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Österreichs heimlicher Schatz

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Durch die Zeitereignisse 1934/38 gezwungen, mußten zahlreiche österreichische Künstler oft nach einer gewagten Flucht die Heimat verlassen. Viele von ihnen fanden in überseeischen Ländern ein neues Zuhause. Einige Österreicher verblieben in Paris, und selbst die Armeen des Dritten Reiches, die Gestapo und die Leiden der Besatzungszeit konnten sie nicht vertreiben. Wenige von ihnen erlangten späte Anerkennung. Ihr Wirken spiegelt sich in Kritiken oder einem größer werdenden Schülerkreis wider. Die Älteren dagegen versinken in Träumereien der Vergangenheit und zitieren die Zeit ohne Gnade, welche häufig zu den fruchtbarsten Epochen künstlerischer Schöpfung zählt. Junge Künstler der Gegenwart verbinden die Geistigkeit Österreichs mit künstlerischen Impulsen und Tendenzen, die sich in Paris, von allen Horizonten der Erde kommend, manifestieren. Es ist bedauerlich, und wurde von den österreichischen Künstlern in Paris manchmal mit Empörung, meistens mit stiller Resignation vermerkt, daß unser Land zu oft diese vorzüglichen Botschafter echter Humanität vergessen hat. Das österreichische Kulturinstitut in Paris dient als einzige Stütze und Verbindung zum Vaterland. Die materiellen Mittel sind jedoch zu beschränkt, um diese Talente wirkungsvoll zu fördern. Mögen sie auch teilweise die Staatsbürgerschaft gewechselt haben, sind sie doch intim mit dem Kulturleben Wiens und der Landeshauptstädte verbunden. Sie selbst bezeichnen sich weiterhin als gei<-stige Bürger Österreichs.

Ein Schüler Schönbergs

Maa: Deutsch, letzter Schüler Schönbergs („ich bin der Schüler Schönbergs“) gewann gerade in den letzten Monaten an Popularität. Zu ihm pilgern junge Komponisten aus der ganzen Welt, die sogar von ihren Regierungen Stipendien erhalten, um an den Kursen des Meisters teilnehmen zu können. Max Deutsch trennte sich später von Schönberg und beklagt 18 Jähre geistigen Exils. Ab 1924 begann die Karriere Max Deutschs in Paris: er schrieb musikalische Texte für Mistinguette, fiedelte im „Moulin Rouge“, organisierte die spanische Filmmusik vor Franco und beschäftigte sich mit der musikalischen Untermalung der Filme Pabsts. Bei Ausbruch des Krieges wurde er verhaftet. Durch den Innenminister Mandl befreit, leitete er anschließend eine Gruppe der französischen Widerstandsbewegung. Trotz dieser äußerlichen Belastung komponierte er weiter und wurde von Peguy

inspiriert. Als er nach Paris zurückkehrte, war er vollkommen mittellos. Junge Amerikaner suchten ihn auf und wünschten, von ihm unterrichtet zu werden. Nun ist er der gefragte Sachverständige der UNESCO für musikalische Erziehung. Im großen Saal der Sorbonne leitet er seine bekannten Konzerte. Wer den Maler Georg Merkel besucht, empfindet die Begegnung mit dem alten Österreich-Ungarn. Da wird Lemberg beschworen, und der Achtundachtzigjährige, ein Freund Hermann Brochs, betont feierlich: „Ich bin Österreicher und glaube an mein Land.“

Sein Leben gleicht einer seltsamen, modernen Odyssee. Schon vor dem ersten Weltkrieg besaß er in Paris ein Atelier. Er wurde 1914 vertrieben und lebte bis 1938 in Wien. Rechtzeitig floh er in die Tschechoslowakei, erreichte Paris, wurde verhaftet, freigelassen, neuerlich eingesperrt und landete schließlich in einem KZ an der spanischen Grenze. Zufall oder Fügung des Schicksals? Immer wieder wurde er durch eine Begegnung mit einem kunstverständigen Kommandanten oder durch die humanitäre Geste eines Wachsoldaten gerettet.

„Mein ganzes Leben war Malerei“, beteuert Merkel seinem Gesprächspartner, der ihn, den ehrwürdigen Doyen der österreichischen Künstler in Paris, aufsuchte. Merkel haust weit außerhalb der Weltstadt in einer nüchternen Zweizimmerwohnung ohne Poesie. Von seinem Fenster aus muß er die plumpen Fassaden eines häßlichen Wohnblocks

betrachten. Zu ihm verirren sich selten Interessenten. Er hält sich vom hektischen Treiben des modernen Kunsthandels fern. Für ihn gibt es keine Cocktail-Partys und Vernis-sagen, wo sich Tout-Paris trifft. Einmal, zweimal im Jahr vermag er ein Bild zu verkaufen. Mit diesem Erlös bestreitet er seinen bescheidenen Unterhalt

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Vielversprechender Jungfilmer

Der jüngste österreichische Künstler in Paris mit hoffnungsvollen 26 Lenzen hat sich bewußt der Gegenwart verschrieben. Der Grazer Bruno-JWario Kirchner gehört zu den Erwartungen des französischen Films. Derzeit ist er Regieassistent, aber als Verfasser von Drehbüchern anerkannt. Es gelang ihm sogar, ein Szenario in Hollywood unterzubringen. Polnische Produzenten interessieren sich für sein Werk „Der Kinderkreuzzug“ nach einer Ballade von Bert Brecht. Das französische Fernsehen liest aufmerksam seine Drehbücher, die Kirchner in klassischem Französisch („ohne Ubersetzung“) vorlegt. Der Jungfilmer hegt bestimmte Ideen bezüglich der Technik, Fernsehfilme herzustellen. Wenn man mit diesen Künstlern spricht, ihre Werke kennenlernt, entdeckt der Besucher etwas Besonderes, das der in der Heimat Lebende vielleicht übersieht. Der humanistische Grundzug des österreichischen Kunstschaffens wird im Ausland akzentuiert. Die Persönlichkeit des österreichischen Menschen zwischen Dämonie, Genie und Leidensfähigkeit tritt deutlicher zutage.

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