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Assia Djebar setzt der berühmtesten Freiheitskämpferin des algerischen Unabhängigkeitskrieges ein literarisches Denkmal.

Bei diesen Schatten der Vergangenheit muss man sich langsam vorwagen oder Umwege gehen, in Kreisen, Mä- andern und Verschlingungen, um schließlich in die dunkle Quelle schauen zu können, denn sie ist von Schmutz, erstarrten Schreien und unstillbarem Weinen getrübt", sagt die Tochter einer Frau, von der niemand das Grab kennt: "Frau ohne Begräbnis" ist, wie die Autorin Assia Djebar versichert, ein Tatsachenroman. Die 1936 im heutigen Cherchell in Algerien (dem antiken Caesarea) geborene Schriftstellerin und Filmemacherin gilt als die international erfolgreichste Autorin des Maghreb. Sie schreibt in französischer Sprache. Im Jahr 2000 erhielt sie den Friedens-preis des Deutschen Buchhandels. Ihre Werke sind bereits in 15 Sprachen übersetzt. "Frau ohne Begräbnis", ihr elftes Buch, das es auf deutsch gibt, ist zunächst der Bericht, wie sie nach vielen Jahren in ihre Heimatstadt zurückkommt, um einen Film zu drehen über die berühmteste Freiheitskämpferin des algerischen Unabhängigkeitskrieges: Zoulikha, "die Mutter der Partisanen". Wie bringt man Angehörige lange Zeit nach einer Tragödie zum Sprechen?

Der Autorin gelingt es, dass sich ihr die beiden Töchter und einige Freundinnen der Toten öffnen. Steinchen um Steinchen entsteht das Mosaik einer Zeit, in der es in Algerien fast keine Familie gab, die nicht einen Sohn unter den Kämpfern gegen die französischen Kolonialherren hatte. Aber eine Frau? Und was für eine: Zoulikha, geboren 1916, war das erste muslimische Mädchen, das eine französische Schule erfolgreich abschloss, das Schleier und Kopftuch ablehnte. Eine lebenslustige Frau, bis ihr dritter Ehemann von den Franzosen erschossen wurde. Sie übernahm seine Rolle, die Versorgung der Partisanen mit Medikamenten und Waffen. Bis sie in die Falle ging und spurlos verschwand.

"Als meine Mutter umgebracht wurde, war ich zwölf", erzählt die jüngere Tochter. Und die ältere kann es nicht verwinden, dass die Franzosen nicht einmal die Leiche herausgaben: "Als Tochter der verschwundenen Heldin durfte ich lediglich von der Legende meiner Mutter träumen." Die Bezeichnung Roman hat ihre Berechtigung, denn Frau Djebar lässt in Monologen die Tote zu Wort kommen, erschafft sie aufs Neue, indem sie ihr eine Stimme gibt. Und die Stimme erhebt sich über "Jahrhunderte geknebelten Schweigens".

Dieses Buch einer Frau über Mut und Leidensfähigkeit von Frauen ist in einer poetisch-tastenden Sprache geschrieben, als ob die Frauen selbst staunten, dass sich ihr Leid in Worte fassen lässt.

Für die Welt hat Algerien heute andere Probleme, sie interessieren nur jene paar Sekunden, in denen Schreckensbilder auf dem Bildschirm erscheinen. "Frau ohne Begräbnis" ist ein schockierendes Buch, zugleich ein zärtliches: Voller Verständnis für eine Frau, die nicht in einer Hütte versteckt leben wollte, die sich auflehnte, die unverschleiert die Welt sehen wollte.

Frau ohne Begräbnis

Von Assia Djebar

Aus dem Französischen von Beate Thill

Unionsverlag, Zürich, 2003

220 Seiten, geb., e 18,40

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