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Österreicher in Australien

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Unter den Ausländern, die in Australien leben, kann man drei Gruppen wahrnehmen: da sind die einen, für die Geldverdienen und geschäftliches Vorwärtskommen das Hauptlebensziel darstellt, die anderen, die hartnäckig am Altgewohnten festhalten und sich soweit wie möglich vom Umgang mit dem „minderwertigen Wirtsvolk“ abschließen, und drittens jene Minderheit, die alles daransetzt, ihre Mitmenschen zu verstehen, ihnen Freund zu sein, und die im Austausch intellektueller und seelischer Werte ihre Lebensaufgabe findet.

Die erste Gruppe hat ihre Standorte vor allem m den Großstädten; besonders in Sydney und Melbourne hat sie ein reiches Betätigungsfeld. In einer rasch vorwärtsdrängenden Industrie eröffnen sich dem Kundigen, der internationale Verbindungen zu nützen weiß, viele Möglichkeiten.

Zu dieser ersten Gruppe, die man im allgemeinen glücklich und erfolgreich nennen kann, gesellt sich die große Gruppe der Mißgestimmten. Vor allem sind es ältere Menschen, die sich in die neuen Lebensverhältnisse nicht hineinfinden können. Auch unter den Jüngeren ist die Zahl derer groß, die so reden, als ob sie in Europa ein Schlaraffenland verlassen und als ob sie in der Heimat immer nur die hervorragendsten Stellen bekleidet hätten. Zu Anfang, als die ersten Einwanderer aus Deutschland und Österreich hier eintrafen, hat man ihnen alles aufs Wort geglaubt, aber gerade das ist ihren Landsleuten, die nach ihnen kamen, zum Nachteil geworden. Der Australier, der noch vor dem Krieg alles, was von Europa kam, mit einem gewissen Respekt und einer naiven Wißbegierde willkommen hieß, ist jetzt mißtrauisch geworden. Er hat entdecken müssen, daß in praktischen Dingen ein Mensch, der in Australien aufgewachsen ist, oft verwendbarer, vielseitiger, praktischer und vor allem verläßlicher ist.

Die dritte Gruppe von Österreichern sind jene, die im fremden Land nichts als Obdach, Nahrung, Frieden und Freundschaft suchen. Die gewaltigen Riesenarme des Hafens von Sydney sind ihnen ein Symbol des Schutzes, das goldglitzernde, von kleinen Dampfern und Fähren durchkreuzte Hafenbecken mit dem gründurchwirkten Häusermeer dahinter ist ihnen ein Willkommgruß eines neuen, glücklichen Landes. Es muß schon ganz ungewöhnlich zugehen, wenn ihnen nicht schon vom Ufer frohes Gelächter und heiterer Zuruf entgegentönt. Denn die Australier siiįd ein fröhliches Volk, und wer in ihr Lachen einstimmt, der ist hier bald daheim.

Die Lebensart des australischen Städters hat freilich ihre Besonderheiten. Hier ist von Kindheit auf jeder daran gewöhnt, sich alles selbst zu machen. Der Arbeiter wie der Universitätsprofessor wird nach ęlem Essen in der Küche das Geschirr ab- waschen, wird am Wochenende seiner Frau bei der Wäsche, bei der Hausarbeit, im Garten helfen. Er wird den Zaun, die Möbel, alle elektrischen Geräte selbst reparieren und oft selbst verfertigen. Auch wenn er noch so viele fremde Sprachen spricht, ist der Ausländer doch wenig brauchbar, solange er den australischen Dialekt nicht versteht. Für einen längeren Aufenthalt in Australien ist zunächst eine gute Beherrschung der englischen Sprache eine unbedingte Voraussetzung; sie im Lande selbst zu erlernen ist infolge des weitverbreiteten Dialekts sehr schwer.

Beherrscht man aber die Sprache, so nimmt man bald wahr, wie ungezwungen und selbstsicher die Menschen sich hier bewegen. Der Tramwayschaffner spricht mit den Fahrgästen über das Wetter, das Pferderennen, die Teuerung, und wenn er sich dabei auch bei der Haltestelle etwas länger aufhält, wird ihm’s niemand übelnehmen. Ebenso ist es beim Fleischer, beim Bäcker, beim Gemüsehändler.

Unleugbar ist dem australischen Leben eine gewisse Eintönigkeit eigen. Dem Ankömmling aus Europa fällt sofort die einförmige Tracht, die Regelmäßigkeit in den Lebensgewohnheiten der Menschen auf. Jeder gebraucht die gleichen Rede-Wendungen, jeder geht am Samstag Nachmittag zum Pferderennen oder zum Fußballplatz, am Abend geht man ins Kino. Im Sommer geht man ans Meer, verhältnismäßig wenige wandern oder treiben Wintersport; immerhin hat sich in den letzten Jahren ein Wandel bemerkbar gemacht. Doch gibt es viele Gegenden, die sportlich ungünstig sind, wo das Klima und die wüstenartige Landschaft zum Beispiel ein Wandern nicht gestatten. Infolge des gänzlichen Mangels an häuslichen Hilfskräften hat man im australischen Haus nur verhältnismäßig selten geladene Gäste, außer zum „Supper“. Daher kommen die Gäste um 8 Uhr, wenn das Abendessen bereits abgetragen und abgewaschen ist. Um 10 Uhr wird Tee oder Kaffee gereicht. Man bespricht die Wohnungsnot, Kino, Politik und Familienklatsch, da aber jeder dieselbe Zeitung liest und so ziemlich mit denselben Menschen verkehrt, ist das Gespräch meist recht uninteressant. Man merkt, daß viele dieser Menschen ganz im Alltag, im Geldverdienen ihr Dasein erschöpfen und man fühlt irgendwie, daß man sie aus dieser Selbstzufriedenheit herausreißen und sie mit unseren eigenen Problemen bekannt machen möchte. Aber das gelingt selten. Dem Österreicher rechnet man als Mangel sein romantisches, unpraktisches Temperament an: wenn sie praktischere Leute wären, dann wäre, nach Ansicht meiner australischen Freunde, die österreichisch-ungarische Wirtschaftsgemeinschaft nie aufgelöst, der jetzige Verfall Europas vermieden worden.

Einen besonderen Typus des Australiers stellen jene Menschen dar, die im Krieg weit herumgekommen sind, Menschen, die in japanischer oder deutscher Gefangenschaft, im Krieg in den Tropen und im wüsten Afrika viel gelitten haben. Das sind aufgeschlossene Menschen, in der Regel voll tiefen menschlichen Interesses für alle Probleme des Lebens und der Kultur, erfüllt von einem redlichen Verlangen nach Erkenntnis, nach Religion, nach internationaler menschlicher Verständigung. Zu diesen Menschen zähle ich viele meiner ehemaligen Schüler, die als leichtsinnige, übermütige Jungen in den Krieg gezogen und jetzt als reife, verantwortungsvolle Männer zurückgekommen sind. Diese Männer sind es, deren Freundschaft ich über alles schätze, diese Männer sind es — und es muß ihrer überall in der Welt geben —, die mir den Glauben an den Menschen wiedergegeben haben. Dicht aneinander gedrängt, auf Bett und Fußboden verstreut — denn auch in Canberra sind die Studentenbuden nicht sehr groß — sitzen wir oft bis spät in die Nacht hinein beim Kaminfeuer und sprechen über Kant und Hegel, über Jacques Maritain und Martin Buber, über D. H. Lawrence und Josef Stalin und — über vieles, was man nur zur guten Stunde im engen Kreis ernsthaft besprechen kann — und fast will es mir scheinen, daß, sobald man nur dem materiellen Alltag entronnen ist, auch das Wort „Ausland“ viel von seinem Schrecken verliert. Man kann auch hier Menschen finden, bei denen man „daheim“ ist.

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