Original und Fälschung

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Über das Authentische im Zeitalter der virtuellen Wirklichkeit.

Zu den bekanntesten und das meiste Aufsehen erregenden Beispielen moderner Fälschungstätigkeit zählen die gefälschten Vermeers und Van Dycks des berüchtigt-berühmten holländischen Kunstmalers Han van Meegeren, die zwischen 1935 und 1943 angefertigt wurden. Ausgestattet mit allen Kenntnissen auch der maltechnischen, chemischen und materialbezogenen Voraussetzungen für ein "echtes" Gemälde des 17. Jahrhunderts, sollten die Fälschungen van Meegerens die anerkanntesten Kunstexperten seiner Zeit täuschen.

Schon mit seiner ersten Fälschung, den "Emmausjüngern", die vom bekanntesten Vermeer-Spezialisten Hollands Abraham Bredius enthusiastisch als das Meisterwerk Vermeers gefeiert wurden, gelang ihm die erhoffte "Anerkennung". Auf eine Originalleinwand des 17. Jahrhunderts gemalt - nach sorgfältiger, aber letztlich im Röntgenbild noch erkennbaren Beseitigung eines früheren Gemäldes, was den Echtheitsanspruch natürlich erhöhte, mit zeitlich passenden Farbpigmenten, Kunstharz, verschiedenen Firnisvorgängen und dem für den Alterungsprozess notwendigen "Backen" des fertigen Gemäldes bei ca. 120°, das zu den typischen Krakeluren der Oberfläche führte, war das Ergebnis offensichtlich mehr als überzeugend. Aber vor allem auch die malerische, die stilistische und formale Ausführung überzeugten die Kunsthistoriker, so unverständlich uns das heute vorkommen mag. In der angesehenen Weltkunst schrieb ein Rezensent der im Boymans-Museum gezeigten Vermeer-Ausstellung: "Den Höhepunkt der Ausstellung bildet der neue Vermeer: Christus und die Jünger von Emmaus'. Ein ergreifenderes Bild hat auch Rembrandt nie gemalt ..." Und in einer weiteren Bildbeschreibung in der Zeitschrift für Kunstgeschichte schrieb ein Kunsthistoriker: "Die Wirkung des Bildes ist faszinierend. Man konnte diese Wirkung besonders an den Feiertagen erleben, wenn die Besucher aus den benachbarten Ländern anströmten und die Ausstellung fast zu einer gesellschaftlichen Sache machten. Durch alle Säle verfolgt einen das lebhafte Geplauder, aber in dem Raum, in dem das Vermeerbild ziemlich isoliert hing, war es still wie in einer Kapelle. Das Gefühl der Weihe strömte auf den Beschauer über."

Schockwirkung

Der Erfolg der "Emmausjünger" ermutigte van Meegeren zu weiteren Fälschungen. Insgesamt sollten neun Vermeers, zwei de Hoeghs und ein Franz Hals sein Atelier verlassen und zum Teil in den bedeutendsten Museen Hollands ausgestellt werden, darunter auch das Gemälde "Mädchen und Mann am Spinett", das von allen Fälschungen dem Malstil Vermeers noch am nächsten kommt, vergleicht man es mit dem Vermeer des KHM, "Der Maler in seinem Atelier". Zum Verhängnis sollte van Meegeren schließlich die Vermeer-Fälschung "Christus und die Ehebrecherin" werden, die 1942 für die gewaltige Summe von 1,6 Millionen Gulden von Hermann Göring erworben worden war. Als das Bild nach dem Ende des 2.Weltkriegs bei einem ehemaligen Kindermädchen Görings auftauchte und man seine Herkunft zurückverfolgte, wurde van Meegeren nicht wegen Kunstfälschung, sondern wegen Kollaboration mit dem Feind unter Anklage gestellt und sofort verhaftet. Um seinen Kopf zu retten, denn auf Kollaboration konnte die Todesstrafe stehen, gestand van Meegeren seine Fälschungen ein. Da man seinen Beteuerungen anfänglich keinen Glauben schenkte und sie als Ausreden auffasste, sah er sich veranlasst, in der Untersuchungshaft unter Beisein von Zeugen einen weiteren Vermeer zu fälschen: "Jesus unter den Schriftgelehrten". Daraufhin wurde die Anklage wegen Kriegsverrat fallengelassen und in eine wegen Kunstfälschung abgeändert. Zu einem Jahr Haft verurteilt, starb van Meegeren nach wenigen Wochen in der Gefängnisklinik an Herzversagen. Ein übersteigertes Selbstwertgefühl, gepaart mit Minderheitskomplexen, Geltungsbedürfnis, Ehrgeiz, und ein besonderes Talent waren mit die Ursachen für eine letztlich tragische Existenz. Auch wenn es für uns heute völlig unverständlich ist, dass seine Fälschungen nicht sofort als solche erkannt wurden, bleibt ein etwas bitterer Nachgeschmack, bedenkt man die entscheidende Rolle, die die Experten damals gespielt haben.

Die mit der Entlarvung der van Meegeren-Fälschungen einhergegangene Schockwirkung auf die kunsthistorische Diskussion, die natürlich zur sofortigen Beseitigung der angeblichen Vermeers aus den Museumssälen führte, gibt heute die Möglichkeit, Einsicht zu nehmen in die spezifischen Mechanismen der Rezeptionsbedingungen, denen ein originales Kunstwerk zu unterliegen scheint: Jeder Betrachter, ausgestattet mit einem mehr oder weniger umfangreichen Vorverständnis, einem Mindestmaß an Grundwissen oder zumindest sekundären Informationen, wird das Gemälde, die Statue etc. nur dann in eine Zwiesprache mit sich selbst einbeziehen können, wenn er das sichere Gefühl hat, einem Original gegenüberzustehen. Zumindest gilt dies für jene Kunstwerke, die auf Grund ihrer besonderen Herkunft, Qualität, Unverwechselbarkeit, Einmaligkeit, Schönheit, Erhabenheit, Einzigartigkeit des Ausdrucks und ihrer Schöpfer - Maler, Bildhauer, Zeichner etc. - jene Reputation, Anerkennung und Faszination für sich in Anspruch nehmen können, wie dies bekanntlich bei Werken von Dürer, Rembrandt, Rubens oder Vermeer der Fall ist.

Virtuelle Museen

Virtuelle Museen zählen heute zum Alltag der Computerwelt und des Internet, das auf Zehntausenden Webseiten Tausende virtuelle Museumsbesuche anbietet. Virtuelle Besuchspfade führen durch Sammlungsräume und durch Sonderausstellungen, ermöglichen die Konzeption und virtuelle Verwirklichung eigener Ausstellungen durch den Nutzer, bis sich dieser mit geröteten Augen und steifem Rücken vielleicht an die angenehm kühle Raumatmosphäre, die Architektur und die aufregenden Objekte, die er als Kind mit seiner Mutter oder seinem Vater aufgesucht hat, wehmütig erinnert.

Doch es wäre, obwohl dies oft geschieht, gänzlich falsch, würde man dem Museum erst seit der Entwicklung neuer elektronischer Medien einen - bis dahin angeblich noch nicht innegehabten - Informationscharakter zubilligen wollen. Museen waren immer, auch vor der Multimedia-Welt, Massenmedien der Informationsgesellschaft. Schon lange vor dem Einzug multimedialer und elektronischer Vermittlungs- und Informationstechniken waren die Museen, ihre Kuratoren und Museumsdidaktiker bemüht, die in den Museen ver- und gesammelte Informationsfülle an den Besucher heranzutragen. Der mit dem Einsatz moderner Vermittlungsstrategien einhergehende Wandel des Museumsverständnisses von einer reinen Aufbewahrungsanstalt mit restauratorischen und wissenschaftlichen Aufgaben auch zu einem Dokumentations- und Informationszentrum, zum Erlebnisraum besonderer Qualität, ist heute jedem Besucher einsichtig, ja selbstverständlich.

Das virtuelle Museum hingegen, das ausschließlich über die digitalisierte Wiedergabe der Sammlungsobjekte verfügt, bleibt in seiner Funktion rein informationsbestimmt. Die im Museum aufbewahrte, zumindest zum Teil präsentierte und inventarisierte Erinnerung des Menschen als Archiv der Vergangenheit erfährt zwar durch die virtuelle Wiedergabe eine bislang undenkbare Zugänglichkeit und Verbreitung - die notwendige Beschränkung auf eine technisch bedingte zweidimensionale Abbildlichkeit reduziert aber jedes noch so bedeutende Original zum Dokument.

Der Autor ist Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums.

Der Text ist ein Auszug aus dem Referat, das Seipel diesen Donnerstag im Rahmen der Alpbacher Technologiegespräche hält.

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