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Oker die Hoffnung

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Die Hoffnung, das ist das Wort, das ich schreiben wollte. Die übrige Welt wünscht, begehrt, fordert, und sie nennt all das .hoffen“, da sie weder Geduld noch Ehre hat; sie will nur genießen, und der Genuß kann nicht warten im eigentlichen Sinne des Wortes; die Erwartung des Genusses kann sich nicht Hoffnung nennen, sie ist eher ein Fieberwahn, eine Agonie, übrigens lebt die Welt viel zu schnell, sie hat keine Zeit mehr zu hoffen. Das Innenleben des modernen Menschen hat einen zu schnellen Rhythmus, als daß in ihm ein so heißes und so zärtliches Gefühl entstehen und reif werden könnte; der moderne Mensch zuckt die Achseln bei dem Gedanken an diese keusche Verlobung mit der Zukunft. Das Wort Wilhelms von Oranien, es sei nicht notwendig zu hoffen, um etwas zu unternehmen, ist tausendmal wahrer, als es dieser große Mann wahrscheinlich glaubte. Die Hoffnung ist eine zu süße Nahrung für den Ehrgeizigen, sie könnte sein Herz rühren. Die moderne Gesellschaft hat weder Zeit zu hoffen, noch zu lieben, noch zu träumen. Die armen Leute sind es, die an ihrer Stelle hoffen, genau wie die Heiligen für uns lieben und sühnen. Die Tradition der demütigen Hoffnung liegt in den Händen der Armen, geradeso wie die alten Arbeiterinnen das Geheimnis jener Spitzen bewahren, die die Maschinen niemals nadizuahmen vermögen. Ihr werdet mir sagen, die armen Teufel haben, da sie notwendigerweise von der Hoffnung leben, nicht mehr Talent zu hoffen, als zu leben. Gewiß, gewiß... ich möchte sogar hinzufügen, daß sie, je schwieriger das Leben für sie wird, desto mehr hoffen dürfen. Glaubt ihr, die Arbeit dieser fleißigen, dieser schweigsamen Bienen —• der Honig, der aus ihren Waben fließt — könne auf ewig verloren sein? Oh, sicherlich stellt sich niemand diese Frage, da die Erde noch den polytechnischen Rohlingen gehört, aber der Tag wird kommen — ist er nicht schon da? Fühlt ihr nicht auf eurer Stirn, auf euren Händen die erste Frische der Morgendämmerung? Der Tag wird kommen, da jene, die heute noch, an Sinnestäuschungen leidend, den grausamen Herren, die das menschliche Leben wie einen wertlosen Stoff vergeuden, ihre Schmieden und Essen mit menschlichem Leben nähren, erschöpft auf der Straße bleiben werden, die nirgendhin führt. Nun wohll Dann wird vielleicht — aber warum soll man es sagen? — das Wort Gottes sich erfüllen, daß die Sanftmütigen die Erde besitzen werden, einfach deshalb, weil sie in einer Welt von Verzweifelten die Gewohnheit der Hoffnung nicht verloren haben. Sie werden die Erde besitzen, aber nicht für lange i sie werden sie besessen und es vielleicht nicht einmal bemerkt haben, ihre unschuldige Masse wird die Waagschale sich neigen machen, das Gleichgewicht der Welt umgestürzt haben. Ihr findet, daß das zu große Worte sind? Hört mir gut zu: sie sind noch nicht groß genug! Ihr glaubt, die Herren der allgemeinen Meinung zu sein, und ihr habt doch nur deren zugänglichsten Teil erforscht; ihr seid Herren der allgemeinen Meinung, wie Christoph Columbus, als er auf den Bahamainseln landete, der Herr Indiens zu sein glaubte. Und übrigens — erlaubt mir, daß ich es euch sage — hat eure kolossale Reklamemaschine in den ersten Jahren ihrer Ingangsetzung die Meinung nur aufgerührt. Ihr habt die Völker zum Gewinn gerufen, wie ihr sie jetzt zu den Waffen ruft) und die Gierigsten, die sich in der Erwartung der Beute um euch gedrängt haben — ihre gestikulierende und Gesichter schneidende Menge —, hat euch den Horizont verdeckt, ihr Geschrei hat die Stille von Millionen Menschen erfüllt, bedeckt und untergetaucht. Jetzt aber müßt Ihr handeln, ihr habt die Liquidierung einer Gesellschaft versprochen, deren Reserven ihr übrigens frech vergeudetet, und die Dummköpfe fahren fort, die Gewinne einer solchen Operation zu berechnen, wo ihr doch schon wißt, daß sie nur ein ungeheures Passivum zurücklassen wird. Nun werdet ihr schaffen müssen. Wir haben gesehen, wie ihr auf eine Philosophie stolz ward: auf jene, die dem

Mensehen, diesem Zweifüßler, nur eine Triebfeder: das Interesse, nur einen Gott: das Glück, nur eine Mystik: die des Instinkts, zubilligt.

Die Erfahrung wird uns zeigen, was diese Philosophie wert ist. Wollet mich verstehen I Haltet das nicht für einen Scherzi Ihr konntet eine Gesellschaft niederwerfen, aber ihr werdet mit dieser Gattung yon Menschen keine andere aufbauen. Aufbauen ist immer ein Werk der Liebe. Ihr werdet also früher oder später an eine Menschheit appellieren müssen, die ihr sehr schlecht kennt, die zu erkennen ihr euch sogar weigert, weil ihre Existenz eure Thesen zunichte machen würde; eine Menschheit, die nicht realistisch ist, in dem Sinne, den Ihr diesem Worte gebt. Eine andere Menschheit, eine andere Gattung von Menschen, von der ihr glaubt, sie fordere niemals etwas, da sie nicht derselben Dinge bedarf wie ihr. Sie wird vielleicht nicht fordern, sie wird vielleicht nicht ihre Beschwerden formulieren, und es ist sogar gewiß, daß sie sich nicht rächen wird. Aber ihr werdet mit ihrer Geduld, mit ihrer heiligen Geduld nicht fertig werden. Was ihr niedergeschlagen haben werdet, das wird sie hinter euch wiedererstehen lassen, einmal, zehnmal, hundertmal; sie wird unermüdlich alles aufheben, was ihr fallen gelassen habt, sie wird es euch lächelnd in die Hand zurücklegen. Das Bild, das ihr euch vom Leben macht, ist ohne euer Wissen so grob geworden, daß ihr in der Gewalttätigkeit das letzte Geheimnis der Beherrschung gefunden zu haben glaubt, wo doch die Erfahrung jeden Tag beweist, daß die demütige Geduld des Menschen seit ungezählten Jahrtausenden die scheuen Kräfte der Natur mattgesetzt hat. Ihr werdet nicht über die Geduld des Armen triumphieren — patientia pauperum non peri-bit in aeternam.

Ich schreibe diese Zeilen im Hause des alten Kuhhirten, das jetzt leer steht. Es ist so alt, so abgenutzt, daß es mehr und mehr zu sacken, langsam in die Erde zu versinken scheint, so daß die Riesengräser bis zum Dach wachsen und es mit einer Art flüssigen Murmeins umgeben. Das schwindende Licht des Tages gelangt wie durch eine blaßgrüne, unsäglich zarte Wasserschichte zu min die Lehmmauern sind von den Wurzeln überwuchert und wimmeln von einem schweigsamen Leben wie der Boden selbst. Dem ärmere Gedanken, den ich so einfältig jenen widme, die ich liebe, wird es sicherlich nicht gelingen, aus diesem seltsamen Frieden, der nicht für die Menschen geschaffen ist, aus diesen Tiefen der Pflanzenwelt heraus den ersten Kreis des Dunkels zu überschreiten.

Übertragung aus Les Enfants humilies“ von Josef Ziwutschka

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