6685241-1962_13_07.jpg
Digital In Arbeit

Opposition gegen „Atom“

Werbung
Werbung
Werbung

Am Tage, nachdem Präsident Ken-i nedy^an^kü^digt „hatte, Jfe Vereihig--.ten, Staaten .würden thae desJ Monats -die Atomversuche, in der.-Atmosphäre wiederaufnehmen, falls' nicht Moskau einem kontrollierten allseitigen Verbot zustimme, erhielt er frühmorgens, wie der Pressesekretär des Weißen Hauses kurz darauf bekanntgab, zirka tausend Telegramme, von denen — Mr. Salinger zufolge — ungefähr die Hälfte ihrer Zustimmung, die andere Hälfte ihrem Protest Ausdruck gab. Er fügte, wie die erste Rundlunkmeldung mitteilte, dem zynisch an: „Der Präsident ist darüber nicht beunruhigt (d i s t u r b e d).“

Der Satz muß wie eine Bombe eingeschlagen haben. Schon die nächste Funkmeldung enthielt den Passus nicht mehr. Die Rundfunknetze müssen mit empörten Anrufen bestürmt worden sein.

Schlagende Argumente

Am frühen Nachmittag des gleichen Tages versammelten sich die Anhänger einer Anzahl von „PEACE“-Gruppen auf dem nahe beim Zentrum der Stadt, dem weltbekannten „Times Square“, gelegenen „Duffy Square“, um in einer halben Stunde des Schweigens als Bekenntnis zum Frieden die Öffentlichkeit gegen die Atomdrohung zu alarmieren. Plötzlich griff Polizei ein — die Demonstranten waren von ihren Verbänden mit gedruckten Instruktionen ausdrücklich verpflichtet worden, keinerlei gewaltsame Aktionen zu erlauben — und versuchte unter Anwendung von, sagen wir „kraftvollen“ Argumenten, die Menge zu zerstreuen. Ein paar Dutzend der von der Polizei Gejagten ließen sich daraufhin mitten auf den Zugangsstraßen zum Times Square niederfallen und blieben sitzen. Hunderte folgten dem Beispiel. Der Verkehr stockte. — Die Polizei bemächtigte sich der Sitzenden — nicht wenig Frauen, teilweise mit Kindern —, schlug auf sie ein, ergriff sie bei den Haaren und warf 42 Teilnehmer unter dem Ruf der Menge „Schande! Schande!“ auf bereitgestellte Überfallwagen. Neben einem Vertreter der „Ciyil Libertys Union“, der mutigen Juristengruppe, die seit Jahrzehnten den Schutz der „kleinen Teure“ gegen Behördenwillkür zu übernehmen versucht, hat sich sofort ein Bürgerschaftsabgeordneter der Demokratischen Partei, der zufällig Augenzeuge der Polizeibrutalität war.

den Verhafteten als Rechtsbeistand zur Verfügung gestellt. Am Tag darauf hat eltfÄrer' Abgeordneter der Dendritischen Partei; von seinem Parteigenossen Wagner eine scharfe Untersuchung der polizeilichen Übergriffe verlangt. Doch das ist relativ unwichtig. Man muß den psychologischen Hintergrund des Zusammenstoßes zwischen militant demokratischen Pazifisten mit der „zentristischen“ Kennedy-Politik sehen (daß die Friedensgruppen kommunistisch beeinflußt sind, hat nicht einmal die Polizei behauptet, dafür hat sie als besonders verdächtig registriert, daß sich unter den Demonstranten „Leute mit Barten“, das heißt „Beatniks“, befanden). Man muß verstehen, daß im Moment in Amerika eine merkwürdige ,,Untergrund “bewegung der Verrrauenskrisis sich herausgebildet hat. Sie hat zwei

Flügel: rechts die „jungkonservative und die „rechtsradikale“ Bewegung ■(1m -Prozeß dep'Afc'^ööung^ögenein* ander befindlich) - urfd V.links vom

<Zerftri&r,S die - Hopf feilweisisd äffe sozialistischer, größtenteils aber aus liberaler und christlicher Haltung herausbildende Front der Kriegsgegner a tout prix.

Falsche Alternative: „Tot oder rot?“

Beide Bewegungen entzünden sich an der gleichen — realpolitisch offensichtlich falschen, emotionell eindrucksvollen — Alternative „Tot oder rot“. — Wenn die „Rechte“ mehr oder minder, um die Drohung der die Menschheit zerstörenden Bombe zu eliminieren, die Eliminierung der Sowjets als ihres Trägers verlangt, fordert die pazifistische Gruppe: „Vernichtet die Vernichtungswaffe. Dann kann man sich über Koexistenz

einigen...“ — Kennedys Realismus hat es nicht leicht, beiden Positionen gegenüber eine eigene Linie, die der friedenswilligen Verteidigungsbereitschaft, zu halten.

Das Anwachsen pazifistischer Tendenzen in den Vereinigten Staaten ist bisher von der Öffentlichkeit kaum recht zur Kenntnis genommen worden. Dutzende kleiner Gruppen haben hier und da Flugzettel gegen die Atombewaffnung verteilt, haben vor dem Hauptquartier der Zivilverteidigung mit Plakaten gegen den „Betrug“ protestiert, den das Versprechen darstellt, durch Luftschutzkeller Sicherheit im Falle eines Krieges zu verbürgen, haben an die „Vereinten Nationen“ appelliert, sich für völlige Abrüstung einzusetzen. — Wochenlang anhaltende Kundgebungen von Studentengruppen vor dem Weißen Haus verliefen — von Polizei geschützt — in Ruhe und Ordnung.

Der Funke sprang über

Der Verlauf der Times-Square-Demonstration hat zum erstenmal gezeigt, wie schnell eventuell eine solche Bewegung aus einem Sektiererkreis ins Volk überspringen kann. Ungefähr 1000 Anhänger von zehn „Friedens“-gruppen begannen die Kundgebung. Als die Polizei gegen sie einschritt, wuchs die Menge von Minute zu Minute, bis die Gesamtzahl der sich mit dem Protest Solidarisierenden plötzlich zirka 5000 Menschen umfaßte — was die Polizei in eine Art r^anrferyerseöte. - Eftjsfeijjgin Zufall, -*äaß-:-die „New York Times“, die eine sehr ausgeprägte Politik der Differenzierung zwischen „wichtigen“ und „weiteren“ Nachrichten verfolgt, den Bericht über die Kundgebung mit einem Bild auf der ersten Seite begann und auf der dritten Seite dem fast eineinhalb Spalten anfügte.

Mr. Salinger mag — mit oder ohne Wissen des Präsidenten — der Meinung Ausdruck geben, daß die lawinenartig wachsende Opposition gegen die Wiederaufnahme der Atomversuche diesen nicht beunruhigen: Die Bevölkerung der größten Stadt der USA scheint — was die „Times“ begriff — fast über Nacht in dem Einspruch derer, die auf die Straße gingen, sich weitgehend artikuliert zu fühlen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung