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Österreich und seine Eliten

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Das alte Österreich ist ein fortschrittlicher Feudalstaat gewesen und hat im Theresianuim den Beam-tennachwuchs, in der Wiener Neustädter Militärakademie die Offiziere für die Armee und in der Orientalischen Akademie (dann: Konsuiar-akademie) die Beamten des Höheren Auswärtigen Dienstes herangebildet. In allen Teilen der Monarchie gab es bis zuletzt ähnliche Einrichtungen und Vorschulen. So ist diesem Staat eine Elite erwachsen, die zuletzt einem Staat gedient hat, der sich seiner selbst nicht mehr gewiß gewesen ist.

Nach 1860, während des Bündnisses von Besitz und Bildung, rückten die graduierten Akademiker in die Schlüsselstellungen des politischen Lebens und der staatlichen Verwaltung ein. Das geistige Klima, in dem diese Elite existiert hat, kam von der Universität her und aus den studentischen Gemeinschaften. In den konservativen, proösterreichischen Corps, in den national-liberalen, später deutsch-nationalen Bur-

schenschaften, in den katholischen Verbindungen des CV und in den Lese- und Redevereinen entstand mit der demokratischen Ordnung eine Pluralität der Eliten.

Die neuen Machthaber der jungen Republik wollten mit solchen Dingen nichts zu tun haben. Für sie war das alte Österreich aiuf dem Schindanger krepiert“ {Friedrich Auster-litz, Chefredakteur der „Arbeiter-Zedtuing“) und das Schulwesen Altösterreichs war für sie nur ein ..antisoziales Instrument“ der früheren herrschenden Klasse. Es hat ein Jahrzehnt gedauert, bös der Dichter Anton Wildgans anläßlich des Staats-feiertages 1929 vor aller Welt sagen konnte, daß in der Verlassenschaft auch Werte steckten; Werte einer „ehrwürdigen Kultur“ und eines „besonderen Menschentums“. Dieser müßten sich die Werkleute des neuen Österreich nicht schämen: vorläufig habe das neue Österreich dem alten noch so ziemlich alles zu verdanken. In dem Wort „vorläufig“

„Welt ohne Genies“

Die politische Linke mißtraut dem Wortgebrauch Auslese, Begabung, Elite, und sieht diese Begriffe als neue Formeln für ein eingealtertes Biidungsprwfiegtam an. Rechts von links (eine politische Rechte gibt es derzeit in Österreich nicht) profitiert man von der bloß rationell kaum erklärlichen Tatsache, daß in Österreich die Mehrzahl der Gebildeten nicht links stehen mag. Im übrigen denkt man genau so, wie nach 1945 in England die siegreiche Linke gedacht hat: Zuerst einmal die Wirtschaft; später einmal, wenn die Wirtschaft planmäßig in Ordnung sein wird, sollen auch diese „begabten, aber schwierigen“ Tsrpen ihren Platz bekommen In einem solchen

steckit die Fatalität von heute. Denn in dem Transitorium der zwanziger und dreißiger Jahre wurden die Traditionen aristokratischer Kultiviertheit und bürgerlicher Geistigkeit schütter; in den Kontrastelektionen der „Umstürze“, „Umbrüche“ und „Rüctobrüche“ sanken ihre Träger nach dem zweiten Weltkrieg in die amorphe Schicht ab, in der sie sich mit den Vorhuten der emporkommenden Kleinbürger und Proletarier und ihrem bescheidenen elan vital auf der Basis „Wohlstand und Wohlfahrt für alle“ arrangieren konnten.

• Als nach 1945 die Technokratie ins Land kam, brauchten die nüchternen und ein wenig a-musischen RattonalisierungsfacMeute die Werte, in denen die alte Kulturerbschaft verkörpert gewesen ist, vielfach gar nicht zu opfern und zu übersehen; es gab genug Vakua und Situationen einer Stunde Null.

Anderseits ließ man im Land vieles beim Alten, und man tat es ohne Inventaraufnahme, werkelte in frü-

heren Verhältnissen weiter, als sei nichts geschehen. Die fällige Entmischung des Gewesenen und des Werdenden ging zögernd vonstatten. Es gab daher hier einen starren Widerstand, dort eine linkische Bereitwilligkeit gegenüber dem Neuen, und gefährliche Einseitigkeiten der „Romantiker“ und der „Futuristen“.

Land ohne Eliten?

Seit 1945 klagt man in Österreich darüber, daß das Land seine „Bestien“ an das Ausland verliert und daß die Begabten im eigenen Land zuwenig Chancen bekommen. Um dieses DefMtes Herr zu werden, forciert man neuerdings die Heranbildung von qualifizierten Experten mit Matura und Hochschulbildung. Die Zielsetzung erfolgt dabei weniger nach kulturpolitischen Erwartungen als nach wirtschaftspoliti-schen Kalkulationen: Es geht um größere Quantitäten und nicht um mehr Qualität. Das Eliteproblem ist ein Tabu.

Klima schien es zu strapaziös zu sein, Österreicher wie Ferdinand Porsche oder Herbert von Karajan dem Land zu erhallten.

Schließlich gab der „Neue Stil“ diesen veralteten Anschauungen noch recht: Der frühere Wiener und jetzige New Yorker Peter F. Drucker, Professor für Management und Berater einiger der größten Wirtschaftsunternehmen der USA, hat diese „Welt ohne Genies“ kaltblütig beschrieben: Man wird nicht mehr auf „Erkenntnnsbliitze*' warten; jetzt geschieht alles „systematisch“; was früher eines der seltenen „Genies“ vermochte, dazu kann man heute den „gewöhnlichen Sterblichen“ veranlassen. In der Leistungsgesellschaft wäre zwecklose Genialität Vergeudung; der erfolgreiche Typ lebt zielgerichtet und zweckgerecht. Sein Erfolg ist das Produkt einer maschinenähnlichen Leistung.

Das ist der Typ, der zu dem System gehört, in dem das Netz der gesellschaftlichen Beziehungen mechanisiert wird, wobei an den Kontrollpunkten geistig-mechanische

Ampeln aufgehängt werden. Diese Ampeln sollen lediglich den gesellschaftlichen Verkehr regeln und die individuelle Sicherheit erhöhen. Die Technokraten können dem einzelnen nicht sagen, was Leben ist und was der Sinn des Lebens sein könnte. Die wissenschaftliche Antwort auf die Frage, was Leben ist, können die Biochemiker noch nicht geben, und die Frage nach dem Sinn des Lebens ist nach der positivistischen Auffassung von der Wissenschaft eine bloße Scheimf rage ohne Relevanz.

Das österreichische, das ein Jahrtausend gehalten hat, war in seinen guten Zeiten wohltemperiert; der rasche Wechsel von ideologischer Uberhitztheit und kühler Gleichgültigkeit ist erst neuesten Datums. Jetzt rätseln wir an der 500jährigen Formel AEIOU und suchen eine Lösung, die auf unsere Verhältnisse paßt. Wir führen ausländische Gäste zur Besichtigung der Reichsklein-odien, der früheren Hofmuseen und -theater, der Spanischen Reitschule, und lassen sie in der Hofburgkapelle zuhören, wenn die Sängerknaben singen, wie zu Kaiser Maximilians Zeiten; und wir stehen dabei, als wollten wir sagen: Ja, so sind wir nun einmal. Inmitten des Tagesgeschäftes stellen wir dann meistens fest, es sei ein Irrtum gewesen: Das österreichische sei leider keine Idee, sondern eine Strapaz, und für die läßt das Geschäft keine Zeit. Darum halben wir uns in den fünfziger Jahren so wohl gefühlt: Im

„kleinen Wirtschaftswunder“ und mit einem Bundeskanzler, dem selbst Chruschtschow bestätigen mußte, daß er ein ganz passabler „kleiner Kapitalist“ ist. Leider ist in dem Klima des ständigen Wechsels von ideologischer Uberhitzumg und kühler Gleichgültigkeit eine ganze Generation von Österreichern zugrunde gegangen. Die „Zweite Generation nach 1945“ weiß das, und sie bemüht sich, eine Reihe von Abständen zu markieren. Indem sie sich gegen das, was sie Mythen, Illusionen und Ideologien der Alten nennt, sperrt, gerät sie in eine Welt, der das Malerische des Lebens albgeht, erlebt sie ihre Zeit ohne Poesie, begnügt sie sich mit der perfektionierten Reproduktion des Musikalischen.

Einmal hat es im Jahrhundert der Aufklärung und der Enzyklopädisten

neben Montesquieu einen Rousseau, neben Gottscheds Vernünftelei den jungen Goethe, außer der Ratio aber Sturm und Drang gegeben. Jetzt scheint es der Traum der Futuristen zu sein, was einmal der Alptraum der Romantiker gewesen ist: Die Existenz zwischen ,,bloßer Manufaktur, Meierei, Assekuranzanstailt und merkantiler Sozietät“.

Die Romantiker und die Futuristen

So leben wir inmiitten hypermoderner Maschinen in einer Demokratie Modell 1750 und begnügen uns damit, daß die Gesellschaftsingenieure das alte Modell in Gang halten. Nicht nur die Frage: Woher Autorität? und die andere: Woher neue Eliten? lassen wir uniter Verschluß, sondern auch die Frage: Wie überaltert ist unsere Demokratie?

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