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Paul Claudel zum 85. Geburtstag

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Das Werk der vier Gewaltigen: Bloy, Peguy, Claudel und Bernanos, ist seltsam Hei in die Wirren und Fragwürdigkeilen ihrer Zeit eingesenkt. Peguy hat sich mit Leib und Seele in das politische Tagesgewühl geworlen, und nur ganz zu Ende, schon in der Vorahnung das Todes, wirit er fieberhaft die paar dichterischen Werke hin, die überleben. Bernanos begann umgekehrt, aui den Höhen der Dichtung, um sich, voll Ungeduld über die Torheit der Zeit, von oben herabzüwerien in den Lärm der Zeitungen und Vortragsreisen. Bloy rieb sich wund an seiner kleineren und größeren Umwelt und verströmte das Blut seiner Feder in seinen endlosen Tagebüchern. Allen dreien war der Zustand der Welt, in der sie lebten, unerträglich; sie warten sich mit ihrem menschlichen Leben unter die Räder der Zeit, um das Rollen zum Abgrund aulzuhalten; sie wurden dadurch zu einer Art von geistigen Blutzeugen, ihr Leben ist untrennbar von ihrem Werk und gibt ihm den vollen Ernst, den die Welt auch nicht überhören konnte. Auch sind sie alle drei bitterlich arm gewesen und haben diese Armut geliebt und beinahe vergöttert als eine franziskanische Braut und ein Unterpfand der Echtheit ihres christlichen Weges.

Deshalb steht Paul Claudel ihrer Gruppe lern und vereinzelt gegenüber. Sie haben keine Beziehung zu ihm. Er stammt aus der Welt und lebt in der Welt, die ihnen verschlossen ist Und die heinahe das Zeichen des Antichrist an der Sttrne trägt: das Zeichen des Geldes. Bernanos hat sich zum Sprecher der drei gemacht; es geht diesem Leidenschaftlichen wie immer: Was er einst glutvoll geliebt, was ihn einmal im tiefsten enttäuscht hat, das verfolgt er jetzt mit einer nicht endenwollenden, oft genug ungerechten Haßliebe. „Ich habe mir keine komfortable Existenz eingerichtet, wie zum Beispiel Herr Paul Claudel...! ,Wie denn, so wendet man mir ein, Ihr möchtet, daß Paul Claudel der Mann seiner Bücher wäre. Seid Ihr der Mann der Euren? Seid Ihr der Landplarrer, oder Donissan, oder Chantal?' Ich bin nicht der Mann meiner Bücher, aber wenigstens lüge ich meine Bücher nicht an, mein Lehen lügt meine Bücher nicht an, mein Leben sagt nichts, es schweigt. Es strickt in seiner Ecke, stößt mit dem Fuß das schwankende Scheit ins Feuer zurück, überwacht den häuslichen Suppentopf, gibt s/ch Mühe, nicht vor dem Abend zu weinen, wenn jedermann zu Bett gegangen ist. Was ich nicht dulden kann, ist, daß das Leben Paul Claudels sich inmitten seines strengen und herben V/erkes, das etwas vom romanisdien Kreuzgang, vom jüdischen Tempel und vom babylonischen Palast an sich hat, umherwandelt, betreßt bis zum Bauch, mit Medaillen übersät wie die Fahne einer Liedertafel, die Hosentaschen voller Aktien, Obligationen und Anteilscheine.“

Bittere Worte des Mannes, der sich nie von dem herrlichen Brief getrennt hat, den Claudel ihm anläßlich seines ersten Romans schrieb, und der auch nur solche öffentlich angriff, deren Fehlleistungen ihm um der christlichen Wahrheit willen eine öffentliche Richtigstellung zu fordern schienen.

Claudel ist nicht daraul angewiesen, auch noch eine neue Medaille des Lobes zu erhalten. Seine diesbezügliche Sammlung hat eine Art von enttäuschender Vollständigkeit, an der er nicht schuld ist. Sagen wir etwas anderes; nämlich welchen Dienst ihm der verweisende Finger jener Dreiergruppe erwiesen hat. Seither ist es in Poris Mode geworden, über Claudels Vermögen, seine Stellung, seine Prunkliebe und seine Ueberzeugtheit von sich selbst zu spotten. Wir wollen nicht untersuchen. Inwieweit die Kanaille recht hat; es wird wie immer sein: sie erspäht eine schwache Stelle und schlachtet sie aus, und die Lacher vergessen bloß, wer der Ist, der ihnen Anlaß zui Heiterkeil ist — oder vielmehr: daß er ein Großer ist, vermehrt ihr Vergnügen. Der Dienst, der Claudel erwiesen wurde, ist, daß er, der von aller Welt Geehrte, ernsthaft in den christlichen Widerspruch geriet. Er, der in seiner Jugend so hart um Erfolg ringen mußte, dem Jahrzehnte lang die Türen verschlossen blieben, er muß heute in seinem höchsten Alter, da die ganze, überreiche Ernte seines Lebens vor seinen Füßen liegt, sich diese Dinge sagen lassen. Ungerechte vielleicht, aber dennoch schmerzliche, weil sie ein Innerstes seines Daseins treffen, Werk und Leben auseinanderspalten wollen.

Und plötzlich sieht er sich von seinen Genius-Brüdern verlassen, und allein zuhinterst stehn — alle andern sind ihm ins Paradies vorausgegangen, und er ist, wie ein Vergessener, immer hoch da, ein Ahasver, der seine Zeit überlebt hat. Er sieht sich zuhinterst stehn-, wie der Reiche in Hofmannsthals Großem Welttheater, während die Armen itn Licht verschwanden, noch immer im Halbdunkel, ungewiß, betrachtet nicht bloß mit irdischen Gütern, die schwer durch das Nadelöhr gehen, sondern mit den 25 schweren Bänden seiner im Erscheinen begrilienen Gesamtausgabe, mit der barocken Pracht und Fülle seines Geistes, mit seiner Liebe zur Schöpfung, mit der ganzen Welt zuletzt, die er unersättlich in seine Augen Und Arme schloß. Der Reiche aui dem letzten Platz. Der ihm zukommt, auf den die Armen ihn verwiesen haben. Der Reiche in der Schande, während die Armen lür sich die Ehre des Evangeliums in Anspruch genommen haben, hin wenig allzu triumphal in der wörtlichen Auslegung der Parabel vom Nadelöhr. Und deshalb ein wenig in Gefahr, in die Nähe der Pharisäer zu rücken. Richtet nicht! Urteilt über niemand, nicht einmal über diesen Reichen dahinten, den ihr bloßstellt und der vermutlich eben deshalb gerechttertigt nach Hause gehen wird.

Um so mehr, als er niemals aufgehört hat, sicli selbst aui diesem letzten Platz zu wissen. Von Werk zu Werk hat sich der Ton einer Helen Bitterkeit weilervererbt: der Bitterkeit, mit der Claudel die Demütigung seines eigenen Daseins ertrug. Immer hat er genau gewußt, wer er ist; am Bekenntnis seiner Sünde hat es nie gefehlt, an erbarmungslosen Selbstverurteilungen in allen möglichen dichter iseHeh Masken und Verwandlungen. Oft so sehr, daß die lautere Quelle der christlichen Freude und Hoffnung darunter getrübt schien. Nein, die Demütigung von außen hat ihn nicht unvorbereitet gefunden: sie war vielleicht insofern eine Gnade, als sie die innere Wunde wieder aufriß, die ob des Olympierdaseins im Alter zu verwachsen drohte. Claudels Werk schreitet tiefer im Schatten der Schuld als das der drei andern. Claudel ist der Mensch, der sich, an allen Gliedern blutend, aus den Armen der Sünde losreißt, der als ein neuer Job mit Gott und seinen schweren Gesetzen rechnet und dann doch immer dem Uebergewicht der Gnade erliegt, ein zitterndes Wild in der Falle Gottes. Und wir wissen, wie er über sein Gefängnis, das ihm die wahre Freiheit ist, jubeln kann. Er hat wie keiner vor ihm den Trotz des Mannes und die Bitterkeil des Sünders in das große M a g n i f i k a t der Erlösung miteingeschlossen. Er brauchte sich von niemand auf den Platz verweisen zu lassen. Er kannte seinen angestammten Ort.

Anders als das Werk der andern ist das seine in die Zeit eingesenkt. Der Dichter hat sehr früh seine eigene Sprache getunden, die sich später kaum weiterentwickelt hat. Die Anschauungsiormen des Symbolismus der Jahrhundertwende haben sein Werk entscheidend geprägt. Mochte dieser Symbolismus noch so sehr um die Dimensionen der christlichen, patristischen Symbolik und Allegorik bereichert worden sein, gewisse allesbeherrschende Schemata blieben jener Kunstepoche verhaftet. Die einmalige, gewaltige Wucht des Claudeischen Wortes, das ihn rein dichterisch unbestreitbar zum größten Schöpier unter den genannten vier macht, ist nie völlig aus der Vergänglichkeil des Zeitstils zu lösen. Aber vielleicht kann kein Dichter die ganze Vergänglichkeit seiner Zeit ins Ewige heben. Wir nehmen bei den Größten diesen Anteil von Zeitstaub, von abgestorbener Rinde auf uns, wenn wir uns vom lebendigen Marke nähren. Und wir sind dem Dichter dankbar für den bittern Nektar, den er uns aus vergänglicher Schale zu Irinken gibt; er, den die Barmherzigkeit des richtenden Gottes und der Undank der Menschen so demütigt, daß er mitten unter uns unser Bruder bleibt.

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