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Ostjudisches Erbe

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HAUS DER VÄTER. Briefe eines Juden an seinen Enkel. Von Abel J. Herzberg. Aus dem Holländischen übertragen von Bernhard Bultmann. Otto-Müller-Verlag, Salzburg, 1987. Hl Seiten, Leinen. S 98.-.

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HAUS DER VÄTER. Briefe eines Juden an seinen Enkel. Von Abel J. Herzberg. Aus dem Holländischen übertragen von Bernhard Bultmann. Otto-Müller-Verlag, Salzburg, 1987. Hl Seiten, Leinen. S 98.-.

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Dr. Abel Herzberg ist der Abkömmling jüdischer Emigranten, die in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus Rußland auswanderten, um den Verfolgungen zu entgehen, denen ihr Volk im Zarenreich ausgesetzt war. Die Familie siedelte sich in Amersterdam an, und dort wurde Herzberg 1893 geboren. Seine Tätigkeit als Rechtsanwalt in der Geburtsstadt fand durch die nationalsozialistische Besetzung der Niederlande ein Ende. Er teilte das Schicksal der holländischen Juden, war während des Krieges in verschiedenen Lagern interniert, zuletzt in dem berüchtigten Bergen-Belsen.

Nach dem Krieg hat Herzberg mehrere Bücher geschrieben, unter denen das hier vorliegende einen besonderen Platz verdient. Es enthält Briefe an den achtjährigen Enkel des Autors, in denen der Großvater dem Knaben sehr lebendig vom geistigen und religiösen Erbe seiner Vorfahren erzählt. Ein Bild liebevollen und frommen jüdischen Familienlebens, das nicht nur dem Enkel, sondern jedem interessierten Zeitgenossen einen Schlüssel in die Hand gibt, vergessene ostjüdische Traditionen kennen und achten zu lernen.

Zwei Züge fallen immer wieder ins Blickfeld: das schwere Leben dieser Flüchtlinge im Exil, zu dem Unverständnis, ja teilweise Verspottung der Einheimischen gehört. Vielleicht führte gerade diese Isolierung zu jener anderen Tatsache, die Herzberg so sehr beschäftigt: daß die Juden, verstreut in der ganzen Welt, in aller ihrer Bedrängnis sich immer bemühten, das Erbe ihrer Väter hochzuhalten und an die neue Generation weiterzugeben. Seine Aufzeichnungen sind durchdrungen von einem hohen jüdischen Selbstbewußtsein und der Verehrung des ererbten Glaubensgutes. „Es ist auch dann noch wahr, wenn du selber gar nicht mehr an die Existenz Gottes glaubst“, heißt es einmal. „Denn es geht gar nicht darum, ob und was du glaubst; es geht immer nur darum, was du sein willst...“

Ergreifend wird die Gestalt von Herzbergs Großvater mütterlicherseits beschworen, eines frommen alten Chabadnik. (Die Chabad-Bewe-gung ist eine besondere Art des Chassidismus, „gefiltert durch den Verstand“.) Unvergeßlich die Szene, in der der Alte kurz vor seinem Tod den Enkel segnet mit der uralten Formel seines Volkes.

„Es ist, als wäre dieser Augenblick noch nicht vorüber. Wie wenn ihn jemand fixiert hätte... Nun bin ich so alt geworden wie mein Großvater damals war... Doch kann ich nicht anders denken als mit Gefühl, das Kind geblieben zu sein von damals...

Der Abstand ist groß geworden zwischen uns und dem Chassidismus, ja sogar zwischen uns und der Religion überhaupt. Doch mein Großvater ist immer geblieben, und er hat mir beigestanden und war über mir. Als ich heiratete, als die Kinder geboren wurden, als Vater und Mutter starben, als die Kinder Kinder bekamen und auch als du geboren worden bist. Er ist mit mir in die deutschen Lager gegangen und hat mich beschirmt Und er ist auch jetzt bei mir, während ich dies schreibe. Ich habe nie aufgehört, ein Kind zu sein, und er hat nie aufgehört, zu segnen ...“

Dieses wunderbare Buch erfüllt viel mehr als die Absicht, dem Kind einer neuen Zeit alte Werte und Traditionen zu übermitteln und verständlich zu machen. Es ist Spiegel großer Vergangenheit in dem schlichten Rahmen familiären Lebens. Es macht eine Vergangenheit lebendig, die auch uns Christen angeht als eine Wurzel unseres Glaubens.

Man wünscht diese Erinnerungen in die Hände vieler Leser; aus ihnen spricht eine Menschlichkeit, die in unserer Welt verlorenzugehen droht. In Herzbergs Kinderhaus fühlte sich noch einer für den anderen verantwortlich, für jeden auch, der an die Pforten des gastfreien Hauses pochte, und das taten viele spätere Emigranten auf ihrem schweren Weg in die Fremde.

Welch ein Vermächtnis, nicht nur für den Enkel, an den diese schönen Briefe gerichtet sind.

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