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Paul Chaim Eisenberg: Offenheit schaffen für jüdische Kultur

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Als Lehrer versucht er, die Menschen ans Judentum zu binden. Der Oberrabbiner hat aber keine Scheu, auch außerhalb des religiösen Rahmens aufzutreten.

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Als Lehrer versucht er, die Menschen ans Judentum zu binden. Der Oberrabbiner hat aber keine Scheu, auch außerhalb des religiösen Rahmens aufzutreten.

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Ein Gespräch über den Friedensprozess in Nahost, den christilich-jüdischen Dialog und die Gesellschaft in Österreich.

DIE FURCHE: Was sind Ihre dringlichsten spirituellen Anliegen?

Paul Chaim Eisenberg: Als Rabbiner bin ich zunächst einmal ein Lehrer, und ich versuche sowohl im Schulunterricht als auch in der Synagoge die Menschen an das Judentum zu binden. Dazu gehört im weitesten Sinne auch Solidarität mit dem jüdischen Volk und auch mit dem Staat Israel.

DIE FURCHE: Sie suchen den Kontakt zu Nicht-Juden in Osterreich (sogar in der „Netten Leit Show” mit Hermes Phett-bergl). Was motiviert Sie dazu?

ElSENBERG: Es ist zwar nicht meine Hauptaufgabe, ständig das Judentum nach außen hin zu repräsentieren, andererseits habe ich keine Scheu, das zu tun. Ab und zu halte ich es für vertretbar, auch außerhalb des religiösen Rahmens aufzutreten: Wenn ein Rabbiner irgendwo erscheint, wo man ihn nicht erwartet, hat er die Möglichkeit, Menschen anzusprechen, die er sonst nicht so leicht erreicht. Ich habe festgestellt, daß gerade die Jugend nicht unbedingt in althergebrachten Räumen und Sendungen anzusprechen ist.

DIE FURCHE: Sehen Sie das auch als Beitrag gegen Antisemitismus?

ElSENBERG: Ich glaube nicht, daß man einen überzeugten Antisemiten durch einen guten Auftritt in einer Sendung zu einem großen Philosemiten machen kann. Aber ich glaube, daß sich viele Leute noch nicht entschieden haben, wie sie von den Juden denken. Bei denen kann ich mir vorstellen, daß es einen Unterschied macht, was sie vom Judentum oder von Juden hören, oder was sie sehen, so daß es hier doch irgendwie die Möglichkeit einer Einflußnahme, einer Erziehung gibt.

DIE FURCHE: Ist der christlich-jüdische-Dialog auch in diesem Sinn zu bewerten?

EISENBERG: In Österreich gibt es von christlicher Seite sehr großes Interesse am Judentum. Ich werde überraschend oft von Pfarren und von katholischen Laienverbänden eingeladen. Da spielt die seit dem Zweiten Vatikanum laufende Selbstreflexion über religiöse Wurzeln im Judentum und über den jahrhundertealten kirchlichen AntiJudaismus eine Rolle. Direkte Kontakte mit der katholischen Kirche bestehen mit dem für den interreligiösen Dialog zuständigen Bischof Krätzl und mit der Katholischen Aktion, die sehr um Kontakte bemüht ist. Aus dem liberalen oder linksliberalen Umfeld, von wo ich Einladungen eher erwarten würde, kommen sie selten.

DIE FURCHE: Geht dieser Dialog über Folklore und* Bräuche hinaus?

ElSENBERG: Es gibt eine Ebene dessen, was Sie Folklore nennen wollen: das Chassidische, das Schtetl, die Lieder und so weiter. Da gibt es Menschen, die sich sowohl einen ernsten Vortrag anhören wollen, als auch auf emotionaler Ebene eine - ich höre das von Christen immer wieder - gewisse Lockerheit im Judentum entdecken, die ihnen zusagt. In diesem Sinn verzeichnen die „Jüdischen Kulturwochen”, die zweimal im Jahr stattfinden, große Erfolge. Eine tiefergehende intellektuelle Auseinandersetzung findet natürlich bei einem viel kleineren Kreis statt.

DIE FURCHE: In der Juli-Ausgabe des „Wiener” gab es einen antisemiüschen Artikel Hat Sie dieser überrascht?

ElSENBERG: Wir sind das eigentlich in anderen Zeitungen gewöhnt, insofern bin ich schon überrascht. Die Art, wie dieser Artikel geschrieben ist, grenzt an Antisemitismus, weil hier Juden in erster Linie als Profiteure des Holocaust dargestellt werden. Das kann natürlich nie der Fall sein, weil die Juden nie auch nur einen Bruchteil des geraubten Vermögens erhalten werden. Und wenn dann noch behauptet wird, dieses Geld flösse in private Taschen oder werde zweckentfremdet verwendet, paßt das zur antisemitischen Schreibkultur. Wenn irgendwo Gelegenheit gegeben wird zu sagen: „Die Juden sind nicht korrekt”, dann freut man sich, und man traut sich auszudrücken: „Wir haben's eh schon immer gewußt, daß die Juden, was Geschäfte betrifft, nicht koscher sind

DIE FURCHE: So manifestiert sich der latente, alltägliche Antisemitismus.

ElSENBERG: Ja. Wobei interessant ist, daß sich manche des antisemitischen Gehalts ihrer Äußerungen in vielen Fällen gar nicht bewußt sind. Wir Juden haben eine andere Schwelle der Sensibilität als Nicht-Juden. Die sagen: „Wieso, wenn bei anderen etwas nicht in Ordnung ist, schreiben wir das auch, nicht nur bei euch.” Damit ist die Sache abgetan, während wir schauen, wie es geschrieben ist: Wenn man nicht schon bei geringem Anlaß sensibel ist, läßt man auch schlimmere Dinge zu.

DIE FURCHE: Fühlen Sie sich bedroht oder kennen Sie Juden, die sich in Wien bedroht fühlen?

ElSENBERG: Nicht wirklich. Wir haben Sicherheitsleute vor allen jüdischen Organisationen; die wurden wegen des arabischen Terrors eingeführt. Dazu gibt es die Neonazis, die aber, scheint es, andere Ziele suchen, nicht in erster I jinie Juden. Ich würde sagen: generell fühlen wir uns von der österreichischen Bevölkerung nicht bedroht.

DIE FURCHE: Und die Häufung der Schändung jüdischer Friedhöfe?

ElSENBERG: Da bin ich auch als Österreicher unglücklich, weil zwei oder drei - und ich sage jetzt nicht: „Lausbuben” sondern: Extremisten ein Bild für Gesamtösterreich liefern. Es ist mir unverständlich. Welche Aussagen will man mit der Schändung eines Friedhofs transportieren? Wer glaubt, damit irgendetwas auch im Sinne seiner eigenen Propaganda erreichen zu können? Das ist irrational, besorgniserregend, aber es ist nicht repräsentativ für die Einstellung der Bevölkerung.

DIE FURCHE: Österreich spielt im Nahen Osten eine zwiespältige Rolle. Da gibt es einerseits das nicht vollständig aufgearbeitete Verhältnis zum Judentum, und auf der anderen Seite Unterstützung der palästinensischen Position, die sich heute in Geld ausdrückt.

ElSENBERG: Da hat sich viel geändert. Vor 25 Jahren, als ein Großteil der palästinensischen Aktivitäten in Terroranschlägen bestand, war das erste Treffen zwischen Kreisky und Arafat wahrscheinlich verfrüht. Heute habe ich kein Problem damit, wenn Österreich ein palästinensisches Spital in der Westbank unterstützen möchte. Ich sehe darin keine antiisraelische Haltung - im Unterschied zu jemandem, der der Hamas einen Scheck schickt. Die terroristischen Aktivitäten hängen ja zum Teil mit der dortigen Armut zusammen. Ich bin ein überzeugter Befürworter des Friedensprozesses, weil ich glaube, daß letztlich der Friede im Heiligen Land das Ziel sein muß. Mein religiös-ethischer Standpunkt ist, daß Friede und Betten von Menschenleben einen höheren Stellenwert haben, als die Bewahrung eines jeden Zentimeters des Landes.

DIE FURCHE: Der Name Theodor Herzl verbindet Israel und Wien Was ist ihre Beziehung zu ihm und seinen Ideen?

ElSENBERG: Herzl war eine außerordentliche und vielschichtige Person: Viele Rabbiner meinen, daß das, was Herzl gemacht hat, nicht gut sein kann, weil er nicht religiös war. Dabei hat sich Herzl mehr als Prophet herausgestellt als die Rabbiner seiner Zeit - darunter auch der damalige Wiener Oberrabbiner Moriz Güdemann. Obwohl ich lieber einen Rabbiner nennen würde, ist Theodor Herzl für mich der bedeutendste Jude im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.

DIE FURCHE: Was sind Ihre Erwartungen an die österreichische Gesellschaft?

ElSENBERG: Ich erhoffe mir, daß Bundesregierung und Stadt Wien weiterhin jüdische Projekte fördern, daß es Aufklärung über Diskriminierung und Antisemitismus im Unterricht gibt, daß Extremisten verfolgt und bestraft werden, und daß generell ein kulturelles Klima der Offenheit entsteht. Mir geht es nicht darum, daß Juden bevorzugt werden, sondern daß Juden und jüdische Kultur gleichberechtigt Platz haben. Wobei nach 2000 Jahren Verfolgung vielleicht 50, 100 Jahre besonderer Zuneigung notwendig sind, um zu einem ausgewogenen und entkrampften Zustand zu kommen.

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