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Ohne Freie Demokraten?

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Am kommenden Sonntag wählt das deutsche Bundesland Hessen seinen Landtag. Und am 22. November wählt Bayern, größtes Land der Bundesrepublik. In beiden Wahlgängen wird sich das Schicksal der SPD/FDP-Koalition in Bonn entscheiden. Scheitert der kleine Koalitionspartner FDP und zieht er nicht mehr in die Länderparlamente ein, dürfte eine massive Absetzbewegung Brandt und Scheels Kabinett im Stich lassen.

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Am kommenden Sonntag wählt das deutsche Bundesland Hessen seinen Landtag. Und am 22. November wählt Bayern, größtes Land der Bundesrepublik. In beiden Wahlgängen wird sich das Schicksal der SPD/FDP-Koalition in Bonn entscheiden. Scheitert der kleine Koalitionspartner FDP und zieht er nicht mehr in die Länderparlamente ein, dürfte eine massive Absetzbewegung Brandt und Scheels Kabinett im Stich lassen.

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Wie schon oft bei Wahlen, steht auch diesmal wieder Mittelfranken im Zentrum des politischen Interesses. Hier wird sich am 22. November entscheiden, ob die NPD wieder und die FDP von neuem in den bayrischen Landtag einziehen wird. Vor dem Dicken Turm gegenüber dem Nürnberger Hauptbahnhof kündet an diesem letzten Okitober-wochenende eine Riesentafel: „SPD macht Nürnberg stark.“ Das Orange der Sozialdemokraten, die unter dem Motto „Tür auf für den Fortschritt“ ihren Wahlkampf bestreiten, dominiert an den Litfassäulen und Stehtafeln der alten Reichsstadt. In der überfüllten Meistersingerhalle, wo noch vor wenigen Monaten Strauß seine Partei als „Sammlungisbewe-gung zur Rettung des Vaterlandes“ ausgerufen hatte, warnt Willy Brandt vor Panikmache und „nationaler Selbstzerfleischung“. Lang ist der Katalog der guten Taten, den er aus nur einem Jahr Regierungsverantwortung seinen Zuhörern anzubieten hat. Auch bei ihm fallen die üblichen Worte von einem „Mehr an innerer Sicherheit“, Rauschgiftbekämpfung“ und „Preisberuhigung“.

Einen Tag zuvor hatte auch die FDP in Nürnberg auf ihre Art „Vergangenheitsbewältigung“ betrieben. In einem Fußmarsch durch die Altstadt zum Hauptmarkt wurden „alte Hüte der CSU-Politik“ — die „Huber's Schulpolitik, nationalistische Phrasen, Parteibuchbürokratie, Münchner Zentralismus“ symbolisieren sollten — gesammelt und zur Kehrrichtabfuhr verladen. Hildegard Hamm-Brücher, ,,HB“, Staatssekretär im

Wissenschaftsministerium und nach eigenen Worten „künftiger bayrischer Kultusminister“ leitete die Aktion und verteilte Handzettel. Als Spitzenkandidatin ihrer Partei in Mittelfranken spricht sie darin die „lieben Nürnberger“ an und präsentiert ihr Waihlprogmmm: „Die CSU hat versagt. Die SPD schläft. FDP — die vernünftige Alternative — in den Landtag! Wir wollen den Regierungswechsel.“ In neun mittelfränkischen Städten sind „Bamm-Brücher-Bürger-Komitees“ gegründet worden, und sie fordern nun in einem Aufruf: „Ihre Stimme für Hildegard Hamm-Brücher bedeutet fortschrittliche Erziehung, gründliche Ausbildung^ bessere Chancen für Ihre Kinder.“ Ob die FDP ihr Motto „Frischer Wind für Bayern“ verwirklichen kann? Am doppelspännigen Wagen der Freien Demokraten zerrt vorerst nur das radikal-liberale Zugpferd „HB“. Josef Ertl, nationalliberales Zugpferd zur Rechten, fällt aus. Am Tegernsee kuriert er einen drohenden Herzinfarkt. So schlingert der Wahlkarren der FDP noch weit gefährlicher, als dies nach der Entwicklung auf Bundesebene und nach dem Austritt des ehemaligen Landesvorsitzenden Bahner zu erwarten gewesen wäre. Auf dem fränkischen Land, in den zahlreichen Hochburgen der National-Liberalen von einst, wäre nur Ertl imstande, Entscheidendes für seine Partei anzustoßen.

Die CSU ist erst allmählich dabei, sich massiv in den mittelfränkischen Wahlkampf einzuschalten. An einigen Kirchentüren hängen Aufrufe zu einer Veranstaltung mit Hans Katzer zum Thema: „Stabilität und Fortschritt.“ Symptomatisch für den Wahlkampfstil der Union scheint eine Episode in einem 2000-Wähler-Dorf zu sein. Als das 30köpfige Auditorium den bayrischen Innenminister Merk auf kommunale Probleme festzulegen versuchte, drohte der Minister damit, den Saal zu verlassen. Die CSÜ sieht ihren Trumpf in Argumenten aus der Bundespolitik, mit denen sie beinahe zur Gänze ihre Wahlpropaganda bestreitet. Und es hat den Anschein, als ob sie damit

— trotz der Tatsache, daß Landtagswahlen Rechenschaft und Wegweisung für Landespolitik sein sollten

— Erfolg haben wird. Zwei Jungsozialisten gaben beim nächtlichen Plakatekleben ihren Wahltip: CSU 48 Prozent statt wie beim letzten Mal 40,7 Prozent, SPD 35 Prozent statt 38 Prozent und NPD 7 Prozent statt 12,2 Prozent. Die Chancen der FDP, die am 20. November 1966 nur knapp mit 9 Prozent an der Zehn-Prozent-Klausel gescheitert war, beurteilten sie noch ungünstiger: „Mit der FDP ist sowieso nicht mehr zu rechnen. Die nehmen uns höchstens noch Stimmen weg.“

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