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OSTERN IM BERGDORF

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In der Karwoche ritt der alte Pope von Comarnic auf einem Esel über die Hügel, um den Leuten in den entlegenen Dörfern die Beichte abzunehmen. Sein Erscheinen bedeutete das baldige Ende der Fastenzeit, der Nächte voller Aberglauben und bösem Wirken. Gott sei es gedankt! Jetzt hob der Winter seine kalte Schneedecke von den Bergwiesen, Parinte Nicoara brachte die frohe Kunde des Auferstehungsfestes !

Die Kinder liefen ihm ein Stück Weges entgegen und beobachteten, wie der Esel, den er als Tragtier benützte, langsam zwischen den Krummföhren herantrottete. „Er kommt! Der Parinte kommt!“ Eilig wurde die Botschaft ins Dorf gebracht, Fenster öffneten sich, Weiber stürzten aus den Haustoren, um dem Popen die Hand zu küssen. Dieser Greis mit dem weißen Bart löste allerdings auch Bestürzung aus; wer konnte den forschenden Blick seiner Augen so leicht ertragen!

Im Dorf hatte sich mancherlei Sündenlast den Winter über angesammelt, viel Arges, das im dunkeln gedieh: Haß, Eifersucht, Neid, Rache. Weiß einer, was im Kopf seines Nachbarn vorgeht, oder kennt er die Gedanken der eigenen Frau?

Der Schmied hatte im vergangenen Herbst die Axt nach Alesie geworfen, die ihr Ziel verfehlte und zitternd im Stamm einer Birke steckengeblieben war. Seither sprach der Schafzüchter Alesie kaum mit seiner Frau. Er fühlte, wie sie des Nachts wach neben ihm lag, zusammengekauert, sprungbereit wie eine Katze, und in die Finsternis starrte. Der Schmied ging ihm aus dem Weg; er hätte ihn sonst an der Kehle gepackt und hin und her gerüttelt: „Sag, hast du etwas mit Stana?“ Dafür kam Baba Ana oft ins Haus, diese schielende Hexe! Der Bauer hatte sie erst vor einigen Tagen in die Scheune schleichen sehen. „Was suchst du hier?“ Er lief über den Hof, aber die Scheune war leer; nur eine schwärzliche Lache glänzte auf der Tenne. Was bedeutete das, warum... Alesie beendete sein Grübeln nicht. Jetzt kam die lichte Zeit, die solchem Treiben ein Ende setzte!

Auch der Schmied Chirila sah, wie die Kinder den Geistlichen umringten, schüttelte verächtlich den Kopf und schob die Fellmütze in den Nacken. Er glaubte weder an Gott noch an dessen Güte. Glockengebimmel, Beten und Singen galten nur für die Reichen! Die Armen schickte man zum Teufel und das Himmelstor blieb ihnen verschlossen. Er hatte als Waisenkind allzufrüh Roheit und Niedertracht zu fühlen bekommen, von einem Bauernhof zum andern gestoßen, überall geschlagen und gedemütigt; bis aus ihm der sehnige Bursche wurde, mit den blitzenden Augen im mageren Gesicht, den starken, unregelmäßigen Zähnen, jähzornig und heimtückisch. Er kam vom Militär noch zügelloser zurück. Eine Tante vererbte ihm ihr Häuschen am Dorfrand. Er baute es zu einer Schmiede um, dieses Handwerk hatte er beim Militärdienst erlernt. Nun wäre es für Chirila an der Zeit gewesen, ein Weib zu nehmen, die Mädchen aber liefen vor seinen wilden Augen davon und riefen ihn sonntags nicht zum Reigentanz.

Einmal ging Stana, die junge Frau des Schafzüchters, in die Schmiede. Ihr Mann sei bei der Herde, in den Bergen, brachte sie schüchtern hervor, die Pferde im Stall müßten beschlagen werden, und ob nicht Chirila... sie kam nicht weiter. Der Schmied packte sie um die Hüften und küßte sie. Das geschah an einem Abend im Herbst, und das rote Feuer der Esse warf ihre Schatten an die Wand. Kurze Zeit darauf kam Alesie von den Almen herunter. Chirila lauerte im Birkenwäldchen. Die Axt traf nicht!

Stana lag im Bett und preßte widerwillig die Hände an Ihren Leib, an das Kind, das sie dort wachsen fühlte. Baba Ana hatte ihr ein Mittel gegeben, einen bitteren Trank, der den Gaumen fast verätzte. Die dürren, gespreizten Finger der Alten fuhren über ihren Körper, dazu murmelte das Weib Unverständliches und zog das Kopftuch über die Augen.

Genug Schlimmes gab es im Dorf! Keiner Beichte bedurfte es, um den Popen diese Dinge ahnen zu lassen. Sein Blick tastete die Gesichter ab, das zerquälte des Alesie, das verängstigte der jungen Frau mit den zitternden Lidern über gesenkten Augen, das verschlagene der Dorfhebamme. Er sah die anderen Dörfler, die sich an ihn drängten, und las in ihren Zügen, diesen neugierigen, dummen, gutmütigen, habsüchtigen, rohen, und seufzte; aber gleich darauf lächelte er ihnen zu. Waren sie nicht allesamt Menschen, ihm anvertraut? Zwei Tage blieb Parinte Nicoara im Ort, schalt,bestrafte, beschwichtigte, versöhnte; als er davonritt, blieb ein gereinigtes Dorf voll guter Vorsätze zurück. Keiner wollte je wieder gegen die Zehn Gebote verstoßen. Die Bauern gelobten es bei der Beichte, beteten die vorgeschriebenen Vaterunser und warfen sich, den Boden der Kirche mit den Handflächen berührend, auf die Knie. Doch die ganz Verstockten, das wußte der Pope, knieten nicht unter ihnen! Sie fürchteten weder Hölle noch Fegefeuer. Auch der Schmied hatte wieder bei der Osterbeichte gefehlt, und das stimmte den alten Seelsorger traurig. Dieser Chirila! Ehebruch und feiger Mordanschlag! Der Tod des Ungeborenen fiel ebenfalls auf sein Gewissen, wenn auch diese widerliche Hebamme den Hauptteil der Schuld trug, wobei Stana... nun, Menschen, dem Irdischen allzusehr verbunden! Sie waren in sich gegangen, hatten bereut! Der Greis sah dankbar zum blassen Aprilhimmel, zu den wehenden Birken auf den Hügeln, über dunstigen Schluchten.

Am zweitnächsten Tag mußte er den gleichen Weg zurückreiten, um die Liturgie der Auferstehungsnacht in der Kirche zu singen. Hoffentlich hielt sein Esel die Anstrengung des langen Weges aus! Ein betagtes Tier, das ihm schon an die fünfzehn Jahre diente! Freilich, wenn man ihn so ansah, sein Fell glänzte noch, er schnaubte munter in der frischen Frühlingsluft und setzte sogar zu einem kleinen zockelnden Trab an, wobei der Ranzen mit Stola und Meßgeräten und der Korb frischer Eier bedrohlich schaukelten.

Inzwischen begann im Dorf eine große Geschäftigkeit. Alles wurde geputzt, gescheuert, geweißelt. Die Frauen rührten die Paska und buken runde Osterkuchen, färbten Eier rot. — Nicht alle Schafe verbrachten den Winter im Stall. Die meisten Bauern ließen ihre Herde auf den Aknen der Vorberge, wo die Tiere, in Pferchen gegen das Raubzeug geschützt, vom Wiesenheu des Sommers zehrten. Nicht vor dem Sankt-Georgs-Tag, in der dritten Woche des April, zogen sie von dort, unter den Flötenliedern der Hirten, durch weite Tannenforste den hohen Bergen zu. Einsam war es dort, nur der Steinadler schrie in den Felsen über seiner Brut.

„Ich will Alesie nachgehen! Wer sucht dort oben nach einem Toten, der in einem Wildwasserbett unter steilen Lehnen liegt, oder in einem Windbruch, zwischen geknickten Tannen! Und gibt es nicht Marder, Iltis, Fuchs?“ Chirila wurde es ganz heiß bei dem Gedanken, den Verhaßten aus dem Weg zu räumen, um endlich mit Stana beisammen zu sein. Jetzt kam Ostern, bis zum Georgstag dauerte es noch eine Weile! Vielleicht gelang ihm sein Vorhaben schon früher?

Die Schafzüchter pflegten vor den hohen Feiertagen zu ihren Almen zu steigen, um den Hirten Schnaps und Lebensmittel zu bringen. Chirila bemerkte, daß Alesie am Morgen des Karsamstags auf einem Grauschimmel aus seinem Hoftor ritt, und folgte ihm bis zum Bach. Unter der Brücke wollte er sich verbergen. Sicherlich kam Alesie vor dem Dunkelwerden zurück, um rechtzeitig dem Gottesdienst beizuwohnen! Der Schmied ließ sich ins Gras fallen und lachte böse.

Abendliche Schatten krochen schon an den Lehnen hoch, hinter dem Bergbuckel mit den vereinzelten hohen Tannen schien es zu brennen. Die Sonne ging unter. Hufgeklapper drang in die Dämmerung. Chirila schnellte hoch, doch nicht Alesie auf dem Grauschimmel, der Esel des Popen schwankte heran.

Parinte Nicoara stützte sich schwer auf seinen Stock. „Chirila!“ rief er erfreut. „Gott hat mich dir entgegengeschickt! Wir zwei können es kaum noch schaffen. Nimm den Sack mit den Meßgeräten und den mit den Kerzen. Zwei Leuchter habe ich auch mitgebracht!“ Der Schmied, zu verdutzt, um etwas zu entgegnen, nahm die Bürde und folgte dem Priester, der während des Gehens die Worte des Evangeliums in die Dunkelheit sprach: „Weib, was weinest du, wen suchest du?“ Da wandte sich Maria um: „Rabuni, Meister!“ Da spricht Jesus: „Rühr Mich nicht an, denn Ich bin noch nicht aufgefahren zu Meinem Vater. Gehe aber hin zu Meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu Meinem Vater und zu eurem Vater, zu Meinem Gott und zu eurem Gott!“

Der Bursch ging wie im Traum neben dem alten Mann, der das Wunder der Auferstehungsnacht dem schweigenden Wald mitteilte.

„Ich habe den Herrn gesehen, und solches hat Er mir gesagt!“ Der Wind hob die Glockentöne aus den Tälern; sie mischten sich in das Rauschen der Wipfel und brachten jedem Baum, jedem Strauch und allem Lebendigen die Osterbotschaft.

In der Nähe des Dorfes legte der Pope Chirila die Hand auf die Schulter. „Es hat sich gut getroffen, daß wir jetzt allein sind! Ich weiß, was dich quält! Das darf nicht sein! Laß dem Alesie sein Weib! Unten in Comarnic — der Schmied ist alt und hinfällig. Er will dich zu seinem Nachfolger haben. Geh von hier fort, in Comarnic wird alles besser für dich sein. Ich meine es gut, mein Sohn!“ Er fuhr leicht über die Wangen des Burschen und fühlte, wie sie zuckten, „Zieh die Feiertagskleider an! Ich beginne gleich mit dem Gottesdienst!“ Er legte wieder den Sack auf den Rücken des Esels und schlurfte neben ihm zur Kirche.

Der Schmied blieb eine Weile“ benommen stehen, atmete dann befreit auf und hastete zu seinem Haus. Während er in der Truhe nach seinen Sonntagskleidern suchte, fiel ihm ein, daß seine Axt unter der Brücke lag. Er hatte sie fallen lassen, als er dem Popen unvermutet gegenüberstand. Mochte Sie dort liegen bleiben! (Copyright by Kalmer, London)

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