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Odyssee auf heißem Asphalt

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„BONJOUR, MONSIEUR!“ Es klang eher beißend, getragen von dünner Ironie. Ich wollte revoltieren gegen diesen die französische Höflichkeit ad absurdum führenden Polizisten, der — allzu bürokratisch — mich der Erregung öffentlichen Ärgernisses bezichtigte und daraus wohl eine Gefährdung der französischen Nation folgerte. Denn wie sonst wäre es zu erklären, daß man einen die Bequemlichkeit einer harten Bank auskostenden „Nobelclo-chard“ störte und ihn, den Romantiker, mit Nüchternheit strafte — in Paris, am Montmartre?

Über mich gebeugt, wartete er nun die Reaktion seiner Worte ab. Mein mühsam errichtetes Kartenhaus französischen Vokabulars — der Alptraum eines Parisers — verhinderte auch die kürzeste Verteidigungsrede, so daß ich zu einem gekünsteltfreundlichen „Bonjour“ Zuflucht nehmen mußte. Die nun folgende „Delogierung“ aus dem Vergnügungsviertel, über das schon die Strahlen der aufgehenden Sonne hinwegfingerten, ließ mich in kleinstem Maß jene Atmosphäre erahnen, die sich jener bemächtigen mußte, die richterlicher Befehl tatsächlich auf die Straße setzte; sie war aber auch richtungweisend für die nun folgende Fahrt, die mich, abseits von einem bürgerlich-satten Leben, als Wanderer auf den Straßen Westeuropas und Nordafrikas den Gesetzen fremder Willkür preisgab.

„Sonntags nie“ ist nicht nur ein Filmtitel, sondern auch ein ungeschriebenes Gesetz für „Hitch-hikers“ In Frankreich. Ist es schon wochen-

tags für einen Burschen ein klägliches Unterfangen, gegen die am Straßenrand winkende Weiblichkeit aufzukommen, so scheint es am Sonntag überhaupt unmöglich, auf fremden PS das Land zu durchstreifen. Nüchtern betrachtet, bewegte ich mich also auf verlorenem Posten, als ich, mit herausforderndem Optimismus gedopt, in La Rochelle der Ausfahrtsstraße nach Bordeaux zustrebte. Meine große Zuversicht schwand aber zusehends, als ich plötzlich — nach einer Straßenbiegung — das mir bislang noch unbekannte Bild eines ländlichen Durcheinanders wahrnehmen mußte: Quergestellte Heuwagen, Kühe, Schweine und Hühner; dazwischen

um ihre Weiterfahrt betrogene Autofahrer und Bauern in Sonntagsstaat.

SO BERUHIGEND ES NUN OFT sein kann, politischen Neuigkeiten mit Desinteresse zu begegnen, so unklug war es in meinem Fall, da ich sonst die Straße mit dem „Bauernaufstand“ sicher gemieden hätte. Im Geist sah ich mich abermals beim Bahnhofsvorstand von La Rochelle um eine weitere Nächtigungserlaub-nis anfragen, als unter wilden Verwünschungen der Bauern Polizeiautos vorfuhren, deren Insassen den Aufstand für beendet erklärten. Der Schauplatz geschlagener Bauernschlauheit sah mich alsbald als lachenden Dritten in den Fond einer cremefarbenen Limousine steigen, deren Fahrer meine Bitte um Mitnahme schon aus Gründen der verpflichtend-französischen Liebenswürdigkeit nicht abschlagen konnte.

In Frankreich muß der anspruchslose Wandersmann vor den enorm hohen Preisen auch der notwendigsten Lebensmittel erblassend kapitulieren. Da es der Wissenschaft bis heute noch nicht gelungen ist, die spezifisch französische Atmosphäre — Hauptattraktion für so manchen genesungsfreudigen Jüngling älteren Jahrgangs — der Ernährung dienlich zu machen, sah ich mich veranlaßt, auf schnellstem Weg nach Spanien umzusiedeln.

*

DIE JUGENDHERBERGE VON SAN SEBASTIAN heißt den frankreichmüden Abenteurer mit all-

abendlicher Folklore willkommen und rechtfertigt somit ihren Ruf als „Tor zum Paradies“. Dieses „Globetrotterfestival“ — im Vorpark veranstaltet — entfacht mit seinen Gitarren- und Kastagnettanklängen einen heißen, turbulenten Stimmungszauber, dem der Wein zusätzliches Feuer gibt. So saß auch ich bald inmitten rauhbeiniger Gesellen, unterstützte tatkräftigst die Binsenweisheit, die Rotwein als gut fürs Blut hält, und wäre todunglücklich gewesen, hätte ich geahnt, das Ende dieses Festes nicht mehr erleben zu können. Den Abfälle einsammelnden Rasenpflegern blieb es vorbehalten, mich am nächsten Morgen aus dem „Bett“ zu holen ...

Ungepflegte, mit Schlaglöchern übersäte Fahrbahndecken, auf denen karrenziehende Eselchen dahintrot-teten, abgezehrte Gäule ihre ramponierten Kräfte zusammenrafften und dahinziehende Schafherden ihr disharmonisches Blöken hören ließen

— das waren also, nach meiner Straßenkarte, Spaniens Fernverkehrsstraßen. Unschlüssig besah ich die „Überlandtransporter'': vorbeiratternde, in ländlich-penetranten Geruch gehüllte Ochsenwagen. Die aufhalten? Spöttisch klang das Geschrei der Esel. Und zähneknirschend mußte ich mich auf den Weg machen. Zu Fuß ...

Erst nach Wochen, als ich im heimatlichen Freundeskreis Details dieser „Kur“ zum besten gab, bekannte der Spender meiner Spanienstraßenkarte, daß sie schon zehn Jahre alt sei! — Es war die härteste Bewährungsprobe unserer Freundschaft.

*

LISSABON ERÖFFNET DEM BESUCHER mit dem Vasco-da-Gama-Denkmal die traditionsreiche Vergangenheit einer Seefahrernation. Denn es war der Portugiese Vasco da Gama, der die Einfügung der riesigen asiatischen Landmasse in das geographische Weltbild der Europäer brachte. Die Stadt, das Mekka der Seeleute, fasziniert mit ihrer pedantischen Reinlichkeit und begeistert den Freund der Kunst mit dem Kloster der Jeromiten, die letzte Ruhestätte Camoes' und Vasco da Gamas. Der frischimportierte Wandersmann stellt dagegen erbittert fest, daß ihn der portugiesische Jugendherbergs-verband jener herzerfreuenden Ko-edukationsatmosphäre beraubt, wie sie mitteleuropäische Gästehäuser mit sich bringen. Wie bescheiden wirken doch die dort mancherorts gebräuchlichen Paravents. im Vergleich zu den streng geschlechtertrennenden Häusern Portugals, wo sich der Mond als Conferencier einer milden Abendstimmimg dem strengen Reglement unterwerfen muß. Und das in jenem Land, von dem Henri de Monther-lant sagt: ..Diese Frau, die an der Seite Spaniens ruht!“ So bezog ich also Quartier in der Burschenherberge „Sao Bruno“, einem ehemaligen Fort. Ich war überrascht von dessen wunderbarer Lage: direkt am Atlantik und nur über ein Brück-chen erreichbar. Allein dieses romantische Quartier hätte schon meine Reise rechtfertigen können und drängte alle widrigen Begleitumstände in den Hintergrund. In tiefes Staunen versetzte mich aber die Mitteilung des Herbergsvaters, ich sei der erste Gast seit Monaten und dürfe somit allein die Fortherrlichkeit

— samt unbenutzbarer Kochgelegenheit, reparaturbedürftiger Dusche und zweier Schlafsäle — genießen!

NACH FÜNFTÄGIGEM EINSIEDLERDASEIN, müde der heftigen Debatten über die sinnlos-frühe Sperrstunde, rüstete ich erneut zum Aufbruch, übersetzte den Tejo nach Se-tubal und trampte nach Süden. Ich

aß von Feigen- und Mandelbäumen, schlief am Strand, begleitete Fischer aufs Meer hinaus und erfreute mich ihrer grenzenlosen Gastfreundschaft. Wie im Traum beschritt ich den reichen Gabenteppich jugendlichen, ungezwungenen Erlebens.Der nächtlich-makabre Zusammenstoß mit einem Soldaten am Guadiana — dem Grenzfluß zwischen Portugal und Spanien — überstieg freilich schon das Übermaß lockenden Abenteuers. Wie aber hätte ich ahnen können, ausgerechnet auf dem Arbeitsfeld strebsamer Schmuggler und Banditen zu übernachten? Nachdem ich mich vor entsichertem Gewehr ausgewiesen hatte, legte sich die nervöse Spannung zusehends, und herbeigebrachte Stühle leiteten bald zu einer gemütlichen Plauderei über.

AN DEN SÄULEN DES HERKULES — in Gibraltar — entschied ich mich für einen kleinen Ausflug nach Marokko. Es war ein Vabanquespiel mit den Grenzbehörden, da mein Paß keine außerkontinentale Gültigkeit besaß. Ich wartete mit anderen Reisenden, stand im Geist am Roulettetisch. Man drängte, schob mich nach vorne. „Mesdames, Messieurs, rien ne va plus!“ Ich überreichte

Photos: Leilntr

meinen Paß: Man blätterte — die Kugel rollte nur noch träge, blieb stehen. Bange Sekunden, vergleichende Blicke, ein lächelndes „pas-sez“ — gewonnen!

Der Ruf des Muezzins schallt über das Land, vereinigt die Moslems zum Gebet. Das hektische Treiben der Kasbah verstummt, wird still, um dann erneut loszubrechen. Teppiche werden gewebt, der Schuster schwingt seinen Hammer, Wasserverkäufer schreien sich heiser, Bettler liegen auf der Straße — und dazwischen Esel, Esel und Esel. In diesem Chaos arabischer Geschäftigkeit verlor ich in der Medina von Fez die Orientierung und irrte noch zu nächtlicher Stunde im Labyrinth der engen Gäßchen. Ein Leutnant der marokkanischen Armee las mich auf und bot mir überdies sein Haus als Quartier an. Konnte ich dies zunächst kaum fassen, verschlug es mir alsbald den Atem: Sihi wurde mir vorgestellt, mein — Diener! Solcherart der Obhut eines barfüßigen Lakaien anvertraut, stieg ich ins eingelassene Bad, benützte vier Seifenarten, wurde massiert und — „Ach, Sihi! Kannst du mir Schuhe borgen?“

Eine Woche später verließ ich Marokko, wechselte nach Europa über, auf den heißen Asphalt sommerlicher Straßen...

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