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Oesterreich in Asien

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Außenminister Ing. Dr. h. c. Leopold Fi gl weilte vom 28. Februar bis 22. März auf Staatsbesuch in Afghanistan, Indien, Pakistan und Persien sowie im Libanon. Diese Reise ist die erste „Staatsaktion“, das erste Auftreten Oesterreichs in repräsentativer Form in diesen auch weltpolitisch wichtigen Ländern Asiens; sie gehört zu den sichtbarsten und eindrucksvollsten Bekundungen eines neuen und entschiedenen Willens zur Selbstbehauptung Oesterreichs in einer größer gewordenen Welt. Sehr zu seinem Schaden hatte es Oesterreich in vergangenen Zeiten versäumt, das Augenmerk gerade auch der außereuropäischen Völker und Staatsmänner auf seine Lebensfragen und auf seinen Kampf um die Freiheit *zu lenken, sc daß es auch in dieser Hinsicht „übersehen“ wurde und in ernster Stunde allein stand. Es hat deshalb seinen guten geschichtlichen Sinn, daß genau zwanzig Jahre nach dem tragischen März von 1938, der Oesterreich isoliert in einer Welt von Feinden und fragwürdigen Freunden vorfand, nunmehr, zum ersten.Male in seiner Geschichte, Oesterreich sich repräsentativ in Asien vorstellte. In Anbetracht dieser großen Bedeutung der Reise unseres Außenministers, die weit hinausgeht über Routinevisiten der internationalen Politik, bat die „Furche“ Ing. Figl um ein Gespräch.

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Außenminister Ing. Dr. h. c. Leopold Fi gl weilte vom 28. Februar bis 22. März auf Staatsbesuch in Afghanistan, Indien, Pakistan und Persien sowie im Libanon. Diese Reise ist die erste „Staatsaktion“, das erste Auftreten Oesterreichs in repräsentativer Form in diesen auch weltpolitisch wichtigen Ländern Asiens; sie gehört zu den sichtbarsten und eindrucksvollsten Bekundungen eines neuen und entschiedenen Willens zur Selbstbehauptung Oesterreichs in einer größer gewordenen Welt. Sehr zu seinem Schaden hatte es Oesterreich in vergangenen Zeiten versäumt, das Augenmerk gerade auch der außereuropäischen Völker und Staatsmänner auf seine Lebensfragen und auf seinen Kampf um die Freiheit *zu lenken, sc daß es auch in dieser Hinsicht „übersehen“ wurde und in ernster Stunde allein stand. Es hat deshalb seinen guten geschichtlichen Sinn, daß genau zwanzig Jahre nach dem tragischen März von 1938, der Oesterreich isoliert in einer Welt von Feinden und fragwürdigen Freunden vorfand, nunmehr, zum ersten.Male in seiner Geschichte, Oesterreich sich repräsentativ in Asien vorstellte. In Anbetracht dieser großen Bedeutung der Reise unseres Außenministers, die weit hinausgeht über Routinevisiten der internationalen Politik, bat die „Furche“ Ing. Figl um ein Gespräch.

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furche“: Dürfen wir Sie, Herr Minister, bitten, uns einige Eindrücke Ihrer großen Reise zu übermitteln?

Ing. Figl: Gern. Auf das Ganze gesehen, möchte ich sagen: Oesterreich hat, wie ich mich überzeugen konnte, einen großen und guten Namen in diesen Ländern des Ostens, und seine führenden Staatsmänner kennen unsere Geschichte, unseren Kampf um Freiheit und Selbständigkeit und verfolgen sehr aufmerksam unseren Weg.

„Furche“: Woher kommt dieses Interesse für unser Land, das doch bisher politisch in Indien und Asien kaum in Erscheinung getreten ist?

Ing. Figl: Eben das kommt uns heute zugute. Man weiß sehr genau dort im Osten, daß Oesterreich nie eine Kolonialpolitik betrieben hat. Man hat keine Angst vor Oesterreich. Man fürchtet nicht, daß wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen mit Oesterreich durch politische Hypotheken belastet werden. Man schätzt Oesterreich als ein Land der Toleranz.

„Furche“: Verzeihung! Kennt man denn wirklich so viel von unserem Lande? Woher stammt diese Hochschätzung und dieses große Interesse, das sich ja sehr augenscheinlich bei Ihrem Staatsbesuch gezeigt hat?

Ing. Figl: Viele in führenden Stellungen stehende Männer haben in Oesterreich wie auch in Deutschland studiert. Ich war immer wieder erstaunt, überrascht und erfreut, wie genau man da drüben unsere Geschichte kennt, gerade auch die der letzten zwanzig Jahre. Dazu kommt, daß nicht wenige Oesterreicher heute in diesen Ländern tätig sind. Eine köstliche Geschichte habe ich da in Pakistan erlebt. Schmunzelnd sagt mir da der Staatspräsident: „Was wollen Sie mehr? Unser Land wird von Oesterreichern regiert, das heißt von österreichischen Frauen.“ Das war, wie er mir selbst dann erklärte, eine Anspielung auf die Tatsache, daß der Ministerpräsident und der Chef der Oelproduktion des Landes mit Oesterreicherinnen verheiratet, sind, also, wie er meinte, Politik und Wirtschaft in den Händen dieser Frauen seien ...

„Furche“: Sie sprechen, Herr Minister, von Oesterreichern, die heute in diesen Ländern Asiens arbeiten. In welchen Stellungen sind Ihnen da unsere Landsleute begegnet?

Ing. Figl: Ich habe mich naturgemäß überall, wo ich hingekommen bin, für unsere Landsleute interessiert. Und es war rührend zu sehen, wie diese oft von weither aus dem Inneren des Landes, so zum Beispiel in Persien, gekommen sind, und wie sehr sie es zu schätzen wissen, daß Oesterreich aktiv in Erscheinung tritt. .Da sind Oesterreicher in sehr verschiedenen Berufen und Stellungen tätig. Vor allem sind es Techniker und Ingenieure, Aerzte, Lehrer und Professoren, Erzieher, Händler,Werkmeister und Kinderfräulein. Allen aber ist gemeinsam: sie genießen einen sehr guten Ruf, man reißt sich, wie man bei uns sagt, um sie; sie haben ausgezeichnete Arbeitsverträge, manchmal auch für fünf bis acht Jahre. Diese Menschen. sind eine wichtige Werbung für unser Land. In allen Ländern, in denen ich war, appelliert man an uns: Schickt mehr Fachleute in unser Land, wir brauchen sie für den Aufbau unserer Industrie, für die Erschließung unserer Bodenschätze! In Pakistan hat man mich gebeten, österreichische Geologen mit den Bergsteigern mitzuschicken. Alle diese Länder sind mit einem Ernst und einer Intensität daran, ihr Schulwesen aufzubauen, die mich tief beeindruckt haben, und sie geben dafür sehr große Mittel aus.

„Furche“: Darf ich Sie um eine Illustration bitten?

Ing. Figl: Ich denke da besonders an Persien. Die neue Universität in Teheran, eine ganze Universitätsstadt, hochmodern eingerichtet, ist wirklich sehenswert. Neben ihr legt man aber auch größten Wert auf die Errichtung mittlerer Lehranstalten und auf den Ausbau eines gewerblichen Berufsschulwesens. Man geht da, in Teheran, sehr energisch ans Werk, und hat zum Beispiel direkt Kinder von der Straße aufgelesen, um sie zu tüchtigen Handwerkern heranzubilden. In Teheran hat man mir vorgeschlagen, eine österreichische Gewerbeschule solle die Patenschaft über eine neue Gewerbeschule in Teheran übernehmen, man solle Werkmeister und Deutschlehrer aus Oesterreich senden, auch damit später die so vorgebildeten Absolventen in Oesterreich, auf unseren Hochschulen, studieren können.

„Furche“: Nun wächst ja bereits von Jahr zu ]ahr die Zahl gerade auch persischer Studenten in Oesterreich.

Ing. Figl: Ja, hier kann und muß aber unsererseits noch viel mehr getan werden. Wir können uns da Deutschland als Vorbild nehmen. Dort stellt man jährlich 300 Stipendien für persische und 500 Stipendien für Studenten aus Pakistan zur Verfügung. Es ist ja in jeder Weise für die Zukunft der Länder Asiens und für ihre Beziehungen zu uns wichtig, wo und wie ihre Studenten ausgebildet werden. Oesterreich muß hier die Chance nützen, vor allem auch unsere Länder. Man kennt und schätzt in Asien unsere Schulen und Hochschulen, interessiert sich immer wieder natürlich besonders für Fachhochschulen, so in Afghanistan für Leoben, und ist sehr aufgeschlossen für alles, was da Oesterreich zu bieten hat. Das gilt für Indien, Pakistan, Libanon und besonders natürlich für Persien. Es hat mich sehr stark beeindruckt, im Schah von Persien eine Persönlichkeit kennengelernt zu haben, die an allem, was mit Erziehung, Kultur, Bildung, Erschließung des Landes zu tun hat, wirklich persönlich teilnimmt und sich dafür einsetzt.

„Furche“: Diese Länder haben, wie wir alle wissen, mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, um ihre Völker zu ernähren und um den Anschluß an die technische und industrielle Entwicklung zu gewinnen. Das ist ja auch ein großes politisches Problem. Am stärksten wohl in Indien. Darf ich Sie bitten, über Ihre Eindrücke von Indien etwas zu sagen?

Ing. Figl: Indien macht wohl auf jeden Europäer einen ungeheuren Eindruck: die Pracht seiner alten Paläste, die starke Geistigkeit in diesen Bauten einer großen tausendjährigen Vergangenheit, der Stolz der Inder auf ihre eigenständige Kultur — und zugleich die Sorge um die Zukunft, um einen eigenen Weg in die Zukunft. Allen diesen Völkern Asiens sjeht es ia heute in seinen führenden Schichten darum, die eigene Vergangenheit zu erkennen, die Gegenwart zu bekennen und eine neue soziale Ordnung der Zukunft zu finden — und alle diese Größe der Fragen und der Sorgen habe ich in Nehru persönlich verkörpert gefunden. Der indische Ministerpräsident hat sich mehrfach und sehr eindringlich mit mir über die Sorgen seines Landes ausgesprochen.

„Furche“: Nehru ist für uns Europäer und Oesterreicher wohl eine der interessantesten Erscheinungen der Weltpolitik. Wie denn überhaupt Indiens Stellung zwischen China, Rußland und dem Westen vielleicht das größte Experiment einer neuen Politik darstellt. Kein führender Staatsmann der Welt ist ja auch umstrittener als Nehru.

Ing. Figl: Ich habe Nehru, wie Sie wissen, schon früher gekannt. Nun, in den langen persönlichen Aussprachen in Neu-Delhi habe ich vieles verstehen gelernt. Nehru ist ein Mann, der sehr wach und mit großer Sorge auf sein Land und auf die ganze Welt sieht. Besonders beeindruckt hat er mich durch folgende Ueber-legung: Indien wächst jährlich um fünf Millionen Menschen, die ernährt werden sollen. Für Indien kommt, so ist Nehrus Ueberzeugung, keine künstliche Geburtenregelung in Betracht. Das verträgt sich nicht mit dem indischen Gewissen, mit seiner Ehrfurcht vor allem Leben. Wie aber sollen bereits heute an die 400 Millionen Menschen ernährt werden? Ich selbst habe, wie wohl alle Besucher Indiens, auch Armut und Elend gesehen. Und Nehru sieht das täglich vor sich als größtes politisches Problem Indiens und ganz Asiens. Seine ganze Politik, seine Weltpolitik dreht sich um diese eine Sache: Indien braucht Frieden, braucht den Weltfrieden, denn es braucht lange Zeit, Friedenszeit, für den technischen und wirtschaftlichen Aufbau des Landes, um eben diese riesigen Massen ernähren zu können und allmählich den Lebensstandard zu erhöhen. Jeder größere Konflikt in der Welt kann d i e Katastrophe auslösen. Alle Länder, alle Völker brauchen den Frieden. Für die hunderte Millionen Inder, die zum Teil von der Hand in den Mund leben, ist der Friede aber ein Existenzproblem ersten Ranges. Ohne Hilfe aus der Welt müßten viele verhungern. Nehru weiß das. Und er ist bemüht, aufrichtig bemüht, mit dem Westen die Beziehungen auszubauen.

„Furche“: Der Friede ist ja überall ein äußeres und ein inneres Problem, Am sozialen Frieden hängt der äußere Frieden und umgekehrt. Die ungeheure Armut der Massen in Asien ist eben ein riesiges politisches und wirtschaftliches Problem.

Ing. Figl: Da hat es mich stark beeindruckt, daß es in diesen freien Ländern Asiens heute nicht nur führende Staatsmänner gibt, die sehr klar die Probleme sehen, sondern auch Männer der Wirtschaft, die wissen, worum es wirklich geht. Ich habe da, um nur ein Beispiel zu schildern, in Pakistan einen von drei Brüdern geführten Betrieb gesehen, der ganz vorbildlich in Erziehung und Betreuung seiner Arbeiter ist Da gibt es eigene Wohnhäuser für die unverheirateten Arbeiter, unverzinsliche Darlehen für Verheiratete zum eigenen Hausbau; dieser Großbetrieb hat eigene Spielplätze, dazu eine Lesehalle und Bibliothek für die Freizeit. Hier weiß man, daß dem, der wirklich etwas für die arbeitenden Massen tut, die Zukunft gehört. So nebenbei haben mir diese drei Brüder, wirklich fortschrittliche Unternehmer, versichert, daß sich, seit sie sich für diese außerordentliche Unterstützung ihrer Arbeiter entschieden haben, ohne Druck und Antreibermethoden die Produktion gehoben hat.

„Furche“: Wir danken Ihnen, Herr Minister. Wir schließen uns ganz an diese Hoffnung an. Oesterreich kann, wenn es nur will, weit mehr geben als es oft weiß.

Ing. Figl: Und das habe ich jeden Tag erlebt, erfahren, in Indien und Persien, in Afghanistan, Pakistan und im Libanon: diese Völker und ihre führenden Staatsmänner hoffen auf uns. Wir dürfen ihren Appell an Oesterreich, an der Erschließung ihres Landes, am Aufbau ihrer Wirtschaft und ihres Erziehungswesens mitzuarbeiten, nicht überhören.

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