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Österreichische Antike

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Grillparzers „Medei” in der Burg, Ferdinand Bruckners „Timon” in der Josefstadt. Zwei große Dramen, zwei Antikebilder.

Medea : die antike Fabel von der kol- ehischen Königstochter, die sich von Jason, dem Griechenjüngling, nach Hellas rauben läßt und in der Fremde zugrunde geht. Griechische Antike in ihrem Ringen mit dem Barbarentum. — Wie verhält sich moderne sensible Subjektivität zum objektiv-großen weltenfernen Mythos der Antike? Aus dieser Spannung erwächst sowohl das Werk Grillparzers, wie auch die Lebenskraft dieser einmaligen Aufführung.

Wiedergeburt der Antike?” — Nein, gewiß nicht. Von einer solchen konnte nicht einmal in jenen güldenen Zeiten gültig gesprochen werden, als Pico della Mirandola, Leitstern des florentinisdien Humanismus, der große Prediger „Von der Würde des Menschen” vor seinem Bild des „göttlichen Platon” eine silberne Ampel entzündete. — Nicht, als im taubengrauen Haus am Frauenplan in Weimar der Geheime Rat Goethe ehrfürchtig sein großes Junohaupt aufstellte: die antikischen Basreliefs, die Götter, Heroinen und Putten, blicken von den zartgetönten Wänden schelmisch hinaus in den blühenden Sommergarten… Nein, es war auch hier nicht d i e Antike — und doch: ihr großes Bild, war in Andacht, Ehrfurcht, Liebe herbeigerufen worden — als eine Hilfsmacht zur Bewältigung der ureigensten Schwierigkeiten des eigenen Lebens. Als Lösemittel — ihr Wort, ihre Formen, ihr heiliges Zeichen sollten Zunge und Herz der „Moderne” lösen helfen — dieser Moderne, die sich immer tiefer in der Enge, in der Beklommenheit des Irhhaften verlor; ihre Einsamkeit und Selbstverlassenheit wollte sich erlösen im Gespräch der antiken FabeL

So ringt auch Grillparzer um eine

Befreiung vom Alpdruck seines Dämons, der in tausend Bildern immer wieder sich selbst sucht und meint. Seine „Antike” ist das Klang gewordene Gemälde der Landschaft seiner Seele. — Eine schauerliche Landschaft —, durchaus kein romantisches

Panorama, wie es Schnorr von Carolsfeld und die deutschen „Römer” damals malten. Nein, Grillparzer konnte sich keine Illusionen darüber machen: der große Dichter ist der unbarmherzigste Realist, den es gibt. Wie ein Adler steht sein Genius hoch über den Wüsten und vulkanischen Schneefeldem seiner eigenen Natur — bereit, heute in diese, morgen in jene wunde Flanke herab- Zustoßen — und sie abzureißen… Wenn der Dichter, der Dichter tausend Bilder sucht, dann nur, weil er dermaßen verwundet, versehrt ist durch sein inneres Offensein, daß er sein Leben daransetzen muß, dieses Wundsein in immer neuen Formgestalten, Wort- und Klanggebilden zu umschweigen.

„Medea”: Barbarentum und Griechentum in Grillparzers „Seele” — sie ist, in diesem Sinne die Gegenstrophe zu seinem tiefsten Werk, zur „Libussa”, die das ihm einge- bome Leid als slawisch-germanische Symphonie aussingt… Franz Grillparzers Trauerspiel um den großen Verrat — Medea verrät ihre Heimat, Jason verrät sie und sein besseres Selbst — könnte also, an sich, durchaus als ein Traumspiel, weil im Innenraum eines Menschen spielend, gestaltet werden. Zerlöst in psychologische Nuancierungen, vertönt in das Selbstgespräch einer großen Natur. So wie ehedem, jahrhundertelang, die didaktische Poesie Streitgespräche zwischen Leib und Seele, Herz und Sinn liebte… Mit Recht aber wurde in der Neuinszenierung der Burg, die hohe Anerkennung verdient, dies vermieden. Fast möchte man sagen, wider den Willen Grillparzers, des mit sich selbst Ringenden, Kämpfenden, des schwerblütigen Mannes, wurden hier die Gestalten seiner „Phan- t a s i e”, seines wunden Herzens, gezwungen, ganz aus diesem herauszutreten.

Nun thronen sie, während des ganzen Spiels, auf ihren Thronstühlen: der König Kreon und seine Tochter Kreusa, Jason, Diener und Dienerin… Hinter ihnen die Götterbilder, diese Personifikationen zweier Welten, die hier gegeneinander zum Kampf auf Leben und Tod antreten. Aus dieser Ruhe werden die sitzenden Gestalten jeweils durch blitzende Lichtarme zur Handlung berufen — auf die Bühne des Vordergrundes… Aus dem Widerspiel gegen den dunkel-großen, unerschütterlich statischen Hintergrund ergibt sich ein erregendes Moment. In der Leidenschaft der Tat wachsen die Spieler im Scheinwerferlicht des Augenblicks zu gültigen Symbolen menschlicher Seinshaltungen heran — und bergen, zu monumentaler statuarischer Größe anwachsend, nunmehr in erstaunlich erregender Weise Wesentliches von der Not unseres zeitgenössischen Menschentums herein in den engen Bühnenraum, der sich nun wahrhaftig zum Weltraum weitet. Denn: durch die zeitnahe Erscheinung blickt uns plötzlich die Antik selbst an. Mit einer Kraft, die der sanfte träumende Novalis erlebte, als er „die Augen des Nidits” durch alle’ Dinge dieser Welt durchsdiimmern sah.

Groß — weil mit innerster Gewalt, mit der Bannkraft echter Macht begabt, überstehen die ewigen Symbole der zwei Welten das Spiel der Menschen: das Idol von Kol- chis, der Barbarengott, gegürtet mit dem goldenen Vlies, dem Erdhaften und Unterirdischen, dem Blut, dem Rausch und dem Wahnsinn nahe — und Pallas Athene, Göttin reiner Klarheit, die eben erst im attischen Hellas, auf schmaler Landbrücke, zwischen barbarischen Dunkelheiten aus dem Hirn des göttlichen Vaters in das scharfe Licht eines neuen Tages neuer Menschlichkeit entsprungen ist…

Und hier gelingt einmal der Regie ein wirklich großes Gleichnis. Als die Tragödie ihren Höhepunkt erklommen hat, liegt zerborsten das Bild der jungfräulichen Göttin der Vernunft, Einsicht und Selbstbesinnung auf dem Boden der Tatsachen. Auf diesem Boden, auf dem nur mehr das Rasen der Menschen und die Verkörperung ihres dunklen Unterwillens im Idol des Blutgötzen die Szenerie des Geschehens beherrschen. Das Barbarentum hat gesiegt. Restlos gesiegt? Nein. In einem kühnen, wirklich wölbenden Bogen biegt die Aufführung den Schluß des gewaltigen Dramas in seinen Quellpunkt zurück; ins Herz und den Geist Grillparzers. Leben ist Traum — la vida es suefio — die Weisheit des spanischen Barock, neu ausgegoren in der Lese eines im Reif und Tau des Lebens geläuterten Herzens: Traum, oft wüster Traum um wüste Taten der Schuld, er kennt aber Erlösung; im freien Bekenntnis, im Heiligtum des sühnestiftenden Gottes; in seinem Dienst. Medea geht nach Delphi —, Grillparzer führt sie selbst, die Geschichte seines Lebens und seines Landes, zu seinen Vätern heim…

Die neue Medea der Burg: Symbol, gültiges Zeichen des ewig gleichen Ringens zwischen Barbarentum und Humanität —, zugleich ergreifendes Zeugnis für den Scelen- kampf des großen Dichters, des großen Österreichers. — Griechische Tragödie und österreichisches Seelendrama — im Kraftfeld dieser beiden Pole, reift die Neuaufführung der Burg zur Gestaltung überpersönlicher Größe und eines warm durchpulsten, sehr persönlichen Lebens: österreichische Antike.

Plutardi berichtet von Timon: „Es gab in Athen einen sehr vermögenden Mann, Timon mit Namen, der alle mit seinem Geld beschenkte. Doch als er es verlor, wandten sich alle von ihm ab. Da wurde er ein großer Menschenhasser.” Bruckner stellt diesen Satz als Vorspruch seiner „Tragödie vom überflüssigen Menschen” voran . — Was hat Bruckner aus diesem Satz der antiken Fabel gemacht? — Die Tragödie eines Standes, einer Welt und einer Zeit, 1930 geschnoben, als viele tausend Menschen abendländischer Bildung, seelischer Kultur, feinster musischer Gesittung, plötzlich sehen lernen mußten, daß ihre Zeit vorüber war. Daß der kommende Tag den Tätern, den Händlern und Politikern gehören würde … Als die oft Feinen, oft Allzufeinen dies zum erstenmal vermerken mußten, flohen sie vielfach in die Haltung des in seinem Spiel gestörten Kindes: Ach nein, es wird schon nicht so schlimm werden — man muß uns doch weiterspielen lassen —, unsere Kunst und Musik, unser Theater, unsere heitere Geselligkeit menschlicher Gespräche, wer dürfte, könnte sie uns nehmen? — Timon hofft also, das Odeum, die Kunsthalle, die er seinen Athenern stiftet, weiterbauen zu können … Obwohl junge ehrgeizige Herren, wie Alkibiades, gestützt durch Bankiers, Großagrarier und ein Gesindel, das sich „Volk” nennt, zielbewußt auf den Krieg hinarbeiten — auf den Krieg, jawohl; er erscheint ihnen wie ein blauer Traumvogel, dessen Gefieder schwer von Gold, Ruhm, und immer wieder Beute für jedermann sein wird… Ja, das ist die bittere Wahrheit. Alle sind sie für den Krieg, alle, die Großen und die Kleinen, die Kapitalisten und die Proleten — .alle erhoffen sie sich etwas von ihm! — Nur Timon nicht. So muß er fallen —, seine Zeit, seine Gesellschaft verstößt ihn, der durch Unglücksfälle plötzlich verarmt, aus ihren Reihen.

Timon als Bettler, als Taglöhner: der Götter zwiegesichtiges Glück schenkt ihm jedoch Heimkehr — zu Gut und Gold. Nicht aber zum Herzen seiner Stadt. Nun erst offenbart sich seine Tragödie: Timon versteht seine Zeit, seine Stadt, sein Volk nicht mehr. Dem Unglück, das durch die mazedonische Invasion über sie hereinbricht, ist er nicht gewachsen, weil er jeden Kontakt, jede innere Berührung mit seiner Stadegemeinschaft, mit seinem Volk verloren — nie besessen hat. Späte Erkenntnis: Timon hat sich nur sich selbst gelebt. Seine Kunst- und Kulturbeflissenheit galt nur seiner eigenen Person. Seine Schenkungen waren Kinder der Laune seines Spiels. Seine Tragödie also — die Tragödie so vieler Gebildeter, Männer der Kunst und Wissenschaft: Der Aberglaube, die höchsten Werte des Menschlichen im eigenwilligen Spiel erhalten zu können, während sie in Wirklichkeit nur in verantwortungsbewußter Verwaltung, im Dienste an einer Idee und an einer Gemeinschaft gerettet werden können —, auch durch schlimmste Zeiten der Barbarei hindurch …

„Aber ich saß in den Gefängnissen der Einsamkeit, Gefängnisse, die man sich selbst vergittert..” Timons letzte Worte reifen zu einem ergreifenden Selbstgespräch, zu Bekenntnis und Reue aus: „Ihr Männer von Athen! — Du bist kein Perikies,, Timon. Du hast den Frieden genossen. Perikies aber hatte geschwitzt, um ihn zu schaffen!” „In Schönheit geschwelgt hast du. Aber die sie schaffen, die schwelgen nicht in ihr: sie erleiden sie.”

Der Schluß: „Glaubst du, daß mir verziehen werden kann?” Im Tod erst erfährt Timon sein Leben. Das Ende des Werkes klingt, wie so viele Motive in ihm, tief an Hofmannsthals „Der Tor und der Tod” an. Nicht zufällig. Die Tragödie Wiens, Österreichs, einer Welt später Bildungsmenschen, wird hier eingefangen: im Bild einer Antike, welche ergreifend die Brüchigkeit der Gegenwart beschwört.

Die eindrucksstarke Aufführung der Josefstadt: von echter Wirkung, zumal dank der vitalen Kraft Parylas. Und doch: er ist hier fehl am Platz. Er spielt den überreifen Spätling Timon, den Träumer um Platon, Sokrates und fern-ferne Buchgeister in die Gestalt eines jungen Mannes hinüber, der Nestroy nähersteht als Hofmannsthal und jenen herbstlichen Geistern, die über den abgeernteten Feldern dieser abendlichen Welt stehen.

1 Soeben zusammen mit „Elisabeth von Eng- • land” und der „Heroischen Komödie” im Band „Historische Dramen” in einer gefälligen Ausgabe des Schönbrunn-Verlags neu erschienen.

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