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Österreich?

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Es gibt Bücher, die aus Liebe geschrieben sind. Adalbert Stifters Werke nehmen im Kosmos dieser Bekenntnisse der Liebe hohen Rang ein. Es gibt Bücher, die in Haß geschrieben wurden. Hitlers „Mein Kampf” steht in der vordersten Front dieser Brandblätter des Bösen. Stifter und Hitler: wie sehr ist beider Zeugnis für, beziehungsweise gegen Österreich in die Waagschale der Weltgeschichte gefallen! Des ersteren Wort klang in die leise innere Geschichte der Menschheit ein, er hat diese um manchen Ton, nm manchen süßen Klang bereichert; des letzteren schriller Schrei erfüllte die äußere Geschichte mit ihrem Lärm…

Bücher aus Liebe; Bücher in Haß gezeugt. Es gibt jedoch noch eine dritte Art: Bücher, die einer eigentümlichen Haßliebe ihre Entstehung verdanken. Solche Bücher sind von Haus aus alles eher als harmlos; wörtlich verstanden: sie sind nicht ohne Harm — sie bereiten Schmerz, bewußt oder unbewußt, willentlich oder unwillentlich —, so wie sie ihrem Erzeuger bei der Geburt Schmerz bereitet haben müssen…

Zu dieser dritten, tief zweideutigen Gattung dichterischer Bezeugnisse gehört nun ein Buch, das im In- und Ausland ein gewisses Aufsehen erregt hat, stellt es doch das Bekenntniswerk eines angesehenen Mannes dar, der seit Jahrzehnten tief mit dem österreichischen Kulturleben verbunden ist. Wir sprechen also hier von E. Lothars „Der Engel mit der Posaune”. — Schmerz, Leid, Empörung, Resignation und Ressentiment des Emigranten: eines der größten und großartigsten Themen europäischer Geistesge- schichte! Das neue Italien, das Italjen der Renaissance und des Aufstiegs im 19. Jahrhundert, des Rinascimento und Risorgimento, wäre undenkbar ohne die einmaligen literarischen Leistungen seiner großen Verbannten, seiner Fuorusciti. Die italienische Sprache trägt heute noch stolz die Meißelschläge, die ihr der erhabene Furor, die tiefe Haßliebe eines Dante eingeprägt hat… Der Schmerz und die Empörung des Emigranten: sie schaffen jenen Abstand, der das in dunklen, gefürchteten und geliebten Dämmemissen vergleitende Antlitz der alten Heimat klar, scharf hervortreten läßt. Nun sieht alle Welt die Schatten der Schuld — die Risse und Sprünge in dem großen Bau, der aus der Nähe, durch die warme Wucht scÄs Lebens, immer noch alle Bedenken und Einwürfe überstrahlte.

Nun, daran liegt es nicht. Wir beugen uns still vor dem persönlichen Leid, das unser Autor an Österreich erfahren hat. Das Leid ist es auch nicht, das seinem Werk das Schillernd-Zweideutige, seltsam Verkehrte äufgeprägt hat. Wir haben heute Bekenntnisbücher anderer Exulanten vorliegen, die Werke von Männern, die in ihrem Leid starben, wie Josef Roth und Stefan Zweig, und die doch einen reinen, vollen Glockenklang in die nie vergessene Heimat zurücksenden! Am Leid liegt es nicht — vielmehr an der Liebe, am Mangel an Liebe; sie hätte das Leid durchklären, durchlichten müssen — dann wäre hier wohl ein echtes Kunstwerk entstanden. An Könnerschaft fehlt es gewiß nicht. So aber bleibt es ein seltsames Produkt moderner Kolportage.

Ein Kolportageroman für das sensationsgierige amerikanische Publikum. Sein Held ist eine noch immer hübsche, ja immer noch faszinierende Frau, ‘deren Irrnisse und Wirrnisse, manchmal unverzeihliche Liebschaften, Ehebrüche, Abwege des Gefühls und Beklemmungen des nicht allzu großen, nicht allzu scharfen Verstandes der Autor mit einer fanatischen Hingabe an die Grausamkeit des entblößenden Details malt. Diese Frau ist nicht Henriette Stein, die Hauptheldin des „Romans”, sondern Frau Austria selbst — Österreich! Hier nun beginnt das Arge: Hätte Lothar einen Familienroman geschrieben — wer wollte es ihm verargen? Hätte er einen österreichischen Familienroman geschrieben, wer könnte Einwendungen erheben? Daß er aber Österreich als Familienroman behandelt, abhandelt und vor einer wenig schamfrohen neugierigen Weltöffentlichkeit verhandelt hat — wie die Skandalaffäre einer Cause c löbre, eines berühmten Schwurgerichtsprozesses, das kann nicht ohne Einspruch hingenommen werden! Die Tatsachen des Lotharschen Indizienprozesses gegen Österreich werden auf 650 Seiten mit penetranter Eindringlichkeit gesammelt. Die Geschichte des gutbürgerlichen, erzkonservativen, erzreaktionären Klaviermacherhauses Alt (Bösendorfer) wird mit Raffinement und Raffinessen aller Art zur Geschichte Österreichs aufgebläht: letzte Höhe und Untergang der Monarchie, Franz Joseph und Kronprinz Rudolf, Weltkrieg, Umsturz, Justizpalastbrand, Dollfuß-Mord — nidn nur die „Ereignisse”, nein, die konkreten Daten und Fakten, die agierenden Personen der österreichischen Geschichte des letzten halben Jahrhunderts erscheinen in einer scheu- und sdiamlosen Art mit den Nachtischgesprächen, Nachtaffären und Bettgeschichten liiert! — Daß die Heldin Henriette Stein — als Vertreterin des Gesamthauses Alt — Austria, Ges m. b. H., unter anderem Geliebte des Kronprinzen und Mutter des Dollfuß-Mörders sein muß, zeigt im Brennspicgel zweier Momente das Charakteristikum des Gesamtwerkes: die Geschichte, die Wirklichkeit Österreichs ist nur Staffage, darf Modellmädchen sein für einen Maler, der für ein transozeanisches Publikum ein nervenkitzelndes, durchaus auf Sensation abzielendes Schauwerk malt: „Panorama einer sterbenden Welt”. Ein Filmthema also. Nun, wir können es Hollywoodproduzenten nicht verärgern wenn sie auf der Suche nach neuen Reizstoffen nach Kalkutta und Kairo, Sid- ney und Haiti fahren. Da sie es bereits unternommen haben, das zerbombte Berlin von heute als Schauplatz einer Kinostory zu wählen, warum sollen sie nicht zach nach Wien kommen? Dagegen läßt ach von Hollywood aus nichts einwenden. Wohl aber muß von Wien aus etwas eingewendet werden, wenn ein Mann alter Kultur, der hier jahrelang an verantwortungsvollster Stelle im Vordergrund unseres öffentlichen Kulturlebens stand, sich herbeiläßt, Österreich in dermaßen filmischer Manier abztj- handeln.

Täuschen wir uns nicht? Gibt der Verfasser des „Engels mit der Posaune” nicht weit mehr als ein Filmsujet? Malt er nicht mit glänzenden Farben, mit teilweise sogar delikaten Farbmischungen ein in seiner Art großes Gemälde des „Alten Österreichs”? — so wie es wirklich gewesen ist? Vermögen nicht tausend noch lebende Augenzeugen die Richtigkeit dieser,, jener atmosphärischen Schilderung zu bestätigen? Hier stehen wir vor einem Angelpunkt des ganzen Werkes. Jawohl — es ist unleugbar: der Verfasser mischt tausend echte Farben und Töne in sein Werk, er ist offensichtlich bestrebt, den Eindruck des Historischen, des geschichtlich Wirklichen zu geben (vergleiche das Grillparzer-Zitat des Vorspruchs und den Hinweis auf die Wirkung in Amerika im Nachwort), er belädt deshalb sein Opus nicht nur mit Wissen und dichterischem Können, sondern schwelgt geradezu in historisierenden Details, in der Angabe von Aktenzeichen, amtlichen Dokumenten, Reden usw. Es ist offenkundig: dieser „Roman” will ine Histoire romaneče und mehr noch sein: intime Geschichte Österreichs, nicht bloß „Geschichten ans Österreich” — und er soll bei allen ausländischen Fremden, Freunden und Feinden unseres Landes den Eindruck unmittelbarer, erlebter Wirklichkeit erwecken. Um so mehr als der Verfasser es hervorragend versteht, die Rolle eines treuen unerbittlich nüchternen aufrichtigen Chronisten des Tasächlichen zu spielen. Durch minutiöse Schilderung von Einzelheiten, durch einen historisierenden Pointillismus, der genau Bescheid weiß über die Stimmung des Kaisers Franz Joseph oder des Kanzlers Dollfuß in der Sterbestunde, ebenso wie über die Desserts, die Moden und Kücheneinrichtun- ten im Hause Seilerstätte 10, durch all dies täuscht er eine Objektivität vor, die er nicht besitzt.

Sicherlich, der Autor täuscht zuerst sich selbst. Untrennbar mischt er Wahres mit Falschem und versucht mit dem Lot übersteigerter, gereizter, sehr parteiischer Empfindlichkeit Gründe auszutasten, die er seelisch nicht zu erfassen vermag. Um es kurz zusammenzufassen: Österreich ist nicht diese morose Angelegenheit, dekadent, erz- reaktionär, eine Erscheinung, die nicht sympathischer wirkt, weil sie mit einigen nicht unliebenswerten Spielarten versehen ist. Der österreichische Katholizismus ist nicht einfach diese Mischung atis starren Riten, Pompes funebres, großartig überalte- tem Brauchtum. Die österreichische sozialistische Bewegung ist weit mehr als jene

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