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David Guterson traut sich was: in seinem jüngsten Roman erzählt er von einer Marienerscheinung in amerikanischen Wäldern.

David Gutersons atmosphärisch dichter Roman "Schnee, der auf Zedern fällt" hat seine Leser mit dunklen Kapiteln der japanisch-amerikanischen Geschichte bekannt gemacht. Weniger historisch aufklärend unterwegs, weniger dicht erzählt ist Gutersons jüngster Roman "Unsere liebe Frau vom Walde", die - wie der Titel richtig vermuten lässt - Geschichte einer Marienerscheinung, eine moderne Version der Bernadette von Lourdes, ins heutige Amerika übertragen. Der Autor hat dafür die "typische" Struktur von Marienerscheinungen übernommen: Maria wendet sich an eine theologisch völlig ungebildete junge Frau, was Skepsis der Amtskirche auslöst, vor allem aber Geschäfte, die das spirituelle Ereignis, wenn es denn wirklich stattgefunden hat, vollkommen zu überschwappen drohen. Die Romanhandlung beschränkt sich auf sechs entscheidende Tage, 10. bis 16. November.

Ein spektakuläres Ereignis also im Amerika der Gegenwart, aber merkwürdig wenig spektakulär erzählt. Dabei versucht David Guterson einiges aufzubieten, vor allem an Personen: das Mädchen Ann, das eine nicht gerade glückliche Kindheit und Abtreibung hinter sich hat, vergewaltigt wurde, Drogen nahm, kurz: alles andere als eine unberührte Heilige ist, und dem nun in den Wäldern von North Fork die Gottesmutter erschienen sein soll; den liberalen, skeptischen und schwachen Pfarrer Collins; seinen "Widerpart", den offiziellen Kirchenvertreter Butler, einen beinahe zynischen Funktionär, gesandt, um die Spreu vom Weizen zu trennen; Anns Freundin Carolyn, die zwar nichts mit Religion am Hut hat, aber rasch das Geschäft ihres Lebens wittert und sich selbst zur Managerin der Seherin beruft; das erlösungsbedürftige und/oder sensationslüsterne Volk, das sich schnell anlocken lässt; uneinsichtige Waldbesitzer und schließlich Tom Cross, den gewalttätigen Mann aus North Folk, gescheitert, geschieden und schuldbeladen, auf dem besten Weg, ein religiöser Fanatiker zu werden.

Warum man diesen Roman lesen sollte, weiß man am Ende aber leider nicht. Zugegeben, er erzählt ein Stück ungeschönter amerikanischer Wirklichkeit, die nicht die Wirklichkeit der Börse, nicht die der Skyline von Manhattan, des von Hollywood vorgegaukelten Luxuses ist, sondern die aus Armut besteht, aus Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und daraus resultierender Gewalt, aus nicht möglichen Lebensentwürfen - ganz entgegen den Versprechungen des amerikanischen Traums. Aber literarisch ist diese Einsicht in die Wälder der amerikanischen Gesellschaft von Schriftstellerkollegen schon beeindruckender vorgebracht worden. Gutersons Figuren bewegen sich allzusehr als Typen, viel zu wenig als Menschen aus Fleisch und Blut. Die Handlung scheint zu konstruiert und über Religion, über Glauben erzählt der Text nichts Neues, auch die Spannungen zwischen den zwei Kirchenvertretern sind längst Klischee. Katholisch ist er übrigens nicht, der Roman, ebenso wenig wie seine Protagonistin, die heimgesuchte Ann, ebenso wenig wie auch ihre Umgebung. Ebenso wenig wie der aus einer jüdischen Familie stammende Autor selbst, der sich als Agnostiker bezeichnet. Vielleicht ist dies das Problem des Romans: dass alles Erzählte so angelesen, so unauthentisch wirkt. So ist der Roman weder als Kritik an denkwürdigen Glaubensauswüchsen zu lesen, noch als glaubwürdige Darstellung eines Wunders noch schlicht als überzeugende Geschichte.

Die Frage nach der Wahrheit von Anns Vision lässt der Autor offen. Seinen Schwerpunkt setzt er, darin einen Nerv der Zeit treffend, auf menschlich, finanziell, politisch enttäuschte Menschen, die sehnsuchtsvoll auf Erlösung, Zuflucht, Rettung warten und für die ein jedes noch so kleines Anzeichen Grund genug wäre um aufzubrechen um in den Wäldern oder sonstwo Hilfe zu finden.

Unsere liebe Frau vom Wald

Roman von David Guterson

Dtsch. v. Anne Rademacher

Verlag Bertelsmann, München 2004 444 Seiten, geb., e 23,60

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