6588998-1952_13_10.jpg
Digital In Arbeit

Öffentliches Bauwesen

Werbung
Werbung
Werbung

Wer vorher warnte, soll in der Gefahr trösten und die Möglichkeit des mählichen Abbaus von Fehlem aufzeigen können. Nun: ein süßer Trost für die sichtbar werdende Fehlleitung öffentlicher Baugelder ist aus der Beobachtung abzuleiten, daß es bei den anderen durch den Krieg erschütterten Ländern nicht viel besser ist. Demokratie und Optimismus scheinen gekoppelt zu sein. Die Schweiz darf man nicht zum Vergleich heranziehen. Aber England, das heroische Sparsamkeit betrieb, hat mit verwegenen Stadtregulierungen und mit der noch verwegeneren Ausstellung nicht gleicherweise charakterstarke Austerity gezeigt

— ohne Nutzen. Das Fanal des römischen Bahnhofes oder der wie Silber glänzenden Mailänder Hochhäuser stehen zu dem Elend der Massen ebenfalls in keinem rechten Verhältnis, und die Pracht der neuen deutschen Hotels, Bank- und Industriepaläste, Warenhäuser erscheint trotz gewaltiger Anstrengungen auf dem Wohnungssektor unausgewogen. Immerhin, das Baugeld war kein Staatsgeld — zumindest im weitaus kleinerem Maße als bei uns — und die Bauten betrafen lebendige Zwecke. Sie mußten verantwortet werden. Wer verantwortet eigentlich bei uns?

Das Bauwesen ist ein vollkommen getreues Abbild des politischen Zustandes. Man kann es kaum bessern, wenn man diesen nicht ändert. Wer scharfe Augen hat, kann aus dem Gesicht der Städte den Proporz herauslesen, auch wenn er ihn nicht aus der Zeitung kennt. Mit der Zweiteilung fängt die Gefahr des Hin- auflizitierens an. Baust du deinen, so baue ich meinen Palast. Es hat sich Hitlers mächtige These „Macht durch Bauten sichtbar machen“ bei uns in zwei Bächlein gespalten. Die Kreisleiterarchitektur ist sozusagen halbiert. Aber was ungeteilt Massen mitreißen konnte, ist bei Bestehen gleichstarker Konkurrenz im Propagandazweck wirkungslos. Die gebildeten Byzantiner wußten wahrscheinlich die Bauten der Grünen und die der Blauen auseinanderzuhalten. Aber die Massen sahen wohl nur, daß beide viel Geld brauchen. Die Massen wissen ganz genau, daß man in der Not zuerst die Not beheben muß. Sie würden, un- geleitet, dem nachlaufen, der mit dem geringsten Geld die meisten Wohnungen schafft. Also zum Beispiel dem, der den Altbestand ohne neue Straßen und Schulen und Verkehrslinien zu menschenwürdiger Benützung praktikabel macht. Allerdings wäre damit Propaganda nicht zu treiben gewesen. Hiezu sind — ohne Ironie — Gebäude mit Löwen besser.

Vielleicht ist aus der Zweiteilung des Bauwesens zu erkennen, daß Staatsgesinnung Zusammenfassung verlangt. Man kann — aus zahllosen Gründen, namentlich aus künstlerischen

— nicht sowohl patriotisch als parteipolitisch sein. Aber was hat es für einen Sinn, die unabänderliche Grundstruktur zu beklagen? Oder wäre es vielleicht doch möglich, das Bauwesen vom politischen Einfluß zu entrümpeln und unparteiisch zu lenken? Es sieht doch so aus, daß beide Seiten die Belastung, durch nicht natürliche Bauverantwortung langsam fürchten. Hier liegt die Wurzel der Vergoldungen der einen und der Traum- schulen der anderen Seite, des finanziel len, durch Verschleierung nicht deutlichen Fiaskos: daß die Politik aus Propagandaabsicht (diese wegen zu starker Konkurrenz noch dazu unzweckmäßig) sich in das gefährliche Bauwesen hineinmischt, welches zu einem — künstlerischen, ökonomischen, wohnzweckmäßi- gen — Stil nur ausreifen kann, wenn man „das Leben spielen läßt“, wenn man ihm keine Scheuklappen anlegt. Der Kinderglaube an die „Planung"!_

Die Politik hätte bei ihrem Leisten bleiben sollen. Sie hätte verwalten, kritisieren, aber die private Bauwirtschaft diq Finger sich verbrennen lassen sollen. Es ist sehr leicht, eine beglückende Thesis von der Herrlichkeit Altösterreichs oder von der Wunderzeit, wo jeder sein Haus im Grünen hat, vor die Leute zu stellen, wenn man das Geld aus unbeseitigtem Notstand nimmt.

Man braucht dazu Beamtenapparate, welche Linie halten. Damit sind wir bei dem sekundären, aber mächtigsten Merkmal des österreichischen, des europäischen Bauwesens angelangt. Hier könnte man vielleicht einen positiven Vorschlag machen. Kann man die Beamten nicht gewinnen?

Beamtete Architekten sind ganz genau so wie andere Architekten: sie bauen so groß und so schön als sie es können und als es der Bauherr nur irgendwie zuläßt. Ihr Bauherr ist aber nicht eine auf seinen Vorteil bedachte Person, sondern der Ressortchef, der meist kein Architekt ist, oder der Finanzminister, der zwar den Knopf zuzumachen bestrebt ist, aber zuletzt durch höhere Gewalt immer wieder zum Aufmachen genötigt wird. Deshalb kommen die öffentlichen Bauten un weigerlich teurer als die in vergleichbarer Konkurrenz entstandenen privaten. Aus Gründen des Volkscharakters haben wir es verpaßt, daß statt Wohnungen und schnellen Verkehrslinien in der Zeit der Geschenke die kalte Pracht aufgerichtet wurde. Niemand oder jeder kann dafür.

Nun könnte man allerdings nach dem englischen Beispiel verlangen, man solle die kostspielige Bürokratie, die in Stadt und Land und Staat in zweifacher Ausgabe existiert, einfach abbauen und den

Rest zur Verwaltung und Kontrolle des leistungsstarkeren privaten Bauwesens verwenden. Aber dieser englische Ratschluß ist nicht nett. Er ist nicht österreichisch, liegt vor allem nicht im „politischen Interesse . Vielleicht ginge es so: man läßt die Beamtenheere unter genau denselben Bedingungen am Sozialprodukt des Bauwesens mitarbeiten, wie es der verbliebene Rest der freischaffenden Bauleute tut. Man teilt sie also in Arbeitsgemeinschaften ein, die unter Anrechnung der Bürokosten, der Steuern, unter Verantwortlichkeit am Einkommen, Aufgaben zu festem Preis zugeteilt bekommen. Es würfle sich dann zeigen, daß die Talente unter ihnen, die durch die Kletterer bisher in den Schatten und in die verdrossene Ecke gestellt wurden, an die Spitze; kommen. Sie würden den Bau vorwärtsbringen. Die Architektur des römischen Bahnhofes wurde von einem Fünferkollektiv besorgt. Der eine, der die Idee hatte, ordnete sich in die Reihe.

Alles dies läuft auf die Beseitigung der Unverantwortlichkeit hinaus. Wie kann man über Wirtschaftlichkeit ohne klare einsehbare Rechnung auch nur reden? Durch Schaffung von Verantwortlichkeit würde Klarheit, Überschaubarkeit des Bauvorgangs entstehen, würde der schwere moralische Vorwurf beseitigt, daß sich eine zur Leistung unfähige Bürokratie die Gängelung und Beiseitestellung verdienter Künstler anmaßt oder daß man kärglich bezahlte Wettbewerbe veranstaltet, deren schwer erkämpftes Resultat vom „Amt ausgebeutet wird. Wer den Wettbewerb gewinnt — und nicht wer ihn scheut —, hat die Ehre der Ausführung. Die Säuberung des moralischen Bezirkes, die Wiederherstellung von Treu und Glauben bei Bestellung und bei Bezahlung, der unbedingte Beschluß, ohne gesichertes Baugeld nicht zu beginnen, würde die künstlerische Qualität des Bauwesens befruchten, welches trotz Marmor und vergoldeter Schmiedearbeit in dem Urteil der Kenner keineswegs herrlich dasteht.

Das Thema ist uferlos. Vielleicht soll man außer dem allerwichtigsten — der Herstellung klarer Verantwortung, gesunder Konkurrenz (der Plan erzeugerkollektive wie der ausführenden Baumeister), der dem Beamten wie dem Freischaffenden auferlegten Haftung der Rechnungslegung — auch noch auf „Fehlleitungen von Baukapital" zu sprechen kommen.

Es ist keine Frage, daß im Wohlstand die Quote, die man der .Tradition“ zugesteht, eine größere sein kann als in Zeiten der Not. Aber dies gilt unter Um- ständeh auch für die Straße, die Fluß- regulierungen, die Flugförderung. Man kann kaum behaupten, daß irgendwo eine vernünftige Koordinierung geübt wird- Eine interministerielle Stelle müßte erst geschaffen werden. Zur Tatwerdung aber gehört der fähige und initiative Mann, Ausschüsse bringen in langsamer Arbeit die „Theorie vorwärts. Aber die Schicksalsfragen

— zum Beispiel Flachsiedlung oder Ausbau der Stadtkerne, Restaurierung auf kostspielige oder auf einfache Art, Repräsentation der Ministerien oder Praktischsein derselben, neue Bauweisen —, diese sollten wie immer und immerdar nicht zuerst von Ausschüssen, sondern vom Staatssäckel, vom Finanzminister also, entschieden werden. Nicht nach den Wünschen, die immer verwegen sind, sondern nach der Decke hat man sich zu strecken. Geld ist einziger praktischer Maßstab geblieben, weil es jeder versteht. Der gemeine Verstand genügt, um zu wissen, daß zunächst das Dach dicht gemacht werden muß und dann erst dėr prächtige Figurenschmuck, Wohnungen zuerst und dann erst die Musaen, die Geleise zuerst und dann erst die Marmor- hallen. Dies weiß der Finanzminister wie jeder andere. Durch mächtige Ausschüsse wird er unsicher gemacht. Der Fachmann kommt in zweiter Linie zu Wort. J e- doch ein Fachmann, der durch Leistung erwiesen hat, daß er seine Sache versteht. Man gebe dem bewährten Mann einige Vollmacht und packe seinen Ehrgeiz. Man beteilige ihn am Erfolg. Man rechne nicht damit, daß er als reiner Geist lebe.

Masaryk formulierte: „Sparen und arbeiten", was tschechisch drastisch meist zu „nebat sė a nekrast' wurde. Damit ist, wenn man in der Drastik den übertragenen Wortsinn — Arbeitsehre, schnelle

Tat, Nützlichsein — begreift, eigentlich alles über die mögliche Verbesserung des Bauwesens gesagt. Das Problem ist vorerst moralisch.

Erst wenn die Moral durch einen neuen Mann eine feste Stütze hätte, würde es sich über Details zu sprechen lohnen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung