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OHNE KOSTUM UND KULISSEN

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A ngefangen hat es damit, daß man Bühnenstücke ein wenig ** - zurechtfrisierte und sie in den Äther hinaussandte: Die Theaterbühne war auf die „Hörbühne“ reduziert worden, dem Hörer wurde ein „Theater ohne Bild“ ins Haus geliefert als Ersatz für den Theaterbesuch. Dann war es ein Richard Hughes, der zum erstenmal ein Spiel für das Radio schrieb, ohne an eine Bühnenaufführung zu denken; das erste „arteigene“ Hörspiel war geschaffen. Es hatte den Titel „Danger“.

Seither sind vier Jahrzehnte vergangen. Es ist das Femsehen entstanden und hat zum Ton das Bild hinzugefügt, das er bisher auf der Funkreise nicht mitzunehmen vermochte, der Film wurde fortentwickelt und vertont — also wozu sich noch mit dem „Krüppel“ Hörspiel abgeben, das Ersatz ist, und bei dem man sich die halbe Welt — das Optische — hinzuphantasieren muß? Weg damit, wir sind im Zeitalter des Bildes, es lebe dal illustrierte Wort, das vertonte Bild!

“Vl^ährend man also annehmen müßte, daß das Hörspiel “ Anno 1962 längst von den beiden vollkommenen Schwestern am Lebensnerv getroffen sein sollte, steht es in Wirklichkeit überraschend gesund da (in Österreich etwas weniger, da es an den notwendigen Mitteln mangelt) und treibt mitunter unfaßbare Blüten: Nicht nur, daß sich vierzig Jahre hindurch die beiden ursprünglichen Formen, nämlich das „eingerichtete“ Bühnenstück und das „arteigene“ Hörspiel, erhalten haben. Das letztere hat sich darüber hinaus noch den Buchmarkt erobert; nach vorsichtigen Schätzungen gibt es derzeit 200 gedruckte Hörspiele — Bändchen und Bände, die man in jeder größeren Buchhandlung erstehen kann.

Tn Österreich weist das Rundfunkprogramm durchschnittlich ein * - Hörspiel pro Woche auf, und die Schöpfer können stolz sein, da diese Sendung eine der größten Chancen hat, von den Hörern bewußt gesucht zu werden. Sie kann ein abendfüllendes Erlebnis sein, so daß größere Teile der Bevölkerung (genau läßt sich der Prozentsatz nie feststellen) sich von vornherein diese Tageszeit freihalten. Die Hälfte der Hörspiele wird von Studio Wien produziert, der übrige Teil von den Länderstudios. Live-Auf-nahmen sind, obwohl sie Vorteile mit sich brächten, heutzutage nicht mehr möglich, da sich kaum alle Schauspieler zur selben Zeit der gleichen Aufgabe widmen können. Daher teilt man das Manuskript in Aufnahmeblöcke und stellt die Einheit erst nach der Bandaufnahme wieder her.

Wenn also das Hörspiel ursprünglich Ersatz war (für ein komplettes Haustheater), so muß es sich mittlerweile wesentlich geändert haben, sonst hätte es keine Existenzberechtigung mehr.

T“\er Entwicklungsverlauf ist in der Tat interessant. An-“ fänglich wurde das Hörspiel, auch das arteigene, stark vom Theater beeinflußt. Die Regisseure hatten ein unangenehmes Gefühl bei der Vorstellung, daß der Hörer überhaupt nichts zu sehen bekommt. Daher suchten sie mit dem Ton so naturgetreu wie möglich zu malen; gewiß hatten sie auch Freude an den neuen Möglichkeiten, Geräusche über den Funkweg zu senden. Jeder Schritt, das Geklapper des Eßbestecks, der Wind, das Räderrollen in der Eisenbahn, kurz, alles nur Hörbare wurde aufs Tonband gedrängt, und wäre das Ereignis im wirklichen Leben vorgekommen, so hätte eine Bandaufzeichnung ungefähr dasselbe Klangbild ergeben. Dazu kam die Untennalung durch Musik, die mitunter geradezu aufdringlich war.

Richard Hughes arbeitete bei seinem ersten Hörspiel, das 1924 In London gesendet wurde, mit einem Trick: Er ließ am „Schau“-platz der Handlung, nämlich in einer Kohlengrube, durch einen Kurzschluß das Licht ausgehen und das Geschehen im Dunkeln abrollen. Dadurch zwang er die Hörer, gleichsam selbst die Augen zu schließen und „nur mit den Ohren zu sehen“. Diese Idee, etwa Körperliches auch im Spiel unsichtbar sein zu lassen, durch Finsternis oder durch Verborgensein, wurde in der Folge mehrmals abgewandelt. Das Studio Wien des Österreichischen Rundfunks setzt übrigens die für den Interessierten sehr ergiebige Sendereihe „Hörspiele der Frühzeit“ seit September dieses Jahres fort.

Langsam wagte man sich vom pedantischen Vermerken jeden Geräusches weg und machte dabei eine Erfahrung, die ausschlaggebend für die weitere Entwicklung war: Der Hörer hat Phantasie, und zwar mehr, als man ihm zutrauen würde. Er will den Ablauf des Geschehens gar nicht vorgekaut serviert bekommen, zerschnitten durch die Musikkulisse und mit Nebengeräuschen garniert. Er ist imstande, sich seinen Teil dazuzudenken, und intelligent genug, den Zusammenhang zu erfassen. Und nun hörte man den Ruf: „Zurück zum reinen Wort!“

Heute sind wir so weit, daß fast nur mehr gesprochen wird: Im Wort soll alles liegen, Musik und Nebengeräusche sind Krücken, die weggeworfen werden, sobald man ihrer nicht bedarf. Und wenn Geräusche notwendig sind, dann so abstrakt wie möglich. Heinz Schwitzke, Spielleiter des Studio Hamburg, sagte dazu: „Jeder feinfühlige Hörer weiß, wie zum Beispiel die Anwendung von grobrealem Lärm, von Schritten und klappenden Türen im Hörspiel als scheußliche Stilwidrigkeit wirken kann, weil damit eine materielle Wirklichkeit den hauchdünnen Schleier der Phantasierwirklichkeit schmerzhaft zerreißt. Damit wird die Vorliebe für die körperlosen Lautgebilde der Elektronik verständlich.“

Diese Art des Hörspiels ist zur eigenständigen Kunstform geworden, sie hat ihre Autoren, Schauspieler und Regisseure, es gelten andere Gesetze als auf der Bühne oder im Film. Der Lyriker Rudolf Leonhard fand schon sehr früh für die Sachlage das richtige Wort: „Zum Drama der Schaubühne mag sich das Hörspiel halten wie die Zeichnung zum Gemälde; es ist nicht weniger, sondern anders.“

Das moderne Hörspiel hat einen großen Vorzug gegenüber den verwandten Medien: Es läßt der Phantasie des Hörers geradezu unendlichen Spielraum. In unserer Zeit wird sie überall zurückgedrängt: Wo ist sie noch beim Film, beim Fernsehen, die beide alles bis ins letzte durcharbeiten und das fertige Werk vom Zuschauer bewundern lassen? Leiden nicht schon die Kinder darunter, daß sie ihre Phantasie nicht mehr anwenden können?

Das Hörspiel bindet den Hörer nur an das Gesprochene; da muß er hinnehmen und verarbeiten. Alles andere darf er sich dazudenken. So kommt es zum wundervollen Erleben: Jeder Zuhörer sieht die Personen anders (er kennt ja nur die Stimme von ihnen), jeder bekleidet sie — natürlich immer unbewußt — mit der Kleidung, die ihm am passendsten erscheint; jeder sieht den Raum, in dem sich der Vorgang abspielt, so eingerichtet, wie es Seiner Art gemäß wäre, und was für ihn nicht von Bedeutung ist, sieht er eben nicht. Kurz, jeder errichtet sich seine Welt, die ganz auf ihn zugeschnitten ist. Selbst die Gefühle der handelnden Personen sind nur so, wie sie der Zuhörer verstehen kann. Für den Zartbesaiteten ist die Hörspielwelt eine andere als für den Brutalen, für den Greis eine andere, als für den Zwanzigjährigen, für die Frau eine andere als für den Mann. Man könnte sagen, das Hörspiel sei zum „letzten Refugium der Phantasie“ geworden (Prof. Dr. Otto Stein), in dem sich der Hörer selbst darstellen darf. Und noch dazu: Es wird frei Haus geliefert.

Wenn wir sagten, die Hörspielwelt existiere größtenteils in der Phantasie des Hörers, so darf man eines nicht außer acht lassen: gerade die Phantasie ist ungemein leicht störbar, wenn sie von außen durch etwas Reales beeinflußt wird, in diesem Falle durch Töne und Worte. Entweder die beiden Gegensätze können sich ergänzen oder sie bringen einander unweigerlich um. Gegen nichts ist aber die Phantasie so allergisch wie gegen Uneohtes; sie verträgt nie Gekünsteltes, Gemachtes. Auf der Bühne sind Übertreibungen möglich, hier können Gefühle in konzentrierter Lösung aufgetischt werden — das Mikrophon läßt dies nicht zu. Deshalb haben oft große Theaterschauspieler Mühe, im Hörspiel den richtigen Ton zu finden, da sie sich von den Gesetzen der Bühne nicht losmachen können.

Spielleiter Julius Filip prägte den Vergleich vom „Mikrophon als Mikroskop der Seele“. Was in der menschlichen Psyche vorhanden sein kann, nicht mehr und nicht weniger, darf durch dai Mikrophon in die Phantasiewelt des Hörers gelangen. Im Hörspiel müssen wahre Menschen auftreten, die echt empfinden und] das Empfundene durch ihre Stimme ausdrücken können. Selbst für Kindersendungen gilt das Postulat des Ungekünstelten. Lange Zeit wurde der Fehler gemacht, eine Welt zu bauen, in der sogar die Erwachsenen kindlich und kindisch zu sein hatten — ein “völlig unpsychologisches Bemühen.

Tn Frankreich gibt es den sogenannten „Club d'Essai“, der für - - - Forschung und Heranziehung des Nachwuchses auf dem Hörspielsektor dient. Friedrich Kniiii schreibt in seiner Studie, „Dai Hörspiel“:

„Hunderte von neuenideckten, ausgebildeten und geförderten jungen Kräften gingen durch diese Schule, konnten lernen, experimentieren, erproben — ohne daß die Ergebnisse dieser Arbeit sofort gesendet werden mußten ... Autoren und Komponisten, Regisseure und Orchesterleute, Instrumentalisten und Sänger, Schauspieler, Sprecher und Ansager und Techniker machten ihren Weg durch den Club d'Essai...“

In Österreich kann von ähnlichen Einrichtungen noch nicht gesprochen werden. Der Autor ist, solange er keinen Erfolg gehabt hat, meist sich selbst überlassen. Man stelle sich vor: ein Nachwuchsautor soll fünf oder sechs Monate an seinem Erstlingswerk arbeiten und dabei riskieren, daß es abgelehnt wird (wofür er dann keinen Groschen erhält, da ja Aufträge nicht erteilt werden). Dieser Umstand ist der Hauptgrund dafür, daß nicht sehr viele den Weg zum Rundfunk finden. Anderseits lassen sich die Mittel für eine systematische Nachwuchsförderung bei der gegenwärtigen Rundfunkkrise unmöglich bereitstellen. Reicht das Budget doch kaum zu einem angemessenen Autorenhonorar, das etwa in Deutschland mindestens fünfmal so groll ist.

Auch in anderer Hinsicht ist die Lage der Hörspieldichter wenig erfreulich: sie können ihr Stück nach der Uraufführung drei-, wenn es sehr gut ist, viermal im deutschen Sprachraum wiederholen, dann bildet es für sie keine Einnahmequelle mehr; es sei denn, es findet den — sehr seltenen — Weg zur Bühne. Es gewannen daher die Preise eine größere Bedeutung, die für den Autor neben der Auszeichnung eine willkommene finanzielle Aufbesserung bedeuten. Man sollte wenigstens in diesem Punkt großzügig sein, damit die Lage halbwegs erträglich wird. Es ist interessant, darauf hinzuweisen, daß der größte Teil der Hörspiele Problemstücke sind, während es zu wenige mit Lustspielcharakter gibt. Was nicht heißen soll, weil die Autoren bei uns nichts zu lachen haben.

in weiteres Problem bilden die Schauspieler. Wie findet der Nachwuchs zum Rundfunk? Zur Zeit besteht der Brauch, daß interessierte Schauspieler ein Tonband mit Sprechproben dem Spielleiter übergeben. Nach 1945 war an die Theaterseminare auch eine „Rundfunkklasse“ angeschlossen, in der der Stoff sowohl theoretisch als auch praktisch durchgegangen wurde. Von hier aus war natürlich der Sprung in die Praxis weit leichter, und es haben damals Johanna Matz, Peter Alexander und andere den Weg zum Mikrophon gefunden. Der stille Traum aller Regisseure ist ein „Hörspielseminar“, wie es im Ausland vielfach besteht, und aus dem die Talentierten sofort wegverpflichtet werden könnten.

Dieser Bei'frag entstand nach Gesprächen mit dem Leiter der „Pro-duktionsgruppe Literatur“ des Studio Wien, Prof. Dr. Otto Stein, und dem Hörspielregisseur Julius Filip.

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