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Partys — Jazz — Schlager

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In jenem Maß, in dem die Freizeit wächst, steigen konform mit den Freizeitchancen auch die Konsumchancen. Die Art, wie die Freizeit tatsächlich genutzt werden kann, ist daher wesentlich von der Dauer der verfügbaren Freizeit bestimmt. Jeder geschichtlichen Epoche sind überdies arteigene Freizeitmöglichkeiten geradezu eingeboren, die etwa abhängig sind vom Rhythmus der jeweiligen Zeit und von ihrem Lebensstil.

Innerhalb der Freizeitkulte nehmen heute einzelne einen repräsentativen Rang ein: die Partys als Gesellungsform, der Jazz als ein neuartiger Bezug der Massen zur Musik und der Schlager (Lied- wie Wortschlager) als Versuch einer Aussage von tatsächlichen oder vermeintlichen Stimmungen, wenn nicht als gesungene Moritat.

Der Christ hat ein Recht auf Nutzung der sich ihm darbietenden Freizeitchancen, und der junge Christ darf davon ausgehen, daß er in der Freizeit einen jugendgemäßen Stil pflegen kann, der sich keineswegs lediglich als eine Vorstufe zum Stil der Erwachsenen ausweisen, sondern jugendkonform sein soll.

Partys, Schlager und die Musik des Jazz sind je für sich und in Kombination moralisch neutral. Ihre moralische Beurteilung muß daher von der Art ausgehen, wie sie sich real darbieten. Auch ein künstlerisch schlechter Schlager ist moralisch neutral, wenn er nicht das Sittengesetz verletzt. Man darf nicht aus einer ästhetischen Dis-qualifizierung eine ethische machen, wie das bisweilen beim Film geschieht — kann doch ein schlecht gespielter Film moralisch durchaus einwandfrei sein.

Die offene Gruppe

Die Partys der jungen Menschen - eine moderne Form der Kon-taktnahme (bei den Älteren spricht man auch von „Empfang“ oder „Sitzung“) — sind ein Ausdruck dafür, daß die Jungen heute weithin die offene Gruppe vorziehen, die ungebundene Geselligkeit. Die auch wieder bereits disziplinierten (organisierten) typischen Verhaltensweisen auf den Partys sind ein Ausweis für den Willen der Jungen, sich alten Konventionen zu verschließen und direkten Kontakt ohne einleitende Formeln zu suchen. Die Party selbst ist so gut und so schlecht, wie es die Menschen sind, die sie durch ihre Teilnahme gestalten, wenn auch nicht verschwiegen werden darf, daß der Mensch in der Gruppe oft zu Handlungen fähig ist, die er, isoliert, kaum in Erwägung ziehen würde.

Gleiches gilt auch für J a z z, der in einem hinterwäldlerischen Sinn abwertend als „Negermusik“ bezeichnet wird, weil er im Ursprung von Negern in New Orleans dargeboten wurde, so als ob die Hautfarbe der Interpreten wie der Schöpfer einer Musik ihre Qualität zu bestimmen vermöchte. Wir dürfen jedenfalls nicht übersehen, daß die Musik des Jazz, der ihr eingeordnete Rhythmus, aber auch die Gesten der Musiker — das musikalische Theater - Ausdruck des Maschinenzeitalters sind und Rhythmen wiedergeben, die zu den Bedingungen unseres Lebens geworden sind. Auch die scheinbare oder bewußte Disharmonie und ebenso die den Zuhörern aufgegebenen, oft grotesken Bewegungsspiele gehören irgendwie zum Wesen des Jazz, dessen Entartung nicht dieser selbst ist.

Der Schlager - ob Text- oder Musikschlager oder beides - ist dagegen gleichsam „stenographische“ Aussage, entweder gesellschaftskritisch, politisch, moralisch (oder auch amoralisch), weniger freilich Aussage derer, die ihn geschaffen haben, als jener, die ihn schließlich, und nur für kurze Zeit, angenommen und zu seiner Breitenwirkung geführt haben.

Die kommerzialisierte Freizeit

Die Konsumenten sind in der Freizeitwelt - die eine Welt geworden ist - nicht unter sich aktiv gestaltend tätig. „Man“ unterhält sich meist nicht, sondern wird unterhalten. Von außen; man musiziert nicht, sondern wird wie eine Platte „bespielt“, ist Objekt von Medizinmännern der Freizeitkulte. Die Kaufkraft, die auch dem jungen Menschen heute oft in einem beachtlichen Umfang verfügbar gemacht wurde, gestattet es ihm jedenfalls, auf eine Eigenproduktion in der Freizeit ganz oder überwiegend zu verzichten und sich die Freizeit von professionellen Kultdienern gegen Honorar gestalten zu lassen; es kommt zu „Freizeitfütterung“. Aus der Kombination von gestiegener Freizeit und relativ gewachsener Kaufkraft ist ein kommerzialisierter Freizeitmarkt entstanden mit einer wohlorgawsierlejvtyfrsge von, Anbietern def Fzeityiensfleistungen'J und mit einer nachfragegeneigten Masse.

Abnahmezwang

Je mehr jener Teil des Einkommens im Verhältnis steigt, den die Menschen noch übrig haben, wenn sie den Bedarf gedeckt haben, der traditionell als Existenzbedarf angesehen wird, um so schwächer werden sie gegenüber den Anboten der Freizeitindustrie. Kein Wunder, daß es daher möglich geworden ist, die auf dem Freizeitfeld befindliche Menge mehr denn je zum Gegenstand kaufmännischer Manipulationen zu machen. Der Mensch — vor allem der junge Mensch — wird auch in der Situation des Freizeithabens auf die Gewinndispositionen von einzelnen Unternehmern hin adaptiert. Auf diese Weise kommt es aber zu einer ungeheuerlichen Bedrohung unserer Konsumfreiheit. Die Konsummeinung des Menschen wird nach kommerziellen Gesichtspunkten in Disziplin genommen. Güter werden dem Menschen einfach vorgesetzt. Es besteht Abnahmezwang. Nicht selten nehmen Veranstaltungen den Charakter einer „Kinderjause“ an mit einer Rundumfütterung, die willig, ja beifällig akzeptiert wird. Wurde die Jugend ehedem in einem weiten Umfang im Rahmen der Großfamilie an die Gesellschaft herangeführt, wird versucht, sie heute gegen Entgelt unmittelbar jenseits der Familie mit den

Konsumweisen der Erwachsenen vertraut zu machen, ohne Übergang.

Gefahren

Wo ein Widerspruch gegen Partys, Jazz und Schlager vorhanden ist — vom Standpunkt des Erziehers au3 —, richtet er sich überwiegend nicht gegen die genannten Darstellungsweisen von Freizeitkulten selbst, sondern gegen ihre Perversion; dagegen, daß etwa Partys zum Ort von Alkoholexzessen werden, zum Darbietungsort von Unzucht und von Wortobszönitäten, daß sie nur zu mechanischen Konsumkontakten führen, ohne menschliche Beziehung; daß der Jazz, als eine prägnante Satz- und Klangtechnik, den Rang einer Pseudo-religion einnimmt und zur Lebensform des „Westens“ wird. Man kann es nicht willig hinnehmen, daß der Jazz eine lebensgestaltende Faszination erreicht, wie etwa seinerzeit — ein Beispiel — der Film mit Marlon Brando („The wild one“), mit dem eine Absatzkrise des Ledermarktes und des Handels mit kleinkalibrigen Waffen vermieden werden konnte. Wird die Masse, vor allem der jungen Menschen, in einem Zustand kaufgeneigter Faszination gehalten, kann man wohl als Erzieher feststellen: Der Jazz — etwa die Jazzplatten — hat keinen Selbstwert, es kommt der Beziehung zu ihm nicht die Qualität einer zweiten Religiosität zu. Das Irrationale im Jazz ist offenkundig Ausdruck eines geheimen Bekenntnisses, des uneinge-standenen Bemühens, auch in der Muße konform den Rhythmen unserer Zeit zu leben, aber es ist auch zu einem guten Teil gemacht, organisiert. Eine Schlagerparade ist jedenfalls meist ein Jahrmarkt manipulierter Gefühle. Der Exzeß bei manchem Rummel, in dessen sich steigerndem Ablauf Jazz und Schlager kooperieren, ist kaum jemals echt. Die losgelassenen Gefühle kommen nicht aus dem Herzen und sind nicht Ausweis von Gemüt, sondern wurden zuerst durch die Werbuni; gestaut. Werbeinjektionen führen zu einer Art von Gefühlsverschluß, dem dann eine kommandierte, wenn möglich photogene Entladung entspricht, die sich im Verlauf gegen Musiker wie gegen hinderliches Mobiliar richtet und jeden Zusammenhang mit dem Ursprung der Veranstaltung, verliert.

An Pädagogen und Kirche

Der Widerspruch des Pädagogen richtet sich nicht — wie das immer wieder behauptet wird — gegen die Freizeitkulte an sich, sondern gegen die Erhebung des Konsums in der Situation der Freizeit zu einem Rang, der ihm nicht zukommt, gegen eine Normierung des Verhaltens der jungen Menschen, die nicht vom Sittengesetz, sondern lediglich vom Profitdenken der anbietenden Freizeitmächte bestimmt ist, die davon ausgehen, daß gut ist, was sich gut verkauft.

Dem vielfältigen und ungemein attraktiven Anbot an Freizeitgütern, das die Freizeitindustriellen in ihre Auslagen gestellt haben; kann aber nicht mit einem Katalog von Verboten begegnet werden. Der junge Mensch will nicht allein wissen, was er nicht tun soll, sondern w a s er zu tun hat. Das aber verweist uns unter anderem auf die Notwendigkeit, positive Konsumleitbilder zu schaffen, die neben dem Tingeltangel bestehen und anziehend wirken können, Verhaltensweisen, in deren Bereich Partys, Jazz und Schlager durchaus ihren Standort haben können, aber nicht die Einflußmacht einer Talmireligion gewinnen, sondern auf ihre Position als Güter niederen Ranges verwiesen werden.

Anderseits bedarf es aber auch von der Kirche her einer Heimholung nicht allein der Menschen in der Welt der Arbeit, sondern auch der Freizeit und ihrer Kulte, die nun einmal Umwelt sind, unter deren bestimmendem Einfluß der Mensch sein Christentum bezeugen muß. Christliches Weltverhalten und Weltverständnis haben einen unübersehbaren Tiefgang (Schmaus) und damit die Chance, auch die sich dem Christlichen scheinbar verschließende Welt der Freizeitkulte zu beherrschen.

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