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Österreichische Spiele

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Anläßlich des Hofmannsthal-Gedenkjahres bringt die Josefstadt in der Inszenierung von Rudolf Steinboeck sein Lustspiel „D er Schwierige" in einer sehenswerten Aufführung. Dieses Lustspiel wiegt nicht nur viele Tragödien auf, sondern ist eine Darstellung österreichischer Wesensart, so fein und so treffend, daß man sich wundern muß, daß es noch immer nicht entdeckt wurde für Festspiele in Oesterreich, sei es nun in Salzburg oder in Wien. Ein Trost: Berlin und Deutschland haben es gerade in letzter Zeit sehr warm aufgenommen. Die Gründe für diese herzliche Aufnahme eines in seiner Weise einzigartigen Werkes österreichischer Selbstdarstellung, mit deutlicher Distanzierung einem gewissen raffgierigen, genußsüchtigen, anmaßenden und hohlen deutschen Typ gegenüber, dürften in der hohen Objektivität zu suchen sein, mit der ein gebildetes Deutschland sich offen zeigt für die Annahme einer echten, strahlenden Menschlichkeit, die ja heute so selten ist, auch auf der Bühne. Daneben soll die Leistung der Schauspieler, allen voran Leopold Rudolf als Hans Karl Bühl, in keiner Weise gemindert werden. „Der Schwierige" steht und fällt ja mit der Besetzung der Hauptrolle. — Hofmannsthals Lebenswerk ist ein einziger Akt der Verteidigung seiner spirituellen Existenz; die aber ist, das wird ihm selbst früh klar bewußt, nichts anderes als die Verdichtung der Bildungswelt Alteuropas, mit seiner Kultur und seinem Glauben. Und diese Existenz kann nur gelebt werden in steter Verteidigung gegen jene Flutwellen „neuer Menschen”, die herandrängen zur Machtübernahme; es sind Menschen ohne Mitte, ohne echte eigene Substanz; Raffer, Gierige, Schielende, teilweise sehr begabte Spezialisten — wie hier „ein berühmter Mann", in dem Hofmannsthal die innere Leere eines berühmten Berufsphilosophen sichtbar werden läßt; ihm entspricht der Baron Neuhoff, ein eitler, vielredender Streber aus guter, alter Familie. Es verdiente einmal besonders herausgearbeitet zu werden, wie Hofmannsthal, dieser tiefe Kenner der Unmenschlichkeifen unserer Zeit, die innere Aushöhlung des Menschen an Repräsentanten der „alten" Welt und ihrer guten, alten Gesellschaft darstellt — nicht etwa an einem Lumpenproletariat. Der Dichter wurde gerade hier zum Seher, indem er das Fragwürdige, das Verdorbene und Gefährliche gerade dort ersah, wo viele andere, naive Kulturbewunderer etwa, noch in vollem Schwärmen den Glanz genossen, der nicht mehr echt war. — Hans Karl Bühl, „der Schwierige", ist ein geistiger und fleischlicher Bruder des König Rudolf in Grillparzers „Ein Bruderzwist in Habsburg". Ein Mensch zwischen den Welten, beladen mit dem Wissen um Schuld, um die Schwäche alles Menschlichen. Der Graf von 1919 ringt sich aber durch zur Tat: zur Ehe. Und damit kann ihm gelingen, was dem König im Aufklang des Dreißigjährigen Krieges nicht gelang: die Stiftung einer neuen Ordnung, einer neuen Harmonie der Gegensätze. Für Hof- inannsthal ist die Ehe die große Chiffre, die- alle Schwierigkeiten und alle echten Geheimnisse des Zusammenlebens der Menschen birgt — er hätte das prophetische Wort des großen prophetischen

Geistes Frankreichs, Charles Feguy, auf seit! Anliegen beziehen dürfen: „Die großen Abenteurer des 20. Jahrhunderts werden die neuen Ehemänner sein …" Es hat also guten Sinn, daß der „Schwierige", der Oesterreicher, der um die Schwierigkeiten einer gültigen, fruchtbaren Verbindung der immer andersartigen Menschen weiß, selbst dieser Schwierigkeit fast erliegt, käme ihm nicht die Frau zu Hilfe, die das Kind und den Mann in ihm verbindet zur gereiften Person, die Verantwortung auf sich nimmt.

Die schöne Aufführung (neben Rudolf und Aglaja Schmid ist der junge Peter Weck als Stani zu nennen) leidet an einer einzigen Unebenheit: durch die Fehlbesetzung der Antoinette Hechingen (Heli Servi ist prächtig, spielt aber eine in dieses Stück nicht passende Praterdame) fehlt der so wichtige Gegenpol, nicht nur zu Helene Altenwyl, sondern zum „Schwierigen" selbst: diese Antoinette müßte ja gezeichnet werden als ein lebendiges Grabmal einer großen, alten Welt, nunmehr schillernd in allen Farben des Neurotischen und Dekadenten; als eine jener Prinzessinnen, die Freud umschwärmten und sich von ihm psychoanalysieren ließen. Graf Bühl erhebt sich, nicht ganz aus eigener Kraft, aber doch aus einem innersten Impuls, aus dieser lasziven, nur in sich selbst verliebten, hochmütigen und innerlich ausgebrannten Welt, die den ersten Weltkrieg mit auf dem Gewissen hat. Schade, daß diese Möglichkeit, den Zeitbezug auch für die Gegenwart auszuzeichnen, versäumt wurde.

Ein Nachlaßwerk des genialen Oedön von Horvath ist nun vom Volkstheater erstmalig herausgebracht worden, das sich bereits das Verdienst erworben hatte, seiner starken Tragikomödie „G’schichten aus dem Wienerwald" eine eindrucksvolle Aufführung bereitet zu haben. Der Regisseur Gustav Manker und der Bruder des Dichters, der bekannte Zeichner Lajos Horvath, als Bühnenbildner, haben dieses seltsame Stück liebevoll betreut, das Altösterreich spiegelt mit seinem. Sprachengemisch und wohl nur in Wien heute aufgeführt werden kann — wo finden sich die Schauspieler, die dieses Böhmakeln, Gaunerdeutsch, Jüdeln heute noch können — diese Sprachen, die, wie die einstige Wiener Küche, und der Praterbarock, eip unvergeßliches Kompott datstel- len, Spiegel auch sie des alten Reiches. „E i n Dorf ohne Mä n n e r", so heißt dieses Stückchen, das um eine Story aus einem ungarischen Roman, einen bunten Reigen von Typen tanzen läßt. Der „Inhalt" im Wortsinn ist belanglos, alles liegt im „Detail". Horvath zeigt in dieser Skizze, wie reich seine Anlagen waren: vom großen Sittenrichter („Jugend ohne Gott") und Bußprediger bis zum Satiriker und Volksaufklärer, von Abraham a Sancta Clara bis zu Karl Kraus finden sich Funken in ihm — und sprühen hier über die Bühne … Wehmütig gedenken wir dieses Mannes, den der Herbststurm in Paris erschlug, wohin er geflüchtet war vor den neuen Herren in Oesterreich. — In der flotten Aufführung holt sich Fritz Eckhardt als jüdischer Bader einen Sondererfolg.

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