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Österreich: Erinnerung unJ Hoffnung

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Von einem „ausfrophilen" Oesferreicher hot Hermann Bahr, dessen Todestag sich am 15. Jänner zum 20. Male jährf, einmal gesprochen — der Oesterreicher sei unter den Deutschen Oesterreichs so rar geworden, daß diese letzten Oesterreicher, uni, was sie sind, überhaupt verständlich zu machen, dieses Beiwort hinzufügen müßten: „In den letzten 70 Jahren, in der Epoche der Absonderung Europas in geschlossene Nationalstaaten, ist die Nachträge nach unserer Menschenarf gering gewesen. In dieser drückenden Enge zugemauerter Nationalstaaten, was wollen wir weltweiten Oesferreicher da? Wenn ich früher an Oesterreich nur als Sein Kind fiint), So bin ich seiner jetzt als Europäer, als Mensch, als Katholik gewiß, denn ich sehe keine Merischenärf als unsere zur Rettung Eüropas, der Menschheit, des Geistes. Wir glauben an den Beruf Oesterreichs, seine Menschenarf Zu hüten, denn es kommt jetzt die Zeit, wo die Menschheit sie nicht entbehren kanh.'

Der Mann, der diese Worte niedergeschrieben hat, hätte sich nicht leicht zu dieser Erkenntnis durchgerungen: Im liberalen Geist seiner Zeit erzogen — „alle Lehranstalten von der Landschule bis zur Hochschule Sind um die Wette unösterreichisch", sagt er selbst darüber — empfindet er quälend diesen Patriotismus auf Kündigung. „Die Jugend wird bei uns in völliger Unkenntnis Oesterreichs erzogen. Alle Größe, Schönheit und Macht unserer österreichischen Vergangenheit wär vergessen, und sie nur ja nie wieder aus dem dumpfen Schlaf der Vergessenheit erwachen zu lassen, schien dieser undankbaren Gegenwart einziger Ehrgeiz.”

Bahrs Wandlung zum Oesferreicher käm nicht minder überraschend und stürmisch als seine Wandlung vom Symbolisten zum Expressionisten, vom marxistischen Revolutionär zum Individualisten, aber auch nicht iriinder echt und aufrichtig als seine Rückkehr zum Glauben seiner Kinderjahre, in den Schoß der katholischen Kirche.

Als er 1899 in Wien ansässig wird, da sieht er nicht mehr das Ringstraßen-Wren seiner Sfudentenjahre; Spanien hatte ihm die Augen für das barocke Oesterreich geöffnet: „Das alfe Wien, das Wien der großen Habsburger, die gebaut hatten, was dann dem jungen Mozart aus Stein erklang, erschien mir, den Sinn dämmernder Erinnerung aus meiner Salzburger Kindheit deutend. Meiner inneren Heimat lebende Gestalt stand da.” Bisher war ihm das alte Wien durch das Ringstraßen-Wien verdeckt gewesen, diesen vollkommenen Ausdruck einer Zeil, die doch kein Bürgertum, ja kaum Ansätze dazu hatte, aber schon ein Bürgeritiiriisferlum. „Und so muß man sagen” — schrieb er später darüber —, „daß, wenn dieser Ringstraßerizaubet durchaus, Selbst in seinem schönsten Teil, unwirklich, unglaubhaft urid Ungereimt wirk!, ja geradezu schwindelhaft, eben darin gerade Seine Echtheit besteht.”

Um so tiefer dringt Bahr jetzt in den Sinn der österreichischen Geschichte ein, enthüllt den ganzen geschichtlichen Beruf dieses altem'Oesterreich, atmet die Weiträumigkeit der Donaumonarchie: „Siehst du, ih der Gefreidegasse, wenn das zittrige Glockenspiel her- überklihgt, und in den bunten Goldmachergäßchen des Hradschin und vor dem Tuchhaus in Krakau, wo der Mickiewicz steht, und dem Platz in Trient, wo der Dante seine Hand zum Horden hebt, und in Bozen auf deft! Platz des Vogelweiders, und hier in Ragusa, im Glänze der Kömriehen fühlst du dich zu Hause. Dies alles ist dein Heim, dies alles zusammen erst bist du, siehst du jetzt, was ein Oesferreicher ist?”

Immer wieder kehrt Bahr zur Glanzzeit Oesterreichs, zur Barockzeit zurück. Aber „Oesterreich wär aus, als Maria Theresia Schlesien preisgab; es verlor damit sein west- öStlichös Gesicht. Der erhabene Stil Habsburgs war mit Karl VI. erloschen. Nun wurde guter Ton, unsere Größe zu vergessen. Schon Kaiser Franz zog Oesterreich aus der Weltstellung zurück; es fing zu privatisieren an.” Das ganze 19. Jahrhundert liegt wie ein Alpdruck auf ihm, jene „entsetzlich öde, entgöfterte, den platten Nutzen vergöfzende josefinische Welf". So sieht er in Oesterreich seif 1804 keine Wirklichkeit mehr, sondern nur ein Problem, und in diesem Sinn interpretiert er seines Freundes Josef Redlich großartiges Werk über das österreichische Reichs- und Sfaatsproblem. Vollends die österreichische Geschichte seit 1848 ist für ihn „durchaus ein Passivem”. Und die letzte Zäsur bedeutet ihm Königgrätz: „1866 — damals starb Oesterreich, es hat nur dann noch ein halbes Jahrhundert gebraucht, um das zu bemerken.” Und doch bejaht Bahr dieses übernationale, völkerübergreifende Oesterreich: „Wir haben uns abgewohnt, mit unfruchtbarer Sehnsucht über die Grenze ins Mutterland zu schielen. Wir wissen, daß unsere paar Millionen Deutschen kein Gewiriri, unsere Slawen aber, an Rußland verloren, eine Gefahr für das Deutsche Reich wären. Und wir fühlen, daß wir in unserer geschichtlichen Gemeinsamkeit mit den Slawen und Welschen eine Farbe von besonderer Art angenommen haben, die wir, mit den arideren Deutschen vereint, unter ihnen nicht behalfen könnten; das Deutschtum würde ärmer um diese Färbe, der Tausch wäre schlecht, er könnte nur auf Kosten des Deutschtums geschehen.”

Bahr hätte einmal bekaririt, daß er sämtliche Grundzüge seines Wesens von seiner Mutter, der Troppaüer Sfätthältereirdtslöchfer, geerbt hat. Sein Vater aber, der Linzer Notar, Gemeinderät, Landtagsabgeordneter und Führer der oberösterreichischen Liberalen, kam von der Finarizprokuräfur Terriesvar nach Linz, geboreri aber war er in Brünn — sein Sohn zitierte, wenn er davon sprach, gern deri Ausspruch Josef Redlichs, „daß jeder, der in Oesterreich was taugt, schließlich imrrier irgendwie aus Mähren sei". „Schlesier also der Herkunft hach, doch rheinischen, mit fränkischem gemischten Blutes, aber Oberösterreicher von Gebürt, Oberösterreicher äh Erziehung, Oberösterreicher des Sinns, der eigenen inneren Entscheidung, des Willens, wat ich zum richtigen Altösferreicher vorbestimmf, dem auf sicherem, sfaridhaftem bajuwarischem Grunde der Druck alemannischen gegen fränkisches Weseri die weite Spannung, zugleich aber auch die größte Freiheit gibt.”

Wie treffend charakterisiert Bähr — dessen Blick durch seine Berliner Jahre wie durch seinen Pariser Aufehthait geschärft ist — die Oesferreicher, wie deutlich sieht er den Unterschied zwischen nord- und süddeutschem Wesen. Er hat es an sich selbst verspürt, wie gut süddeutschen Vorzügen oft die härtere Berliner Zucht tut, in der sie dann erst zur vollen Besinnung kommen und auf sich pochen lernen. „Die Wiener Begabung, in losen Gesprächen den geringsten Anlaß, irgendein hingeworfenes Wort, den Doppelsinn irgendeiner Wendung plauschend zu benützen, um darin unmerklich bis zu den letzten Fragen emporzukleftern, freilich nur, um droben dann dem über Leben und Tod entscheidenden Problem geschwind eineri sublimen Nasenstüber zu geben, ist ohne den Hintergrund einer großen Kultur undenkbar, einer Kultur von solcher Tiefe, daß sie sich zuletzt auch ihrer eigenen Fragwürdigkeit bewußt geworden und freilich des unbesonnenen Vertrauens zu frischer Tat nicht mehr fähig ist."

Es ist keine blinde, keine kritiklose Liebe zu diesem Oesterreich: Wie herb spricht Bähr von der Mühe, die sich die Wiener gaben, ihn ja nichts werden, nichts sein, nichts bleiben zu lassen in Wien. Von mancher überschwenglichen Formulierung hat er sich später distanziert: dieses Oesterreich — sö gesteht er — „war so berückend schön, daß ich den verdämmernden Aberidsoririennachglanz zwanzig Jahre lang für ein Morgenrot, daß ich das lächelnde Sterberi Oesterreichs für eirien heiligen Fühling hielt".

Den Untergang Oesterreichs hat Bähr nie verwunden: „Mir ist das furchtbarste geschehen, womit eiri Meftsch auf Erden gezüchtigt werden kann: Mein Vaterland zerging ih nichts. Ich habe kein irdisches Vaterland mehr; ich bin nirgends auf der weiten Welt, nirgends mehr daheim. Wohin ich mich Weriden mäg, ich werde, so länge ich lebe, fortan überall riür auf Besuch sein.” Wohl bekennt er später wieder (im „Labyrinth der Gegenwart"): „Ich bin Oesterreicher und will es bleiben, auch in seinem Unglück, auch in mir unliebsamen Wandlungen seiner Form”, und er schlägt, der schön um die Jahrhundertwende den utopischen Plan entwickelt hätte, Salzburg zur Hauptstadt Europas zu machen, jetzt die Wiener Hofburg als Sitz des Völkerbundes vor.

Bahrs Schaffen schließt mit dem alten Oesterreich: „Wenn nach meinem Tod jemand den Einfäll hat, einmal meine ,sämtlichen Werke' herauszugeben, soll er sie nur auch getrost ,Alt-Oesterreich' nennen; es kommt im Grund nichts anderes darin vor." Und doch ist seiri Schaffen nicht riü'r in die Vergangenheit gekehrt. Heute, zwanzig Jahre nach seinem Tode, Zeigt Sich, wie viele seiner Ideen, Mit denen er seine Zeitgenossen in allen seinen Wandlungen, in seiner steten Bereitschaft, sich selbst Zu korrigieren, vorausgeeilt war, wie Viele s'einer leidenschaftlichen, sprühenden Gedanken äuch noch für die Zukunft bedeutend sind: „Oesterreich lebt doch immer nur” — so leseri wir in einem seiner letzten Werke — „entweder als E'ririherurig oder als Hoffnung, es liegt entweder in der Vergangenheit oder aber in der Zukunft.”

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