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Ohnmacht der fünften Weltmacht?

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„Die fünfte Weltmacht." Napoleon war es, der mit diesem stolzen Wort einst die Presse auszeichnete. Der Ausspruch des Korsen war mehr als nur eine verbindliche Höflichkeit. Der mächtigste Mann seiner Zeit gab einem ebenbürtigen Gegner die Ehre. Ein Soldat senkte den Degen vor einem tapferen, nicht ungefährlichen Feind. Wer den Unterton des Napoleon-Wortes noch heute zu hören vermeint, so wie es gesprochen wurde, der entnimmt ihm unschwer das Angebot eines Vergleiches zwischen Ebenbürtigen . ..

Die fünfte Weltmacht! Napoleon stellte also die Männer, die zu seiner Zeit in den europäischen Metropolen an ihren wackligen Schreibpulten standen und ihr „Journal“, ihre „Gazette“ meist eigenhändig schrieben, in summa an die Seite Frankreichs, Englands, Oesterreichs und Rußlands — die großen Vier jener Epoche. Von diesen Weltmächten des angehenden 19. Jahrhunderts hat sich, nehmen wir es genau, nur die letzte bis in unsere Tage diesen Namen bewahren können.

Und die fünfte Weltmacht, die Presse? Ja, was ist von ihr geblieben?

Es kann nicht Aufgabe diesen Ausführungen sein, Wege und Abwege des Journalismus durch ein Jahrhundert und ein halbes dazu zu verfolgen. Vielleicht genügt allein die Frage, ob sich der Kaiser der Franzosen heute mit derselben Artigkeit an die Adresse der Weltpresse wenden würde. Die Napoleone unserer Zeit — die großen, die weniger großen und die ganz kleinen — handeln anders. Sie drücken auf den Knopf. Sie lassen ihre Lärmmaschinen los, die das ungebetene Wort ersticken sollen. Sie haben eilfertige Federn dutzendweise zur Verfügung, die sich auf einen Wink hin hurtig in Bewegung setzen. Den Einsatz der „silbernen Lanzen“

nicht zu vergessen. (Ihre Treffsicherheit ist seit den Tagen des Großkönigs durch die Jahrhunderte unverändert geblieben.) Die Machtherren unserer Tage können, wenn sie zu aufgeklärt sind, um zur Brachialgewalt zu greifen, heute — das ist vielleicht das Charakteristische an der Situation der Presse in der Gegenwart — noch eine Geheimwaffe gegen das ungebetene Wort und ihren Träger ins Treffen führen: die Verständnislosigkeit. Ein Mann, der heute redet, was „oben“ nicht gefällt, wird nicht selten mit jenem Gemisch aus Neugierde und Entsetzen betrachtet, wie etwa ein vorsintflutliches Tier im Naturhistorischen Museum. Gegen etwas zu sein, was der Masse oder dem von ihr zum Gott der Stunde Proklamierten widerstrebt, ist nicht ungefährlich. Bestimmt: In unserer, der freien Hälfte der Welt kommt kein Gefangenenwagen. Aber wer weiß: vielleicht kommt morgen oder übermorgen schon das Krankenauto, das den Patienten zur Ausheilung seiner offensichtlichen „Störung" an einen ebenso sicheren Ort bringt. Wir schreiben 1957. Nun bis 1984 ist es gar nicht mehr so

lang, wie viele glauben, wie wir selbst gerne glauben möchten.

Das eben ist der Unterschied:

Die Presse, der Napoleon seine Achtung nicht versagen konnte und wollte, war getragen von eigenständigen, ja nicht selten sogar sehr eigenwilligen Einzelnen (um nicht zu sagen Einzelgängern), die mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg hielten. „Fünfte Weltmacht“ war die Presse, als dieses Wort gleichbedeutend war mit M e i n u n g s presse. Eine Meinung zu haben, eine eigene Meinung zu vertreten aber ist in der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht unbedingt gefragt.

Und das nicht nur von „oben“. Die Völker haben es stets der Presse überlassen, die Rolle des Winkelrieds zu spielen. War aber einmal die Gasse der Freiheit geebnet, so strömten die Scharen gar bald zu Spiel und Tanz. Spiel und Tanz gibt es aber heute nicht nur auf Jahrmärkten. Spiel und Tanz haben in der Publizistik breiten Raum erobert. Die Massenpresse, die wir in den verschiedenartigen Spielarten in den letzten Jahrzehnten einen internationalen Siegeszug antreten gesehen haben, will nicht mehr führen, warnen, aufklären. Sie will unterhalten und „zerstreuen". (Ja auch ablenken von den wirklichen Fragen der Zeit.) Sie will aber vor allem eines: verkaufen. Vorbei die Zeit, in der noch Martin Carpe als der Bevollmächtigte des Herausgebers des „Berliner Tageblattes" Rudolf Mosse nicht ganz ohne Selbstbewußtsein erklären konnte. „Der Handel mit bedrucktem Papier ist gewiß ein sehr erfolgreiches Geschäft geworden, aber wir betreiben es nicht.“ Die Herausgeber der mit dem neuen Flirt eines Filmstars oder dem letzten Brief einer abgeurteilten Mörderin ihr Publikum

anreizenden Druckerzeugnisse folgen vielmehr Karl Kraus' Patentrezept: „Um so größer der Stiefel, um so größer der Absatz." Kein Wunder, wenn politische Journalistik- eines Tages sich nicht mehr in „freier Wildbahn" abspielen wird, •ondern in einem nach Art der Naturschutzgebiete abgesteckten und zugewiesenen Reservat.

Wir sprechen hier in erster Linie nicht von Oesterreich, das wie in vielen anderen Bereichen auch hier noch etwas im Windschatten des allgemeinen Trends steht. Als ein typisches Beispiel aber mag die Tatsache Erwähnung linden, daß erwiesenermaßen der düsteren Affäre um den Tod der Wilma Montesi mehr Raum in der Walter Hagemann: „Dankt die Presse ab?“ Isar- Verlag, München.

gesamtitalienischen Presse gegeben wurde als etwa der Berichterstattung über die italienische Außenpolitik im selben Zeitraum.

So dürfen wir uns nicht mehr wundern, wenn sich in letzter Zeit die Stimmen mehren, die alle zusammen in dieselbe bange Frage ausklingen, die der Professor für Zeitungswissenschaft an der Universität Münster, Professor Walter Hagemann, formuliert hat: „Dankt die Presse ab ?“ Professor Hagemann glaubt an einen Selbstausschaltungsprozeß der Presse, in der „das Nfthtige das Wichtige verdrängt".

So besehen, scheint also die Presse wirklich den Weg der anderen Weltmächte gegangen zu sein, die sich seit den Tagen Napoleons vom ersten Rang der Geschichte zurückgezogen haben. Nicht nur fremde Mächte — Radio und Fernsehen — haben ihr diesen Platz streitig gemacht, sondern auch für sie gilt das Grillparzer- Wort: „Im eignen Schoß ringt los sich der Barbar.“

Dennoch darf sich eine verantwortungsbewußte Presse nicht mit Demissionsabsichten tragen, nicht der verminderten Macht die frei gewählte Ohnmacht folgen lassen. Und das alles nicht nur aus Selbsterhaltungstrieb. Das Gebäude einer freien Gesellschaft ruht noch immer auf den drei Säulen eines frei gewählten Parlaments, einer unabhängigen Justiz und einer Presse ohne Maulkorb — auch ohne selbstgebastelten Maulkorb. Es hieße Illusionen sich hingeben, wollte man annehmen, die Massenpresse werde ihren oben zur Genüge skiz-' zierten Charakter mit der Zeit veredeln. Genau das Gegenteil ist zu erwarten. Ja vielleicht gehört die Zukunft der Tagespresse überhaupt dem Typ des „Massenblattes“, während die Meinungspresse sich auf die Wochenblätter und Monatsrevuen zurückziehen wird. Ansätze für diese Entwicklung sind jedenfalls vorhanden.

Das Dach der freien Gesellschaft ruht auf den drei Säulen: Parlament, Justiz, Presse, haben wir gesagt. Wird eine von ihnen morsch, stürzt sie gar ein, so droht dem Haus Gefahr. Wir

haben bisher bewußt allgemein gesprochen und Reflexionen über die Situätion in Oesterreich zurückgedrängt. Deshalb darf hier nur kurz angemerkt werden, daß bei der speziellen Form der österreichischen „Koalitionsdemokratie“, die keine nennenswerte parlamentarische Opposition kennt, eine politisch wache, freimütige Presse eine Lebensnotwendigkeit der staatsbürgerlichen Freiheit ist.

Der' große katholische Streiter für den Menschen, Georges Bernanos, hat die Bedrohung der Freiheit auch in den Demokratien durch die, wie er sie nannte, „Maschinenzivilisation" vorausgesehen. In seiner Genfer Rede, die in vielem den Charakter eines geistigen Vermächtnisses hat, sieht er klar: „Die Welt wird nur durch die freien Menschen gerettet werden.“

Fluchtburg und Ausfallspforte dieser freien Menschen war aber stets die verantwortungsbewußte Presse. Gestern genau so wie heute und morgen.

Robinson darf nicht sterben!

Niemals darf die Presse abdanken.

Viele hunderte katholischer Journalisten und Verleger, die führenden Persönlichkeiten der katholischen Presse aus aller Welt versammeln sich in diesen Tagen in Wien. Ihnen allen gilt mein herzlichster Gruß, der Willkommgruß nicht nur des Bischofs dieser alten, geschichtsmächtigen Stadt im Herzen Europas, sondern auch des Referenten für Pressefragen bei der österreichischen BisxcJ pf skonf erenz.

u ''' •'"Katholische {Presse 'in Kirche und Welt" ist das Leitwort dieses Kon-t gresses. Damit ist die Spannung aufgezeigt, in der der katholische Publizist zu arbeiten hat. Der Dienst des katholischen Publizisten ist ähnlich .dem des Priesters, ein Dienst am Wort und an der Wahrheit. In diesem Dienst dürfen die katholischen Publizisten von der Kirche Verständnis und Vertrauen erwarten, die Kirche wiederum von ihnen Kenntnis und Loyalität. Das Wort des katholischen Publizisten in der Kirche und in der Welt muß immer ein Wort sein, das die Wahrheit wirksam sagt, es wird aber immer auch ein freies Wort sein, ein freies Wort in der Kirche und ein freies Wort der Welt gegenüber.

Die katholische Presse im weitesten Sinn soll ja nicht nur eine Presse von Katholiken für Katholiken, von Kirchenmännern für das Kirchenvolk sein, sondern darüber hinaüag eifend soll sie ja Allgemeingültiges zu allen Menschen reden. Diese Wette katholischen Wirkens, also auch diese Weite der katholischen Presse soll, j.a im besonderen bei diesem Kongreß in Wien in Erscheinung treten. Der glanzvolle Rahmen, die Namen hervorragendster Referenten und nicht' zuletzt der Geist dieser Stadt, die immer eine Stadt der freien Rede und des freien Bekenntnisses war, und eines Sprache und Völker vereinigenden und überhöhenden katholischen Bewußtseins werden diesem Kongreß sein besonderes Gepräge geben. Möge dieser Geist auch über die Tage des Kongresses in die Zukunft weiterwirken!

In diesem Sinne möchte ich Sie alle in Wien herzlichst begrüßen!

Referent für Pressefragen bei der österreichischen Bischofskonferenz

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