7110607-1995_48_44.jpg
Digital In Arbeit

Odyssee durch die Zeiten

Werbung
Werbung
Werbung

Geburtstage steuern Erinnerungen aus dem Halbbewußtsein ins Tageslicht der Gegenwart zurück. Meine erste Erinnerung an die Furche ist der schwere, in Düsterkeit gehüllte Crucifixus, der das ganze Stiegenhaus des alten Herold-Gebäudes in der Wiener Strozzigasse dominierte. Bedrückt stieg man an ihm vorbei zum Büro von Friedrich Funder empor, der - ich weiß gar nicht mehr, auf wessen Empfehlung - zu einem Gespräch über die Einkürzung seines ersten Memoirenbandes „Vom Gestern ins Heute” für den englischen Sprachraum gebeten hatte. 718 Seiten des Altmeisters auf 270 Seiten zusammenkürzen und stellenweise interpretieren zu dürfen, ehe eine sprachkundige Übersetzerin die Übertragung in amerikanisches Englisch besorgte: Das war für einen Jungredakteur der „Bieder Volkszeitung” ein Auftrag, der ehrfurchtsvolle Schauer über den Bücken rieseln ließ.

Das unglaubliche Werk gelang ohne Zerwürfnis und hatte eine Einladung zum Verfassen einer---

Glosse für die furche zur Folge, deren redaktioneller Leiter Herr Funder damals war. Ich erinnere mich nicht mehr an das Thema, wohl aber daran, daß ich darin schwarze und braune Hühner gackern ließ - und daß Funder sie niemals druckte. Sein Qualitätssinn war unbestechlich. Die Bewunderung für furche und Funder aber war für mich in der Mitte der fünfziger Jahre begründet. Sie sollte sich als unwiderruflich erweisen.

Was mir von Anbeginn imponierte, war die klare Position der Zeitung und die unverwechselbare Art, wie diese durch ihren Chefredakteur nicht nur geführt, sondern auch personifiziert wurde:

Funder war für uns Damalige die furche, und die furche war Funder. Sein kleines „ f” unter einem die ganze Titelseite füllenden Leitaufsatz (damals zeichnete man noch keine zweispaltigen Gerichtsreportagen mit vollem Namen) ließ keine Zweifel über Ernst und Gewicht des Anliegens aufkommen. Ein solches brachte Bischöfe wie Minister zum Jubeln oder Zittern oder (wie 1953 Außen -

Erinnerungen an bewegende und bewegte Zeiten: Hubert Feichtlbauer über die Zeit mit Friedrich Funder und seinen Nachfolgern. minister Karl Gruber) zu Fall.

Aber nicht das Stürzen war Funders fundamentales Ziel, sondern das Aufbauen. Versöhnung der politischen und weltanschaulichen Gegner von gestern, Motivation auch zum geistigen Wiederaufbau der neugeborenen unabhängigen Republik Osterreich. Vergeben des Geschehenen, aber kein Vergessen, Bekenntnis zur ganzen österreichischen Geschichte ohne beschönigende Auslassungen: Das alles beeindruckte dauerhaft. Die Lektüre von Funders Memoirenbänden offenbarte, wie sehr er selbst ein durch Leiden Lernender gewesen war, ehe er ein Weiser geworden ist.

Für uns Junge stand Friedrich Funder für Zukunft und Weltgestaltung. Nicht zuletzt die Tatsache, daß er (wie Gustav Canaval oder August Maria Knoll) ein CVer war, bestärkte mich in der Überzeugung, daß auch das zeitgenössische farbentragende katholische Studententum zu welt-und zukunftoffener Gesellschaftsreform fähig und berufen sein mußte.

Dann kam Kurt Skalnik, der das Blatt redaktionell von 1957 bis 1967 lenkte, während ich in Ried im Innkreis, Linz und Salzburg journalistisch tätig war. Die Verbindung zur „großen Politik” und zu dem, was in Orts- und Weltkirche geschah, bildete vor allem die furche. Die Aussöhnung gläubiger Katholiken mit Sozialismus und Gewerkschaften, aber auch mit anderen christlichen Kirchen („Konfessionen” sagte man unsicher damals noch) stand auf dem Programm, Franz König wurde schrittweise zum entscheidenden kirchlichen Weichensteller, ein Richtungsstreit innerhalb der christdemokratischen Volkspartei (Heinrich Drimmel oder Josef

Klaus?) schuf prinzipielle Kontroversen, Bruno Kreiskys Stern tauchte am Horizont auf.

Skalnik, immer bereit, Elias Canet-tis Warnung vor einem der „unheimlichsten Phänomene menschlicher

Geistesgeschichte, dem Ausweichen vor dem Konkreten” ernstzunehmen, focht wacker auch gegen deutsche Schirmmützen für österreichische Bundesheer-Offiziere und wider eine Verschande-lung der Wachau durch Straßenmonster: Landschaftsbewußtsein 20 Jahre, bevor dann alles davon redete!

Als Skalnik die Furche verließ und später ins Pressebüro der damals von Franz Jonas besiedelten Hofburg wechselte, weil sein Kurs der Offenheit schon zu viele Kleingläubige verängstigt hatte, dankte ich ihm schriftlich, ohne ihn persönlich näher zu kennen, für seine „liberale, eher linke Katholizität”. Den Antwortbrief finde ich leider nicht mehr, aber sein darin zum Ausdruck gebrachter Schrecken über dieses mißratene Kompliment ist mir noch deutlich in Erinnerung. Mittlerweile hat mich Kurt Skalnik erkennen lassen, über wieviel Phantasie und Mut zu notwendigen Neuerungen ein echter Wertkonservativer verfügen kann.

Als in Österreich politisch und geistig viel im Umbruch war, sollte die furche an einen deutschen Parteigänger des im Doppelsinn „rechten” Katholizimus als Herausgeber ausgeliefert werden: Emil Franzel. Daraus wurde nichts, weil der Widerstand in Österreich zu groß und zu eindeutig war; das Widerstands-Trio Skalnik/Brandstaller/Pelinka hatte starken Zuzug von Bundesgenossen aller demokratischen Lager erhalten. Ihren Arbeitsplatz verloren sie 1967 alle drei.

Die innerösterreichische „Kompromißlösung”, die beruhigen sollte, war die nun folgende Herausgeberschaft und Chefredaktion von Willy Lorenz, der sich gegen den Vorwurf zu behaupten hatte, „die zugepflügte furche”' (Buchtitel von Trautl Brandstaller) sei Opfer eines rechtskonservativen Putsehes geworden.

Der Gegenbeweis wurde zuallererst von Agrarpraktikern erbracht: Furchen kann man nicht zupflü-gen. Bald schon steuerte Willy Lorenz, der sich redlich um Beruhigung bemühte, Hans Magenschab, zuerst innenpolitischer Redakteur der Furche, in die Position des Chefredakteurs. Magen-schab brachte für diese Position nicht zuletzt seine historischen Fachkenntnisse und eine große Liebe zum alten, übernationalen Österreich mit, die ihn nicht als Fremdkörper in dieser Zeitung erscheinen ließen. Neue politische Entwicklungen und neue Fragestellungen drängten alte innerkirchliche Frontstellungen vorübergehend in den Hintergrund. Magenschab steuerte einen Kurs der Mitte und öffnete die Furche stärker auch zu Intellektuellen hin, die nicht in einem unmittelbar katholischen Umfeld beheimatet waren. (Und im übrigen war die Zeit der Bloy, Peguy, Saint Exupery, Graham Greene, Wiechert, Langgässer, Henz und wie sie alle hießen, ohnehin längst vorbei.)

Als ein Hauptproblem der furche ließ sich nicht länger der Geldmangel vor den Augen der Öffentlichkeit verbergen. 1976 bereitete Styria-Generaldirektor Hanns Sassmann den Überlebenszweifeln ein Ende: Zusammen mit Wolfgang Schmitz und Bertram Jäger übernahm er die Herausgeberschaft, stellte das Blatt auf eine feste Finanzbasis und schickte das renovierte Schiff unter Cheftedakteur Felix Gamillscheg wieder auf die auch innerkirchlich stürmischer werdende hohe See.

Als ich zwei Jahre später die redaktionelle Leitung übertragen bekam, weil Gamillscheg, der Mann mit der goldenen Hand im Umgang mit lernbegierigen Eleven, die Leitung der Katholischen Medienakademie übernahm, war die Schwerarbeit des Neubeginns getan.

Auf solidem Grund konnte im Geist des unvergessenen Gründers der Versuch fortgesetzt werden, die Furche auf Kurs zu halten: Als geistige Heimat für weltoffene Christinnen und Christen, aber auch für Intellektuelle mit anderen geistigen Heima-ten, als Dialogorgan für Kirche und res publica, als Anwältin für Ökumene und Menschenrechte: ein Auftrag, den uns schon Friedrich Heer (.f 1983) hinterlassen hatte, als er eine Erziehung schon von Kindesbeinen an zur „Freude am Anderssein der anderen” verfocht. Welch ein Legat von beklemmender Aktualität!

Hannes Schopf hat als Chefredakteur von 1984 bis 1994 die furche an fatalen Klippen und heimtückischen Eisbergen wagemutig und mit Geduld vorbeigesteuert. Innerkirchliche Scharmützel, Geldsorgen, verlegerische Äquilibristikübungen und jede andere denkbare Art von Herausforderungen hat die furche immer wieder zu bestehen gehabt - auch der jetzige Chefredakteur Heiner Boberski und sein Team werden sie, zusammen mit Herausgebern und Styria-Verlag, auf ihre Weise meistern.

Die furche ist eben nicht, und damit strafe ich meine eigenen Bilder Lügen, ein Kahn, ein Schiff oder ein Zirkus, sondern eine Furche: nicht Steinboden, nicht Dornengestrüpp, sondern fruchtbares Erdreich, das immer wieder neu beackert werden muß, aber nicht zugepflügt werden kann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung