Opposition gegen Obrigkeit

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Der slowenische Erzähler und Essayist kritisiert die Mächtigen, doch als Literat widmet er sich dem Leben, nicht der Politik.

Drago Jancar * 1948

Schriftsteller

In dem Roman "Luzifers Lächeln" schickte Drago Jancar 1993 sein alter Ego, den slowenischen Schriftsteller Gregor Gradnik, für ein Jahr an eine amerikanische Universität. Die Schwierigkeiten, in die der melancholische Held dabei gerät, beginnen schon bei der Einreise, weiß Gradnik den Beamten von der Flughafenbehörde doch nicht recht verständlich zu machen, wer er eigentlich sei. So wird er, der Angehörige einer der kleinen Nationen Europas, bürokratisch mit dem Vermerk "Grand Nick from Pennslovenia" ins Land gelassen. Der Aufenthalt in Amerika gerät ihm zum europäischen Lehrjahr, lernt er doch gerade in der Fremde zu erfühlen und zu verstehen, was den alten Kontinent im Schlechten und Guten ausmacht.

So vieles ihm in Amerika gefällt, beginnt Gradnik bald an etwas Merkwürdigem zu leiden, an dem Entzug von Trauer, Weltschmerz, Vergeblichkeit: "Im Land war ein Geheimdekret erlassen worden: keine Trauer, das Leben ist fröhlich ... Das Lachen überschwemmte den Kontinent, es lachte das Fernsehen, es grinste das Radio. Der Morgen kicherte, der Abend gackerte. Es lachten der Teufel und der liebe Gott." In dieser unheilbar optimistischen Welt bleibt dem europäischen Intellektuellen, dem die Geschichte Europas eine tiefe Skepis gegenüber allen Heilslehren eingepflanzt hat, nur jenes Gefühl der ziellosen Sehnsucht, das in seiner Muttersprache als hrepenenje bezeichnet wird und für das er in Amerika weder das entsprechende Wort noch bei irgendwem Verständnis dafür finden kann, dass es ihm überhaupt fehlt.

Fülle an Formen und Stilen

Eine Ahnung davon zu vermitteln, was dem Menschen in der Moderne fehlt, schreibt der 1948 geborene Drago Jancar Romane, Erzählungen, Theaterstücke und Essays. Er gebietet über eine stupende Fülle an literarischen Formen, Genres und Stilen, und souverän weiß er sie oft in ein- und demselben Text zu verbinden. Seinen Romanen eingekapselt sind veritable Essays, wie umgekehrt seine klugen und mitunter polemisch zugeschärften Essays mit erzählerischen Passagen bestechen. Die Gegenwart spiegelt er gerne im historischen Sujet: Sein erster Roman, "Der Galeot", ist im 16. Jahrhundert, einer Epoche des Umbruchs, angesiedelt, in der die verbürgte christliche Ordnung zerfallen ist und die neue Ära sich im endemischen Gefühl der Unsicherheit, der Weltverlorenheit ankündigt. Sein bisher letzter Roman, "Rauschen im Kopf", entwirft an einem Gefängnisaufstand ein durchaus pessimistisches Bild vom Verlauf aller Revolutionen: Ein überkommenes System des Unrechts wird hinweggefegt, doch nach einer kurzen Ära rauschhafter Freiheit verfestigen sich neuerdings Strukturen von Herrschaft: "Angst und Kleinmut rufen nach der Autorität, und dann braucht man eine Obrigkeit, welcher Art auch immer."

Altes und neues Unrecht

Drago Jancar war und ist ein Kritiker der Obrigkeit, welcher Art auch immer sie ist - wobei er Unterschiede wohl zu erkennen und zu beschreiben vermag. Mit 26 Jahren war er vom kommunistischen Regime ins Gefängnis geworfen worden, weil er es gewagt hatte, auf dunkle Flecken in der slowenischen Geschichte, etwa auf die Lynchjustiz der Partisanen in den ersten Monaten nach Kriegsende, hinzuweisen. Als sich Slowenien 1991 unabhängig erklärte, haben dies nicht wenige seiner westlichen Kollegen zum Anlass genommen, Slowenien die Schuld am Zerfall Jugoslawiens zu geben und das Streben nach staatlicher Unabhängigkeit selbstherrlich als nationalistische Aufwallung zu geißeln. Mit dieser ahnungslosen Kritik hat Jancar in gleichermaßen luziden wie wütenden Polemiken ein für allemal aufgeräumt. Dem neuen Slowenien hat er sich gleichwohl weder als Minister noch gar als Präsident zur Verfügung gestellt, wie das viele von ihm verlangten, vielmehr ist er der Oppositionelle geblieben, der er immer war. Schriftsteller, sagte er einmal, müssen die Macht kritisieren, und sie sollen sich als Staatsbürger auch in die Politik einmischen. Aber die Politik ist nicht ihr Zweck und nicht ihr Ziel. Denn die Literatur hat sich nicht der Politik zu widmen, sondern "dem Leben".

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