann ist das Diner in Gesellschaft, die von Wien kommt; diese begleitet mich bis 8 Uhr auf die Jagd, dann wird ein Spaziergang im Garten gemacht, die anderen kehren in die Stadt zurück und ich bin allein. So ist ein Tag wie der andere.“

Für die meisten Kaiser, die Laxenburg zu ihrem Lieblingsaufenthalt erkoren, war es ein Ort für Jagd und Fischfang, für religiöse Uebungen, ein Refugium vor der Last des Re-gierens.

DER AUFSTIEG LAXENBURGS begann, als es, nach Rudolf dem Wulczendorfer ledig geworden, von Abt Seyfried von Melk an Herzog Albrecht III. verliehen wurde. Albrecht III. „mit dem Zopfe“ baute hier nach der Rückkehr vom Kreuzzug gegen die heidnischen Preußen seiner Gemahlin Beatrix, einer „gar schönen Fürstin“, ein prachtvolles Schloß mit Tiergärten und Fischteichen, das bald sein liebster Aufenthalt wurde und der Wiener Residenz beinahe den Rang ablief. Hier hat ihn 1395 dann auch eine Krankheit dahingerafft.

Für Laxenburg kamen schwere Zeiten. Nicht jeder Herrscher hat es zu seinem Lieblingsort erwählt. Es folgten einander Türkennöte, Feuersbrünste, Zeiten des Geldmangels und der Baufälligkeit. Dem Schloßpfleger Gußmann, der das Schloß 1541 gegen die Türken verteidigungsbereit gemacht hatte, schrieb das Vicedomamt als Antwort auf seine Spesenrechnung, er hätte die Kanonen eigenhändig putzen sollen. 1550 entstand schwerer Schaden, als die Pulverstampfe in die Luft flog. 1583 bat Auersperg, der in wenigen Jahren ein Vermögen investiert hatte, um das Schloß zu retten: „Nachdeme Ich... in dem herfordern stockh, darinnen Ich mein Wonung, nit mehr den ain ainzige camer hab, das die hoch und unvermeidliche nottdurft erfordert, mir ain schlaffcamer erbauen zu lassen.“

Nein, ein Aufenthalt in Laxenburg muß damals kein reines Vergnügen gewesen sein. J. B. Kuchelbecker schrieb 1730 in den „Allerneuesten Nachrichten vom Römisch Kayser-lichen Hofe“ anschaulich und drastisch:

„Das Schloß Laxenburg ist alt und klein... die Zimmer sind in solchem über die Maßen enge und niedrig, auch nicht sonderlich meu-blirt... Ebenso ist auch der dasige Schloßhof beschaffen, welcher nicht sonderlich groß, sondern sehr enge ist. Auf dem Thore steht Kaiser Friderici III. Symbolum A. E. I. O. U. und die Zahl 1440.“ *

HIER, IM „ALTEN SCHLOSS“, das heute noch steht, war durch Um- und Zubauten nichts mehr zu machen. Die Gräben und Befestigungen hinderten jede Erweiterung.

Die Prunkräume, durch die noch vor kaum zwanzig Jahren Menschen aus allen Ländern bewundernd geschritten sind, sie sind natürlich nicht dieselben, die Kuchelbecker als „über die Maßen enge und niedrig“ schildert. Die junge Maria Theresia erwarb den Blauen Hof, der dem Herzog von Sachsen-Teschen gehört hatte, und baute ihn nach und nach zum neuen Schloß von Laxenburg aus. Hier hat sie dann auch einen großen Teil ihres Lebens verbracht, hierher kehrte sie immer wieder zurück, hier brachte sie die meisten ihrer Kinder zur Welt.

Dieses Laxenburg ist mit den Kindheitserinnerungen aller Habsburger, die nachher kamen, untrennbar verwoben. Hier, im Kinderspielzimmer im Südosten des Obergeschosses, hat Kronprinz Rudolf gespielt. Hier hat Franz Joseph, der unermüdliche Arbeiter, seine Regierungsgeschäfte erledigt.

VORBEI. VERWEHT. Das Lustschloß ist heute ein ödes Gemäuer. Ueber die Wände, an denen kostbare Bilder hingen, ist ein Blümchenmuster in Russischblau gewalzt. Die spiegelglatten Parketts, in denen sich der Glanz reicherer Zeiten spiegelte, sind stumpf geworden und geworfen.

Die Zimmer im ersten Stock: leer, ruinierte Böden, abgebröckelter Verputz, demolierte Türstöcke, zugenagelte Fenster.

Im Parterre: Franz Josephs Arbeitszimmer. Nackte Ziegelmauern, kein Fenster- und kein Türstock. In der Mitte s^eht ein eisernes Faß. Von der Decke hängen Fetzen herunter, im Vorraum liegt das verbogene Gestänge und das große eiserne Schwungrad der Aufzugsmaschine. Einen Stock höher ist die Privatstiege des Kaisers mit einer Matratze verrammelt.

Der große ovale Speisesaal mit seiner herrlichen Form und dem bedeutenden künstlerischen Schmuck: Nur die Form ist geblieben. Vom Deckenbild ist nicht mehr viel zu sehen. Auf dem Boden: Schutt, verrostete Autobestand-teile. ölgetränkte Putzlappen. Man kann den Saal nicht betreten, er ist mit Brettern und Stacheldraht verbarrikadiert.

Das chinesische Zimmer: Nackte Ziegel. Das Theater: Eine öde, leere Stätte. Man sieht in den Dachboden hinein. Irgendwo ein mächtiges Holzrad vom Kulissenaufzug. Eine traurige Kulisse I

LAXENBURG, O LAXENBURG, wie konnte es so weit kommen? Es begann 1938, im Jahr des großen Unheils. Laxenburg, das von 1919 bis zum 26. Februar 1938 zum Kriegsbeschädigtenfonds und später, nur kurze Zeit, dem Familienfonds des Hauses Habsburg gehört hatte, wurde beschlagnahmt und später in das Eigentumsrecht der Stadt Wien übertragen.

Die Möbel kamen ins Bundesmobiliendepot, wo sie zweckentfremdet und fern den Räumen, in die sie hineinkomponiert waren, heute noch stehen — gottlob unbeschädigt.

Ins Schloß kam eine Panzerabteilung. Sie begann mit dem großen Demolieren. Soldaten sind überall gleich.

Dann kamen die Russen. Sie blieben zehn Jahre. Was übriggeblieben ist, haben wir geschildert.

Heute gehört Laxenburg noch immer der Gemeinde Wien. Der Ministerrat hat im Juni 1954, vor der Ausgemeindung Laxenburgs, auf eine Rückstellung zugunsten des Bundes verzichtet. Es dürfte ihm nicht schwergefallen sein, dieses Danaergeschenk zu machen, um so mehr, als das Schloß damals noch besetzt war. Der Besitz Laxenburgs ist, obwohl zum Schloß große, landwirtschaftlich nutzbare Flächen gehören, kein Vorteil. Er ist eine Verpflichtung.

LAXENBURG IST HEUTE; so wie es dasteht, ein Triumph des Geistes über die Gewalt. Die Parketts sind zerstört. Die Möbel zerstreut. Der Stuck ist abgebröckelt, der Marmor abgestoßen. Der Verputz der Wände ist fort. Der Glanz ist dahin.

Aber das nackte Mauerwerk, die beschädigten Fassaden, sie strahlen noch immer den Glanz einer gewaltigen Bauepoche aus. Ueber dem weiten, verlassenen Park liegt noch der Abglanz glücklicherer Zeiten. Die „ruhige Geschlossenheit der Massengliederung, die einfachen Konturen, die in flachem Relief gehaltene Aufteilung der Wände und Flächen, die sich nur auf eine lineare Andeutung von Pilastern, Lisenen und anderen Ziergliedern beschränkt, die leichten, lockeren Girlanden und Blattgewindc. die sparsam da und dort um eine Konsole, einen Schlußstein geschlungen sind“ (Otto Benesch), haben ihren Reiz bewahrt. Laxenburg ist nicht hur eine traditionsreiche Stätte der österreichischen Geschichte, Laxenburg ist noch immer kostbarer österreichischer Kunstbesitz. Laxenburg muß wieder erstehen!

ES MAG SEIN, daß diese Aufgabe über die Kräfte der Gemeinde Wien allein, über die Kräfte des Staates allein geht. Es mag sein, daß sachliche, finanzielle oder politische Schwierigkeiten im Wege stehen. Wir wollen uns in keine Auseinandersetzung mischen. Wir wollen nur noch einmal feststellen: Laxenburg muß gerettet werden!

ES MAG AUCH SEIN, daß sich unsere Zeit den Luxus eines Lustschlosse, nur musealen Zwecken gewidmet, nicht leisten kann. Sie kann sich nur Zweckbauten leisten, Bienenwaben der Geschäftigkeit, die einzige Schönheit, die sie kennt, ist jene, in der sich Zweckmäßigkeit ausdrückt. Es mag schwer seih, in dieser Zeit einen neuen Verwendungszweck für ein Lustschloß zu finden. Es mag sein, daß unsere Zeit kein Verständnis für den Geist besitzt, der sich in dieser Architektur ausdrückt.

Glücklicherweise leben wir auch in einer musealen Zeit, die Vergangenes pflegt, auch wenn sie es nicht versteht. Wir dürfen daher hoffen. Wir dürfen annelimen, daß es mit Laxenburg. auch wenn seine Glanzzeit bis auf weiteres vorüber, noch nicht vorbei ist.

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