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Paris ist eine Messe wert

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Eine unglaubliche Anziehungskraft übte das Weltjugend-treften in Paris mit dem Papst auf Hunderttausende Jugendliche aus.

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Eine unglaubliche Anziehungskraft übte das Weltjugend-treften in Paris mit dem Papst auf Hunderttausende Jugendliche aus.

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Paris, Charles de Gaulle. Auf einem der größten Flughäfen der Welt pulsiert es an diesem Montag wie gewöhnlich. Fast wie gewöhnlich. Immer wieder blitzt es in der Menschenmenge hell auf: „VOLON! AIRE” steht in weißen Lettern auf den apfelgrünen T-Shirts zahlreicher junger Burschen und Mädchen, die überall im Flughafen postiert sind. „Gest pour lc JMJ?”, fragen sie, wenn sie ein hilfesuchender Blick von meist rucksacktragenden jungen Leuten trifft. Ein erleichtertes „Yes”, „Si”, „Tak” oder „Oui” folgt: Ja, wir wollen zum Weltjugendtreffen, den „Jour-nees Mondiales deTa Jeunesse”, kurz „JMJ”. Man versteht sich ohne Worte. Ein Philippine in beigen Bermudas sagt mit breitem Lächeln „Hello!” zu einigen offensichtlich von der Reise erschöpften Mädchen und verteilt Rosenkränze. Seine Mutter hat sie selbst geknüpft, erzählt er auf englisch.

Über 160 Nationen treffen in diesen Stunden aus allen Himmelsrichtungen in Paris ein. Die stärkste ausländische Delegation kommt mit 60.000 angemeldeten Personen aus Italien, dicht gefolgt von Polen und Spaniern. Fragte man sich in Paris im Juli noch bange, ob man die Zahl von 300.000 jungen Pilgern aus aller Welt überhaupt erreichen würde, so zeigte sich von Anfang an, daß sie bei weitem überschritten werden würde. Die Steigerung erfolgte in Riesenschritten: 300.000 Teilnehmer bei der Messe mit dem Pariser Kardinal Jean-Marie Lustiger am Dienstag, 500.000 beim Willkommensfest für Papst Johannes Paul 11. am Donnerstag am Champ de Mars, 750.000 bei der Abendvigil am Samstag, schließlich die Rekordzahl von einer Million Teilnehmer beim Abschlußgottesdienst auf der Pferderennbahn in Long-champ.

Das sprengte nicht nur alle Er-Wartungen, sondern brachte auch die logistischen Vorbereitungen vollkommen durcheinander. So mußten für das Wochenende spontan einige Hunderttausend zusätzliche Portionen für Frühstück und Mittagessen organisiert werden.

Auch das Pariser öffentliche Verkehrssystem brach immer wieder zusammen. Niemals zuvor hatte die Metro oder die Vorortelinie RER so viele Menschen transportiert. Trotz Sauerstoffmangels wurde auch in den Waggons gesungen, die Pariser trugen es mit Fassung. Sie gewöhnten sich mit zunehmendem Amüsement an die „jeunes” mit Bermudas, einem blauen Rucksack an der Schulter und einer JMJ-Karte um den Hals.

Donnerstag nachmittag am Champ de Mars. Vom Fuß des Eiffelturms bis zur Ecole Militaire ein riesiges Menschenmeer. Rei der Ankunft des Papstes gehen die Wogen hoch: Fahnen werden geschwungen, man singt, tanzt, Sprechchöre aus allen Ecken. „Vive le Pape!”, grenzenlose Begeisterung. Ein afrikanischer Gospelchor singt eine schier endlose Version von „O Happy Day”. Wasserflaschen werden durchgereicht, um die in diesen Tagen durchschnittlichen 30 Grad

Hitze zu ertragen. Sonne, Staub, einige Kilometer Fußmarsch am lag, die Menschenmassen, das ist die eine, anstrengende Seite dieser Tage. Die andere ist „la fete”: ein Biesenfest der Nationen, wo getanzt, gesungen und gelacht wird einerseits, eine spirituelle Erfahrung andererseits. „Genau dieses Fest und diese Gemeinschaft habe ich hier gesucht”, erzählt Maria aus Italien. „Ich warte voller Ungeduld auf das Kommen des Papstes. Ich weiß, daß mich seine Worte berühren werden, es wird ein großer Moment sein.”

Als Ausgleich zu den Großveranstaltungen gibt es in allen Pfarren in und um Paris unzählige kleine Treffen einzelner Gemeinschaften, Cyber-Cafes, Gospelkonzerte, Diskussionsforen und vieles mehr. Das Angebot ist unüberschaubar. Die in Paris anwesenden rund 2.000 Österreicher versammeln sich Freitag nachmittag zu einem eigenen Österreicher-Treffen in der Kirche St. Clöthilde. Ein bunter Mix von Songs, Gebet und Impulsen der anwesenden Bischöfe Schönborn und Iby wird präsentiert. Die Überraschung ist groß, als plötzlich der Rockerpriester Guy Gilbert, wie immer in Jeans und schwarzer Lederjacke, zum Altarraum vorgeht und spontan ein paar Worte spricht. „Lieben wir die Kirche”, appellierte Gilbert, der seit 32 Jahren Priester ist und als solcher mit drogensüchtigen und kriminellen Jugendlichen in den Straßen der Metropole lebt, an die Österreicher. „Hören wir auf, uns gegenseitig zu beschießen.” Spontan griff der Wiener Erzbischof, Christoph Schönborn, zum Mikrofon und übersetzte. „Nehmt euch Zeit, darauf hinzuhören, was die Kirche lehrt, nehmt euch Zeit zu beten. Aber vor allem: Nehmt euch Zeit, das Maul zu halten!” Er selber lebe mitten in Verzweiflung und Haß und brauche regelmäßige Zeiten des Schweigens.

Samstag früh. Während viele Pariser die Stadt verlassen, strömen unzählige Menschen zur Pferderennbahn nach Longchamp, in den im* Osten der Stadt gelegenen Rois de Boulogne. Hier findet Samstag abend eine Vigil statt, wo zehn junge Menschen aus verschiedenen Nationen von Papst Johannes Paul 11. getauft werden. Die Atmosphäre ist diesmal gesammelter als am Champ de Mars. Als es dunkel wird, verwandelt sich das über 50 Hektar große Areal in ein Lichtermeer. Hunderttausende weiße Kerzen leuchten in die Nacht. Die Worte des Papstes „Die Kirche braucht euch! Ich zähle auf euch!” scheinen hier ihre symbolische Antwort gefunden zu haben.

Die Nacht, die die Jugendlichen mit Matte und Schlafsack in Longchamp verbringen, ist kurz. Immer wieder flackern Lieder auf, wie zur Vorbereitung für „die größte Messe in der Geschichte Frankreichs” am Sonntag, wie eine Tageszeitung schrieb. Eine Million Gläubige, 6.000 Priester, 500 Bischöfe sollten zusammen mit dem Papst die Abschlußmesse des Weltjugendtreffens in Paris unter freiem Himmel feiern.

Dabei gab Johannes Paul II. die Aufnahme von Therese von Lisieux in den Kreis der „doctores” der Kirche bekannt. Nach Katharina von Siena und Theresa von Avila wird sie die dritte Kirchenlehrerin sein.

Nach dem traditionellen Angelus und einem Gruß in mehreren Sprachen verabschiedet sich Johannes Paul II. Ein nicht enden wollender Applaus hält ihn hinter dem Altar fest, er winkt, kann sich offensichtlich schwer trennen von dem pulsierenden Leben. Einige K ilometer weiter zu seiner Linken ragt eine Spitze des Eiffeltums hinter dem Wald hervor. „Wißt ihr, warum Gustav Eiffel diesen Turm gebaut hat”, hatte Johannes Paul II. am Donnerstag nachmittag am Ende des Willkommensfestes die Jugendlichen gefragt. „Um darum hemm die Weltjur gendtreffen zu versammeln!” Paris ist wahrlich eine Messe wert ...

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