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Panoptikum einer glorreichen Vergangenheit

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Was Musik anbelangt, ist das Jahr 1997 reich an historischen Eckdaten und den damit verbundenen Gedenktagen: Vor 200 Jahren erblickte Franz Schubert das Licht der Welt, vor 150 Jahren starb Gaetano Donizetti, vor 100 Jahren segnete Johannes Brahms das Zeitliche, im selben Jahr wurde Gustav Mahler Direktor der Wiener Hofoper, der nunmehrigen Staatsoper. Die Nationalbibliothek und das Osterreichische 'Theatermuseum beglücken seit kurzem den Musikfreund mit Ausstellungen, die jene glanzvolle Epochen der Wiener Musikgeschichte beleuchten. Im Jahre 1797 kümmerte natur-

gemäß niemanden die Geburt eines gewissen Franz Schubert; das herausragende Musikereignis dieses Jahres war die Komposition des Kaiserliedes („Gott erhalte...") durch Joseph Haydn. Die Originalhandschrift ist in der Ausstellung „Musikjahrhundert Wien 1797 bis 1897" in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien zu sehen, die weit mehr als nur Brahms und Schubert zu bieten hat: Zum Beispiel ein Notenbuch, in dem Ludwig van Beethoven höchstpersön -lieh mit Rotstift seiner Wut über einen Kopisten freien Lauf ließ; dieser hatte in des Meisters Partitur einige Noten dazukomponiert: „Der Kopist, der die 3 und 6 hier hinein gemacht hat, ist ein Fsel!", erboste er sich.

Oder ein Kuvert mit getrockneten Efeublättern von Richard Wagners Grab aus dem Besitz Anton Bruckners. Die Musikwelt Wiens war ja in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts gespalten in Gegner und Anhänger der damals wie heute umstrittenen Werke Wagners. Der Neuerer Bruckner war ein glühender Verehrer Wagners. Die Wagner-Gegner wiederum hatten Johannes Brahms, der dem Althergebrachten zugeneigt war, vor ihren Rarren gespannt. Mehr oder weniger unberührt davon feierten Walzer- und Operettenkomponisten wie Johann Strauß, Franz von Suppe und Karl Millöcker Triumphe.

Überhaupt läßt die strikt chronologische Präsentation der Ausstellungsstücke erkennen, daß die entwicklungsgeschichtliche Aufeinanderfolge verschiedener Musikstile nicht der tatsächlichen zeitlichen Abfolge entspricht: So heißt es etwa, daß auf die Wiener Klassik (Haydn, Mozart

Beethoven) die Romantik folge. In der Tat aber fallen das Schaffen Beethovens und des Bomantikers Schubert in die gleiche Zeit; Schubert starb 1828, Beethoven ein Jahr früher. Gleichzeitig lag Wiens Opernpublikum dem leichten, beschwingten Gioacchino Bossini zu Füßen; ein Umstand, der wiederum zum Mißerfolg der Schubertschen Opernambitionen beitrug.

Im Jahre 1897 wrurde Gustav Mahler (1860 bis 1911) Direktor derWie-ner Hofoper. Jene zehn Jahre, in denen er das damals größte Opernhaus der Welt leitete, dokumentiert eine Ausstellung im Österreichischen Theatermuseum, von der die IlluÄfra-tionen dieser Seite stammen. Geschickt hatte sich Mahler innerhalb kürzester Zeit auf den begehrten Posten intrigiert. Er — von dem der Spruch „Ich bin dreifach heimatlos: Als Böhme unter Österreichern, als Österreicher unter den Deutschen und als Jude in der ganzen Welt" überliefert ist - ließ sich zu diesem Zwecke sogar taufen.

Mit Mahler brach tatsächlich ein neues Zeitalter in der Hofoper an: Mit

Werken von Carl Goldmark, Siegfried Wagner und Alexander von Zemlinsky pflegte er die zeitgenössische Oper. In Neueinstudierungen und Neuinszenierungen brachte er das klassische Repertoire von Mozart bis Wagner klangtreu und vor allem in voller Länge auf die Ruhne. „Er befreite Mozart von der Lüge der Zierlichkeit wie von der Langeweile akademischer Trockenheit, gab ihm seinen dramatischen Ernst, seine Wahrhaftigkeit", schrieb Bruno Walter, der 1901 als Kapellmeister an der Hofoper engagiert wurde.

Als Alfred Roller 1903 Chefausstatter der Hofoper wurde, revolutionierte er das Rühnenbild: Die Bühne wurde entrümpelt; unnötiger, in seiner Prunkhaftigkeit nur ablenkender Zierrat verschwand in den Magazinen. „Die Dekoration soll nicht vortäuschen, sondern nur Zeichen geben", umriß der Schriftsteller Hermann Bahr diese im wahrsten Sinne des Wortes moderne Neuerung.

Auch mit einer schlechten Angewohnheit des Publikums räumte Mahler auf: Zuspätkommenden Herrschaften wurde erstmals der Einlaß ver-

wehrt. Mit seinem Reformeifer machte der Operndirektor sich und anderen das Leben schwer: Innerhalb der Verwaltung seines Hauses mußte er sich mit trockenen Bürokraten wie Generalintendant August Freiherr Plap-part von Leenheer herumschlagen, der seinem Chef ständig Prügel zwischen die Beine warf. Mahler sei als Direktor „oft sogar unerträglich" gewesen, erinnerte sich der Tenor Leo Slezak, „aber wenn er im Probensaal oder auf der Bühne mit uns arbeitete, zerstob jeglicher Groll in alle Winde und man war stolz darauf, mit diesem Genie durch dick und dünn gehen zu dürfen".

In der Öffentlichkeit gab es von Anfang an kontroversielle Meinungen über den neuen Operndirektor. Gegner warfen ihm Traditionsbruch, respektlosen künstlerischen Umgang mit den Repertoirewerken und Geldverschwendung vor. Auch antisemitische Stimmen mischten sich in die Diskussion ein. (Interessanterweise war der junge Adolf Hitler, der zu jener Zeit in Wien lebte, ein großer Mahler-Fan). Mehr oder weniger isoliert warf Mahler schließlich 1907 das Handtuch und schiffte sich nach New York ein.

Eine-Ära war zu Ende gegangen.

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