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Ohne „Kaiserwetter“

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Wir haben diesen Bericht über die Salzburger Tage mit gutem Grund von seinem scheinbaren Abschluß aus begonnen. Dies deshalb, weil diese unter den besonderen Schutz des Heiligen Geistes gestellte Zusammenkunft kein in sich geschlossenes Ereignis war, kein Kongreß, der von der Eröffnung bis zur feierlichen Beschließung währt und dann in die Akten wandert. Ein Lebensvorgang der österreichischen Kirche offenbarte sich in diesen Tagen, zu dem es sehr gut paßte, daß. er nicht mit der üblichen Tagungsphrase „geschlossen“ wurde, sondern daß sich die Teilnehmer nach dem das große Festspielhaus erfüllenden Gesang des „Großer Gotr> wir loben Dich“ stumm und weiterhin im Bann der Stunden stehend entfernten. In alten Liturgie-erklärungem liest man — historisch nicht ganz richtig, aber recht einleuchtend -, daß in den Büß- und Einkehrzeiten des Kirchenjahres das „Benedicamus Domino“ statt des feierlichen abschließenden „Ite missa est“ die Aufforderung der Kirche an die Gläubigen ausdrücken sollte, nun weiter ,.im Gebet zu bleiben“, mit dem Lob-gesang und der Betrachtung erst wieder anzufangen. Ganz ähnlich war die Stimmung dieses Sonntagmorgens in Salzburg, an jenem merkwürdig schwebenden Sonntag zwischen Himmelfahrt i'.ud Pfingsten, dessen liturgische Texte Fast so wirkten, als seien sie eigens für den Beratungstag, für die Sen-äungsfeier der österreichischen Katholiken von 1962 zusammengestellt worden.

Für den, der insgeheim oder im kritischen Gespräch den großen Massenkundgebungen von früher, den Fah-nenaufmärschen und Feldmessen nachtrauerte, gab es einen Trost. Es herrschte in diesen drei Tagen nicht die Andeutung dessen, was unsere Väter „Kaiserwetter“ genannt hatten. Kein blauer Himmel, kaum hier und da ein Sonnenstrahl. Statt dessen Schneeregen im Juni, eisiger Wind, immer wieder sich in Blitzesschnelle zusammenballende und prasselnd entladende schwarze Wolken. Wer den Gottesdienst verließ, trat in den Regen. Wer mit heißem Kopf, von der fremden oder eigenen Rede etwas trunken aus einem der Beratungszimmer kam, wurde durch kalte Güsse von draußen ernüchtert. Und auch die, die aus dem Festspielhaus gingen, noch ganz erfüllt von der frohen Feierlichkeit der Schlußkundgebung mit den segnenden und Mut zusprechenden Botschaftsworten des Papstes, denen die Fanfaren der Huldigungsmotette geantwortet hatten, mußten sich den dem grauen, stürmisch-regnerischen Tag von draußen aussetzen. Heilsam und nicht ohne geheime Sinnbedeutung konnte man das Wetter nennen, das die Meteorologen als einen „Einbruch polarer Kaltluft“ in das laue Vorsom-merklima Österreichs bezeichneten. Heilsam ernüchternd vielleicht noch ein anderer Eindruck: der einer Umwelt, die von den Katholiken — ohne böse Absicht — recht wenig Notiz nahm. Ja, früher, bei den Katholikentagen alten Stils war das anders gewesen. Da folgte den Delegierten und Honoratioren ein reicher Troß von

denkenverkäufern. Da gab es Kracherlr und Heiligenbilder, Schaulustige unc Tratscher. Von diesem Katholikentag nahm das große Publikum kaum Notiz Die Fahnen wehten zwar, aber wanr wehen die nicht aus irgendeinem gastlichen Anlaß in Salzburg? Und während die Delegierten in ihre Tagungsräume — etwa in den großen Extrasälen des Peterkellers — huschten, stapften die Reisegesellschaften durch die Höfe, nahmen die Touristen zum Mittagessen Platz. Wer es noch nicht gewußt hatte, konnte es sinnfällig erleben: Die Christen von heute sind keine barocke Prozession der Hochmögenden mehr, sie sind keine Legionen, die durch die Stadt marschieren in Glanz und Gloria. Sie stehen weder über noch neben der Welt, sondern mitten in ihr.

Wenn man von einer Erkenntnis sprechen kann, die den meisten, wenn nicht allen der zwölf Arbeitskreise, in denen die Delegierten aus ganz Österreich tätig waren, sprechen kann, so ist es diese: daß der Katholik heute seine Aufgabe in trad an dieser Gesellschaft zu erfüllen hat, nicht mehr von oben oder außen her, sondern in Solidarität mit der großen Familie des Volkes, mit der weltkirchlichen Gemeinschaft, die ja nicht gedacht werden kann ohne den Hintergrund der „einen Welt“, die unser aller unausweichliches Arbeits- und Bewährungsfeld geworden ist.

Der Berichterstatter konnte nicht an allen Orten zugleich sein. Aber was sich ihm als Eindruck in einigen der Arbeitskreise bot, was von Freunden aus anderen berichtet wurde, formte sich zu einem Gesamt, dessen Parallelen zuweilen fast verblüfften. Da war etwa der Kreis, der sich mit den Problemen der Bildungsgesellschaft zu beschäftigen hatte.

Kaum ein passender Raum ließ sich für seine Arbeit denken als die Kleine Aula der alten Salzburger Universität. Zwischen Folianten in altem Leder, zwischen Globen und anderen Symbolen der Gelehrsamkeit saßen sie: Lehrer, Erzieher, Kunstschaffende, Volksbildner, aber auch Frauen und Männer ohne amtliche Funktion. Die scharfen, pointierten Analysen des Haupt-referenten entzündeten das Gespräch wie von selbst. Von der Bildungsge-sellschaft war die Rede in allen ihren \spekten, besonders natürlich von der jädagogischen Seite. Ein junger Uni-rersitätsprofessor, Naturwissenschaftler nit hartem Profil, sprach das Ja zur \kademisierung der Lehrerbildung, die licht das Abseitsstehen der Katho-iken zur Antwort haben darf, ;ondern das verstärkte Bemühen, ge-ade an dieser Stelle aus eigenem 3eist das Beste zu leisten. Man sprach ron der Begabtenförderung: Sie ist licht nur eine Sache der finanziellen s-tipendiengewährung, sondern eine Aufgabe pädagogisch-organisatorischer \rt, die weder mit der Matura, noch luch mit dem akademischen Gradei-verb zu Ende sein darf. (So berichtete m heute in Wien wirkender Univer-itätslehrer mit' jahrelanger Erfahrung m benachbarten Deutschland, das ichon seit Jahren sein „COSANUS-Verk“ entwickelt hat.) Und immer vieder sprach man von der Notwen-ligkeit eines reflektierten, eines be-vußt gemachten und im Feuer der \useinandeTsetzung mit den drohenden md lockenden Formen des Zeitgeistes rehärteten Glaubten. Bloße Tradition, primitives Gewohnheitschristentum mit ein paar halb heidnischen Brauchtumsformen führt ins hoffnungslose Hintertreffen.

Zur gleichen Stunde fast sprach im Kaisersaal der alten Residenz einer der temperamentvollsten Kulturkritiker unter den österreichischen Katholiken. Er sprach vom Christentum in einer nichtchristlichen Umwelt. Vom Stürzen der barocken Fassaden, vom Ende der Illusionen. Was er daraus folgerte, von der Versammlung darin lebhaft bestärkt, war alles andere als zeitfeindlicher Pessimismus, als enttäuschte Weltflucht. Er forderte die Einwurze-lung gerade in diese Welt, die zu Christus heimgeholt werden muß, gerade weil sie so radikal fern von ihm ist und sich den Heimweg nicht mehr durch die Stolperdrähte irgendwelcher überkommener halbchristlicher Formen verbaut. Vom Apostolat des modernen Christen war die Rede, dieweil das Ölgemälde des Kaisers Rudolf II. sinnend-würdevoll 'über die recht ungewohnte Versammlung hinuntersah.

„Apostolat und Mksion der Pfarre“, das war auch das Thema eines Arbeitskreises, der sich im Benediktinerstift St. Peter versammelt hatte. Zwei Bischöfe waren unter den Zuhörern, als einer der bekanntesten missionarischen Großstadtseelsorger unserer Tage aus seiner Erfahrung sprach.

Fordernd von den Aufgaben und illusionslos von dem, was ihrer Erfüllung im Wege steht. Von den Charakterzügen des Österreichers, der jeden nach seiner Fasson leben aber auch . . . sterben läßt, ohne sich in dessen „Privatangelegenheiten“ einmischen zu wollen. Von neuen Methoden sprachen

Seelsorger und Laien, von der Werbekraft, die die Pfarre von heute ausstrahlen müsse, wenn sie nicht in einem unaufhaltsamen Prozeß stillstehen, eintrocknen und absterben will.

Ein paar Schritte davon entfernt ein anderes Tagungszimmer. Hier wird von der Begegnung mit der Weltkirche gesprochen, von der Mission, vor allem aber von den Menschen anderer Kontinente, die in unserem Land zu Gast sind, als Arbeiter, als Studenten. Wenig ist von Theorie die Rede, von Kontroversfragen zu den anderen Weltreligionen. Ein erfahrener Studentenseelsorger spricht von der täglichen Praxis und Erfahrung, von den so un-romantischen Alltagsschwierigkeiten, die bei der Küche beginnen und bei den politischen Streitigkeiten zwischen den christlichen Denominationen des Orient aufhören. (Von der eigentlichen Staatspolitik, die in ihren Ausläufern bis zu uns reicht, ganz zu schweigen.)

Und wieder andere Räume: Dort sprechen die Menschen über die moderne Arbeitswelt. Unternehmer und Arbeiter sitzen einander gegenüber. Die Leitsätze der Enzyklika „Mater et Magistra“ werden zitiert. Dann aber wird konkret gesprochen, von den betrieblichen Arbeitsformen, von den notwendigen und vermeidbaren Differenzen. Dort wieder sitzen die Delegierten, die sich mit der geistigen Situation auf dem Lande zu befassen haben. Behutsam werden Illusionen und falsche Bilder richtig gestellt, besonders die eines oberflächlichen Pessimismus: Ganz so ist das nicht mit dem „lautlosem Abfall“, stellt ein erfahrener Landseelsorger aus einem bäuerlichen Bildungsheim fest. Die religiösen Formen sind im Wandel begriffen, aber die Substanz scheint sich in den letzten Jahren nicht mehr zu verdünnen, sondern im Gegenteil anzureichern.

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