6690667-1962_36_15.jpg
Digital In Arbeit

Osterreichisches Dreigestirn

Werbung
Werbung
Werbung

Zu Spielzeitbeginn präsentierten die drei bedeutendsten Sprechbühnen noch einmal die österreichischen Jahresregenten des Theaters. Nestroys „Talisman“ war in der festspielmäßigen Aufführung der diesjährigen Bregenzer Spielzeit ein guter und passender Beginn für das Akademietheater. Das Volkstheater ging unkonventionelle Wege. Es grub ein Werk Nestroys aus, das bei der Uraufführung 1873 durchgefallen war und nach drei Wiederholungen abgesetzt werden mußte Liest man heute die zeitgenössischen Kritiken nach, weiß man eigentlich nicht einmal so recht, warum. „Eine Wohnung ist zu vermieten“ gehört zur Kategorie der Possen, die Nestroy mit der allgemein üblichen Unbedenklichkeit seiner Zeit einer Vorlage nachgearbeitet hatte. Diese Vorlage (aus der Feder des Berliner Familiendichters Angely) war schon selbst wieder Nachbild eines französischen Urtextes. Aber das, was Nestroy dem dünnblütigen Original aus eigenem hinzugefügt hat: das vollsaftige vormärzliche Leben, die wirklich originelle und nicht nur lose um die Hauptfiguren herum „arrangierte“ Handlung, die Typenzeichnung, das alles, was uns dieses Stück heute noch so anziehend macht, hat vielleicht die allzu lebensecht konterfeiten Zeitgenossen geärgert. Hans W e i g e 1 s Bearbeitung ist phantasiereich, lustig und gut pointiert, ganz stilrein biedermeierlich ist sie ebenso wenig wie Paul Burkhards Musik, vor allem die Instrumentierung. Hans Manker führte Regie. Unter knappen drei Stunden Spieldauer geht es bei ihm, der sich bei jed* Satz etwas denkt, halt niemals ab.. Die Zeit wurde einem aber nicht lang. Man konnte sie schon allein beim Anschaun der ganz köstlichen Bühnenbilder und Kostüme Maxi Tschunkos angenehm verbringen. Und vor allem: sich an Fritz M u 1 i a r s Rentier Gundelhuber freuen, im Solo wie im Ensemble (hier besonders mit Erna S c h i c k e 1, der Gemahlin, und im Zusammentreffen mit der durch Oskar Wegrostek und Oskar W i 11 n e r verschönten Trauergesellschaft). Helmut Qualtinger brauchte ein paar Szenen lang, um aus dem Herrn Karl zum biedermeierlichen Hausmastet Balsam zu werden. Dann aber durchschritt er das Zeitgenössische und wurde zum zeitlosen Ur-und Schreckbild des „Hausmasters“: von Qualtinger über Nestroy zu Doderer.

In der Josefstadt feierte man stilecht „J i h r e s t a g'e“. Die Inszenierung'von Arthur S c h n i t\ 1 e r i „Letzten Masken“ durch Heinrich Schnitzler feierten wir spontan bei der Premiere während der Wiener Festwochen. Ganz so begeistert sind wir jetzt nicht mehr. Für Leopold Rudolf fehlt der heimlich-unheimliche Kontrapunkt, den der Darsteller des Schauspielers Jackwerth damals setzte. „I n Ewigkeit, Amen“ ist und bleibt das bühnenwirksamste Stück des lyrischen Epikers Wildgans. Wir entzogen uns seiner Erschütterung auch jetzt nicht, da wir — im Vergleich etwa mit der feinen Nuancierung Schnitzlers — der verhältnismäßig groben Machart des Dialogtextes deutlicher inne wurden als in früheren Jahren, da uns in der Darstellung Guido W i e 1 a n d s der nicht ganz überbrückte logische Bruch im Charakter des Untersuchungsrichters klarer bewußt wurde. In Friedrich K a 11 i-n a s betont langsamer, breit ausgespielter Regie kann sich schauspielerische Episodenkunst geradezu ausleben. Im stummen Spiel tat dies Karl Hellmich (Schriftführer) besser als im Wort, Gretl E1 b (Zeugin) war gut wie immer, Karl P a r y 1 a (Zeuge) war in der Nuancierung fast zu gut, zu deutlich. Ganz großartig blieb Leopold Rudolf (Gschmeidler) als tiefster Eindruck dieses österreichischen Spielzeitbeginris in Erinnerung.

Bei der zweiten Aufführung konnte auch das dritte, am Premierenabend ausgefallene Stück gegeben werden: Nestroys einaktige Posse mit Gesang „Frühere Verhältnisse“, mit Musik von A. M. Storch in der Bearbeitung Gustav Zelibors, von Otto Schenk recht drastisch-realistisch inszeniert und von Inge Fiedler mit Dekors und Kostümen ausgestattet. Die früheren Verhältnisse werden vor allem dem Prinzipal, Herrn von Scheitermann — nein, nicht verhängnisvoll, sondern nur äußerst peinlich, der mit einer Professorentochter verheiratet ist und bei dem sich ein rabiates Individuum, der Hausknecht Muffl (den früher Nestroy, jetzt Karl Paryla spielte) als Diener anbietet — und der sich als des Hausherrn Prinzipal zu erkennen gibt, bei dem dieser seinerzeit als Diener tätig war. — Ein Bravourstück leistete Susi Peter, die für die erkrankte Elfriede Ott einsprang und, gewissermaßen über Nacht, die garnicht so kleine und Nestroysche Zungengewandtheit erfordernde Rolle der Köchin Peppi Amsel lernte. In den übrigen Partien: Georg Bücher und Helly Serryl. H.A.F.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung