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Osterhoffnungen

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Es geht ein Aufatmen durch die Welt. Der Frühling, die Wirtschaft, die Nerven beleben sich wieder. Nach sechs Kriegs- und sieben Nachkriegsjahren arbeitet, tanzt, streikt, singt das alte Europa, holt mächtig aus auf seinen Strömen und Straßen, lädt zu seinen Messen und Ausstellungen, debattiert jährlich auf einigen hundert Kongressen, befährt die Weltmeere, nach neuen Absatzmärkten ausspähend, und fährt blitzschnell, in der Oster-sonne, über gleißenden Firnschnee, unter den kühl beobachtenden Augen der Eisriesen zu Tal. Urlaubstage! Im Osterschnee, an den giünen Gestaden unserer Alpenseen, am blauen Mittelmeer. Selbst die Donau, die einer anderen Welt entgegenzieht, sieht heiter aus.

Urlaubstage! Etwas von ihrer Lässigkeit und Launenhaftigkeit, von ihrem unverbindlichen flimmernden Sein, ihrem Drang zum Genießen liegt heute über dem Leben des Europäers, des Oesterreichers. Es liegt sozusagen in der Luft über den Märkten und Straßen der großen Städte, über den kleinen Orten am Wege. Symptom der Zeit: man „macht“ nicht mehr in Pessimismus. Die Verlage suchen heitere Stoffe, die Filmindustrie hat sie zum Teil schon gefunden, die Mode jagt nach ihnen, selbst die Architektur, zumal die Innenraumgestaltung, ist ganz auf sie eingestellt. Dasselbe gilt von den besten Werken der zeitbewußten Kunst, wie wir besser statt »moderne Kunst“ sagen sollten, da ja das atemlose Flaschen nach Modernitäten mit dem Offensein zur Zeit meist wenig zu tun hat. Dies, die Kunst und die Raumschöpfung, sollte uns zu denken geben: hier wajtet, zumindest in Ansätzen, etwas wie eine neue Geistigkeit: eine Ueberwindung des rein Stofflichen, besser: seine Durchführung zu hintergründigen, lebenatmenden Gebilden. Die Spiele der Kunst, der Scherz und Schabernack ihrer Formen, sollten also nicht zu gering geachtet werden. Der Fastenprediger wird durch sie daran erinnert: nicht alles, was „leicht“ scheint, ist leicht; nicht alles, was sich todernst gibt, ist gewichtig; nicht alles, was spielerisch erscheint für Augen und Ohren, ist eine Spielerei.

Ebenso aber gilt: Was menschlich ist, ist nicht göttlich. Nicht alles, was Feiertag scheint, ist Feier. — In der Banalität dieser Sätze verbirgt sich eine Dunkelheit, etwas Lichtundurchlässiges, das mit uns zu Tisch sitzt an allen Urlaubs- und Feiertagen. Wir alle haben uns, ohne viel Aufhebens davon zu machen, daran gewöhnt, von der Erde zu verlangen, daß sie das Paradies sei, von der Zeit, daß sie das Heil in sich trage, und vom anderen, vom Nächsten, daß er uns nicht störe im Vollgenuß unserer rechtmäßig erworbenen Ansprüche, ja nicht selten, daß er das Seine dazu beitrage, unsere Wünsche zu befriedigen. Wir wollen täglich Ostern feiern, ein Ostern des Menschen, des auferstandenen Menschen, der durch Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft und Politik „gesiegt“ hat über Tod und Teufel und nun sein Reich auch genießen will.

Wir führen uns nur zu oft wie verwöhnte Urlaubskinder auf, die fordern, daß alles ihnen zu Willen sei. Deshalb die maßlosen Ansprüche auf „Komfort“, auf Trost und Tröstung durch das Irdischeste. Schneller Lustgewinn wird im Film, in der Unterhaltung, im Sport erwartet, von der Kurzgeschichte, von der Zeitung, von einem Buch gefordert. Kurze, kurzlebige, aber intensive Heilsbotschaften sollen die Neuigkeiten vermitteln, die „neuesten Nachrichten“ — wobei eine pikante Mischung von Gruseln, Täuschungen und Wahrheiten besonders beliebt ist. Jede Medizin soll schnell und intensiv wirken, wie die Sonne im kurzen Urlaubstag. Fassungsloses Erschrecken, Erstaunen, Nichtverstehen befällt deshalb in Paniken die Massen, wenn etwa vom Krebs geredet wird. Der Vergleich mit der Medizin will bedacht werden: wir neigen dazu, die Dinge als Drogen zu verwenden, zur Belustigung, Berauschung, Betäubung.

Die Dinge als Drogen: das kann ein Automodell sein, das der Harr aus der besseren Gesellschaft morgen bereits nicht mehr gut fahren kann, wenn er seinen gesellschaftlichen Ruf nicht gefährden will. Der Geist als Droge: das bezeugt die große Literatur der Gegenwart, mit ihrer Technik, magische Mosaike in Vers und Prosa zu bilden (der „Idylliker des Nihilismus“, Ernst Jünger, verdankt seiner Kunst, die Sprache als Droge zu meistern, seinen Ruf. Der Raum als Droge: überall wird er so mißbraucht, wo er nur kurzfristig genossen und in unverbindlichen Urlaubstagen, in Farmwirtschaft und Waldraub, mit Sturmesschnelle überflogen, genossen, ausgesogen wird.

Die Zeit als Droge: sie zu genießen, ist die unbewußte Tendenz unseres Lebens geworden. Von da her kommt die oben angedeutete lichtundurchlässige Spannung in unser Leben, die etwas Dämonisches hat, und sich weigert, ihr letztes Ziel zu nennen: täglich Ostern des Menschen zu feiern. Von da her kommt die Lüge, der Krampf und der Kampf in unserem Leben. Wir alle neigen dazu, uns als Auferstandene, erstanden aus Krieg und Not und Todesbanden zu gebärden, ohne vorwärts, ohne seitwärts (nach Ost und West), ohne rückwärts zu blicken.

Und da bietet sich uns, mit seinen unendlichen Jubelrufen das Ostern der Kirche an. Wenn es da, in den Segnungen des Weihwassers und des Wachses, der Kerzen und Brote, von der Arbeit der emsigen Biene erzählt, vom Honig und Licht, wenn die Glocken klingen und das Osterlachen erklingt — das Mittelalter konnte sich nicht genug tun in der Ausgestaltung dieses risum paschale, des gaudium paschale, da mußten Palmesel und Spiel mitten hinein in die Kirche — wenn da, über die Kuppeln, Türme, Tore und Dächer dieser Erde die Singstimmen sich aufschwingen und die Böller krachen, dann sagen die Blumen und Choräle, die Liturgien und Messen (der Kirche), die hehren Feiern und Feste doch immer nur das eine: ja, esgibt eine Auferstehung in der Zeit, und der Mensch ist zu ihr berufen^ Diese Auferstehung beruht aber nicht auf unserem Wunsch und unserer Sucht, auf unserem Spiel und Begehren, sondern auf harten, strahlenden Tatsachen: auf der Auferstehung des Gottessohnes.

Nur durch Ihn können wir „Götter“ werden — sollen wir „Götter“ werden, wie der Psalm es verkündet hat, wie Christus, sich auf eine Psalmstelle berufend, Seine

Gottheit verteidigend, den Pharisäern entgegenhält. Et dii estis omnes. Und ihr werdet Götter sein, alle...

Es ist etwas Seltsames also um unsere Spiele, um unsere Urlaubstage auf Erden. Sic können ihren Sinn haben, wenn sie sich vertrauensvoll auf das eine große Spiel hinwenden, das der Herr mit Tod und Teufel gespielt hat. Alles kann von dort her gerettet werden, fast alles: unsere Moden und Kleider, unsere Taten und Gesten, unser ganzes rundes und schiefes Tagesleben auf dieser Erde. Wenn wir nur eines wagen: den. Verzicht auf die große uhge-heuer liehe Anmaßung, unser Lc.bcn als ein ewiges Ostern des M c n s c h e ng o 11 e s zu leben, ' Dieses Leben also nicht offen zu leben, als Gabe, die zur Gegengabt Gott, Mensch und Natur gegenüber verpflichtet, sondern geschlossen, nur für uns.

Wenn nicht alles täuscht, geht ein leises, neues Atmen um die Welt. Ein beginnendes Wissen um die Verflochtenheit der Sp'tle Gottes mit den Spielen der Menschen. Ein Wissen darum, daß unsere „Verhältnisse“ sich erst wirklich lösen werden, wenn wir es wagen, sie von oben her lösen zu lassen. Der letzte Sinn neuerer Kunstwerke, die Geistigkeit mancher Denker und Öichter, der Mut, mit dem bereits einige Menschen wagen, die Materie auch in der Wirtschaft und Politik als ein geistiges Anliegen zu verwahren und zu durchformen, nicht zuletzt der Opfersinn, der immer noch in der Welt ist, gibt Hoffnung.

Ostern will diese Hoffnung bestärken, will sie zur Wirklichkeit erheben.

EINER ist auferstanden und uns vorausgegangen, auf daß wir Ihm nachfolgen — wir Kinder dieser Erde, dieser Zeit, wir Zu den :wigen Ostern Berufene. h.

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