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OHNE LOPE UND LORCA

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Von Steuererleichterung, verfügbaren Rollen, Bühnenmaschinerie, Zensur und Publikum hängt der Spielplan ab. Und der ist gegenwärtig und eingedenk der Tatsache, daß der Spanier dem Überkommenen stets eher nachhängt, erstaunlich international.

Freilich wußte das Publikum mit der Schlafzimmerverdrossenheit und Cancertragik von T. Williams „Katze auf dem heißen Blechdach“ nicht viel anzufangen. Dazu hat es trotz Unamuno (oder gerade durch ihn) ein viel zu glaubensgebundenes Verhältnis zum Schicksal. Man hat die Leistung von Aurora Bautista in der Rolle der Margaret beklatscht, mehr nicht. Und freilich wurde man nicht warm bei Th. Wilders „Matchmaker“, das im selben Teatro Eslava in Madrid herauskam unter der bewährten Leitung von Jose Luis Alonso, der das Stück auch ins Spanische übersetzt hat. Aber man lachte nicht zu häufig und wenn, dann über Nestroy, den Unbekannten, dessen direkte Übersiedlung aus der Wiener Vorstadt in die nicht viel andersgeartete Madrider nie versucht wurde. Nur könnte das heute nicht mehr die Plakette des Avantgardismus tragen, wiewohl sie es wäre. Auch Anouilhs ,.Ball der Diebe“ im Teatro Espanol konnte sich trotz ler fürsorglichen Regie von Jose Tamayo nur halben Erfolges rühmen. Bezaubert haben die Musik Jvlilhauds und das Bühnenbild von Victor M. Cortezo, von dem man sagte, es wäre das Beste der Saison. Denn man weiß auch in Spanien solche bärtebeklebte Räuberevzellenzen richtig einzuschätzen, obwohl man dort vom Jahre 1910 noch nicht so weit entfernt ist wie im übrigen Europa. Und daß es die wahren Diebsnaturen schon damals nicht nur auf Juwelen und Mädchen abgesehen hatten.

Mit Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“, traf man ins Schwarze, wiewohl das Werk eigentlich nach der skurrilen Farbenmischung des Bühnenpinsels von Theo Otto verlangt hätte. Aber man erreichte mit dem grauen Farbton einer englischen Vorstadt beängstigende Dimensionen, und Luis Prendes, preisgekrönter Star der Kompanie Lope de Vega, verlor die sonnengeweihte Sicherheit der spanischen Exi-. stenzen, war plötzlich voll mitteleuropäischer Verwundbarkeit, spinnenhafter Erregtheit und bedrückter Ungewißheit vor dem Kollektiv. Interessant diese plötzliche Beziehung eines Spaniers, der wenig später schon wieder landläufigem Individualismus huldigt (etwa in Zorillas „Don Juan Tenorio“), zum Kollektiv, zur Gemeinverantwortlichkeit. Interessant ungewöhnlich, notwendig.

Große Tage waren derselben Kompanie zu verdanken, die unter Jose Tamayo die Sommerfestspiele im Griechischen Theater Barcelonas am Montjuich eröffnete. In mittelländische Sternenpracht stieg Anouilhs „Lerche“ empor, getragen von dem unbekümmerten Genie Mary Carillos, in der Übersetzung eben desselben Jose Luis Alonso der auf Kastiii sch den Kaskaden der französischen Schwestersprache gerecht zu werden versuchte. Und wenige Tage folgte ihr Pirandellos „Heinrich IV.“. dessen trotzig zwiegespaltete Seele Carlos Lemos ein wenig unter dem Ritterhelm Don Quijotes hervorblicken ließ.

John Patricks „Bestürzung der Frau Savage“ ließ (besonders in der Theaterkasse des Teatro Maria Guerrero) Erinnerungen wach werden an das im Voriahr gezeigte „Kleine Teehaus“ — trotz der gelegentlich grandiosen Schauspiel-leistune von Lina Rosales in der Rolle der Irren Fairy May. Somerset Maughams „Smith“ (in der Version desselben Übersetzers lavier Regas) landete in der Sommersaison des Teatro Guimera in Barcelona, und Agathe Christies „Alibi“ (in der Übersetzung von Jose Luis

Alonso) war trotz der glanzvollen Darstellung von Herkules Poirot keins für die einstige Theater- und Literaturmetropole Barcelona, die sich jetzt zur ereignislosen literarischen Tochterstadt Madrids hinabverirrt hat.

Schon Lope de Vega beklagt in einer seiner Komödien, daß etwas, wenn es nur vom Ausland kommt, von vornherein schon einen besseren Ruf hat als das Eigenständige — zu Unrecht hat man die eigene Dramatik der importierten nachgestellt. So hat es diesmal keinen Lope gegeben, keinen Calderon, keinen Tirso und Ruega, man konnte es sich leisten, das gute „spanische“ Theater, wie wir es kennen und schätzen, zu negieren. (Abgesehen von Zorillas „Don Juan Tenorio“, der jede Spielzeit parat ist, sozusagen als spanische „Gräfin Mariza“.) Auch keinen Lorca, dessen Werk — so sagt man — zuerst von der Zensur, dann von seinen Verwandten zurückgehalten worden ist, aber in der kommenden Saison, in der sich der Todestag des Dichters zum fünfundzwanzigsten-mal jährt, eine Renaissance erfahren soll. Beweis, daß man mit Import und gegenwärtiger Produktion auszukommen glaubt — anscheinend eine gedankliche Implantation aus der Wirtschaftswelt.

Zwei Theaterstücke einheimischer Autoren haben die Grenzen der spanischen Provinzen gesprengt. Einmal Mihuras „Mirabell und die sonderbare Familie“, in der Inszenierung der Kompanie Maritza Caballero, und das andere Mal die „Orestie“ von Äschylos, in der Version von Jose M. Peman und Francisco Sanchez Castaner.

Mihura schickt zwei alte Tanten auf die Bühne — ohne daß sie gerade Tango tanzen würden — und drei lockere Freudenmädchen hinterher, was Verwicklungen zu zwei Akten ergeben kann, aber leider keinen dramatischen Knoten. Deshalb gibt es noch einen recht ahnungslosen jungen Mann, der an eines der freizügigen Mädchen (Mirabel) gerät und sie heiraten will. In merkwürdiger Besessenheit umschwirren die beiden Tanten die schirke junge Braut ihres Neffen, die sie erstaunlich modern und vortrefflich finden. Man wundert sich nur über die Naivität des jungen Mannes, dem auch angesichts der Freundinnen die Berufsgeheimnisse seiner Braut verborgen bleiben. Die wird gelegentlich, und vor allem gegen Schluß, von Gewissensbissen geplagt, läuft schließlich davon, aber nur, um eine Szene später zu dem noch immer Ahnungslosen zurückzukehren und dem erwarteten Geständnis einträgliches Schweigen vorzuziehen. War das das Anliegen Mihuras? Es wird nicht recht deutlich, wogegen, wohin der Autor sich wendet. Sicher ist nur, daß Mihura einige vortreffliche Rollenbücher geschrieben hat, die ihm Schauspieler, Regisseure, Publikum und zuletzt die Filmgewaltigen dankbar aus der Hand gerissen haben. Und das eine ganze Spielzeit lang.

Pemans und Sachenz Castaners „Orestie“ ist eine christianisierte Bearbeitung. Zwar wird Orest von tanzenden Erinnyen verfolgt und zugedeckt, aber knapp vor seiner Zerfleischung von einer „lichten“ Gestalt gerettet. Das war bei Äschylos noch nicht der Fall. Bei Goethe verlangte es das Bewußtsein der klassischantiken Harmonie. Bei Peman das christlichkatholische Glaubensbekenntnis. Trotzdem fehlte der Aufführung der Trilogie jenes archaische Entzücken und jener lebendiger Schauder nicht, der den Griechen überrieselte. Die Aufführung zählte zu dem Besten, das man in den letzten Jahren in Madrid sehen konnte. Gute zwei Monate stand das Stück allein in

Madrid mit täglich zwei Aufführungen auf dem Spielplan. Den Chor hatte man mit Sängern des städtischen Gesangvereins verstärkt. Das Bühnenbild hatte attische Strenge. Öllampen flammten auf. Das Publikum hing über der Brüstung. Jose Tamayo hatte in den Madrider Winter griechischen Opferblutboden gezaubert. Die Verwandlung gelang. Marsillach, Direktor und erster Schauspieler des Teatro Lara, ist nicht umsonst beratendes Redaktionsmitglied des „Primer Acto“, der spanischen Theaterzeitschrift, die sich besonders der jungen Dramatiker annimmt. In seinem Theater in Madrid finden sie das Forum, das so wichtig ist auch, wenn n'cht gleich alles auf großen Kassenerfolg hindeutet. Ruiz Iriarte trieb hier seinen bissigen Spott mit der Ehrlichkeit und dem Stück („Ich habe eine Million“). Und Alfonso Sastre brachte hier seine „Cornada“ heraus (deren deutsche Übersetzung bereits vorliegt), Triumph und Elend eines Toreros, an dessen Geschick die soziale . Problematik des Landes aufgezeigt werden tJi. Und der zivile Heroismus des Alltags, desser sich seit Camus und Saint Exupery wiederum die moderne Literatur angenommen hat.

Theater in Spanien — aber, wo enden lassen? Die Prozessionen und Reiterpromenaden noch mitzählen, die das Volk sich gibt, hingelagert auf den Straßen, tage-, nächtelang, um sich an dem langsamen, leisen Vorwärtsschaukeln der Pasos zu entzünden, die Szenen tragen aus der Leidensgeschichte des Herrn. Mitzählen noch die ausverkauften Corridas, in denen es veniger darum geht, daß der Stier getötet wird, als vielmehr, daß es mit Grazie geschieht, im tänzerischen Figurenspiel von der „Media Vero-nica“ bis zum „Päse de espaldas“, in schwarz-goldener Tracht mit Zopf und besonderen Schuhen. Die Fiestas, die der Rausch des „Flamenco“ überfällt, der höchstes Maß an körperlicher Beherrschung verlangt. Ist da nicht nur noch ein kleiner Schritt zu den Bittschwüren Don Juan Tenorios, dessen Liebesworte mitgebetet werden vom Publikum. Nur ein quantitiver Unterschied von dem beifällig aufgenommenen Schaukeln der Pasos zu den kleinen Schwankungen im Verlauf des Bühnengeschehens, wenn die über alles geliebte Kunst der Improvisation, eine kleine Geste, ein Seufzen und Räuspern über Unvorhergesehenes, über eine Bühnenklippe hinweghilft. Das ruft größere und spontanere Sympathie hervor als das Perfekte einer einstudierten Aufführung mit großem Apparat. Man schätzt Gastspiele aus Deutschland, man bewundert sie, aber liebt jenes oszillierende Theater, das sich ei eignet. Jenes Theater mit Wunden und Wundern.

Und hier hält die jüngere Generation der spanischen Dramatiker, Antonio Buero Vallejo, dessen „Träumer für ein Dorf“ (in der vergangenen Spielzeit in Madrid uraufgeführt) dieses Jahr in Barcelona nachgespielt und preisgekrönt wurde, Juan German Schröder, der mit seiner „Trompete und die Kinder“ den Theaterpreis 1959 der Stadt Barcelona erringen konnte, Agustin Gomez Arcos, dessen politische Farce „Allgemeine Wahlen“, von Gogols „Tote Seelen“ inspiriert, während der ersten nationalen Festspiele des Neuen Theaters Aufsehen erregte und in der kommenden Spielzeit von der Kompanie Maritza Caballero herausgebracht wird. Man wird noch einiges zu erwarten haben von dem jungen Andalusier aus Granada, der während seines achtjährigen Schauspielerdaseins genug Bühnenerfahrung erworben hat und den Alfredo Marquerie, noch immer das kritische Gewissen Madrids, als den Kommenden angekündigt hat.

Es gibt mehr Rollen als Schauspieler. Mehr Theater als Dichter. Und doch ereignet sich immer wieder jenes Wort, das das Elends-elück unseres Erdendaseins überwölbt und von der Schreckensfreude entbindet. Auch diesmal in Spanien.

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