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ÖSTERREICHISCHE LESE

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Steht Goethe etwa den Österreichern lerner als anderen deutschen Stämmen? Ich behaupte: Im Gegenteil, er steht den Österreichern ganz besonders nahe. Kein deutscher Stamm ist dem österreichischen so nahe verwandt als der fränkische, und Goethe wat ein echtes Kind des fränkischen Stammes. Der fränkische Stamm zeichnet sich aus durch irische Lebenslust, durch einen rasch bewegten und gewandten Geist, durch warme Herzlichkeit und leicht entzündlichen Enthusiasmus und endlich durch Neigung und Talent für künstlerische Tätigkeit. Soll ich Albrecht Dürer und Hans Sachs als Beispiele nennen? — Nun, und linden wir nicht just dies alles geradeso im österreichischen Naturell? — Ich kann deutlich nachweisen, daß Goethe in seiner ersten Zeit nahe und nächste Beziehungen zu Österreich hatte. Sein Vater war kaiserlicher Rat, sein mütterlicher Großvater war kaiserlich österreichisch gesinnt bis zum Enthusiasmus, er hatte als Schöii von Frankfurt am 4. Oktober 1745 über Kaiser Franz dem Ersten den Krönungshimmel getragen und von der Kaiserin Maria Theresia eine gewichtige goldene Kette mit ihrem Bildnisse erhalten. Und Woligang war seinem Großvater sehr ergeben. Er war selbst voll Eifer und Anteil gewesen bei der Krönung Kaiser Josefs in Frankfurt.

Sein Lehrer Oeser, von welchem er für immer die Grundsätze für bildende Kunst in sich aufnahm, war ein Preßburger, der seine Bildung in Wien gefunden hatte. Aus Wien, vom Kaiser Josef, kam ihm sein Reichsadel. Unser Hammer-Purgstall gab ihm durch seine Schrift über den Orient die Veranlassung zum west-östlichen Divan, und in diesem Divan spricht eine Österreicherin mit: Marianne Willemer. Sie wird nicht nur als Suleika verherrlicht, es sind auch einige Lieder, welche der Suleika in den Mund gelegt sind, von ihr selbst. Und soll ich hier nicht auch Grill-parzers gedenken? Von ihm rührt ja das wichtige Wort her über Goethe: „Schiller geht nach oben, Goethe kommt von oben.“ Grillparzer war ein stolzer Österreicher, stolz auf seine Dichtkunst, stolz auf sein Vaterland. Goethe aber war für ihn der Polarstern der Dichtkunst, und in Befangenheit stettete er ihm einen Besuch ab in Weimar. Er wurde sehr wohlwollend empfangen und zu Tisch geladen. Als man zur Tafel ging, bot ihm Goethe die Hand, ein Genosse dem ebenbürtigen Genossen. Darüber brach Grillparzer in Tränen aus, der stolze Grillparzer, so erhaben erschien ihm der Dichter Goethe, welcher dem österreichischen Dichter der „Sappho“ die Hand reichte, wie einem ebenbürtigen Genossen. Noch in seinen alten Tagen ließ sich Goethe von seinem Freunde Zelter, der in Wien zu Besuche war, ausführlich über Wien berichten und ließ sich diese Wiener Berichte besonders abschreiben. Zelter aber, ein praktischer Mann, erließ ihm kein Detail über Wien, beschrieb ihm auch alle Unterhaltungen in den Vorstädten, denen er im Schweiße seines Angesichtes nachgegangen, und versicherte unter andern: „Das österreichische Volk ist von der gefälligsten Naivität, und wenn zum Exempel das österreichische Deutsch kein gutes Deutsch wäre, so ist es doch gewiß eine Sprache, worin man sich mit einer Leichtigkeit bewegt wie der Fisch im Wasser.“

Kurz, Goethe erhielt alles zur Charakteristik von Wien, so daß er einen Wiener Roman hätte schreiben können. Von seinem vieljährigen Besuche Karlsbads will ich nicht sprechen wie von einer Anhänglichkeit an Österreich, er galt dem Sprudel, nicht dem Lande. Aber doch pflegte Goethe dort mit Vorliebe Bekanntschaft und Umgang mit Österreichern und feierte stets bei festlicher Gelegenheit die Mitglieder des Kaiserhauses durch ein Gedicht. Man darf nicht sagen: dies brachte lediglich seine Stellung als Dichterminister mit sich, wenn man erfährt, wie tief er die Kaiserin Maria Louise verehrt hat. Als sie 1821 gestorben war, schrieb er in einem Briefe: „Den Tod der höchstseligen Kaiserin hob' ich noch nicht verwunden. Es ist, als ob man einen Hauptstern am Himmel vermißte, den man nächtlich wiederzusehen die freundliche Gewohnheti hatte.“

Aus der Festrede des Burgtheaterdirektors Heinrich Laube zur Goethe-Feier 1882.

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