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Paulus im Lande der Marxisten

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Von Herrenchiemsee, wo im vergangenen Jahr der letzte große Kongreß der Paulus-Gesellschaft im Dialog von Christentum und Marxismus stattfand, bis nach Mariehbad sind es kaum mehr als 200 Kilometer. Dennoch hat die Paulus-Gesellschaft mit ihrem Entschluß, den diesjährigen Kongreß erstmals auf dem Boden eines kommunistisch geführten Landes durchzuführen, „nioht nur eine Grenze, sondern eine Schwelle überschritten“, wie es Roger Gamudy, der prominente französische Marxist, Professor für Philosophie und Mitglied des Zentralkomitees der französischen KP, im Schlußwort des Symposions ausdrückte. Der Dialog, den die Paulus-Gesellschaft seit nunmehr einigen Jahren mit dem Marxismus — zuerst mit einzelnen prominenten Marxisten wie Ernst Bloch und Adam Schaff, dann auf einem größeren Forum — in die Wege geleitet hat, hat eine neue Phase erreicht. „Es geht nicht mehr um den Dialog der Cro-Magnon-Zeit, wo man die eigene Theorie mit der Realität der anderen verglich und so zur Aufteilung der Menschheit in die ,Kinder des Dichtes' und die ,Kinder der Finsternis' kam. Es geht auch nicht mehr um den .Dialog der schönen Seelen', wo man sich auf der Ebene der Abstraktionen und Ideen arrangiert, ohne den Realitäten ins Auge zu 'sehen. Es geht vielmehr um den authentischen Dialog, in dem ohne Skepsis und ohne Illusionen die Grenzen zwischen beiden Doktrinen gezogen werden, nicht um einander zu bekämpfen, sondern um voneinander zu lernen.“ Dieselben Ziele eines Dialogs von Christen und Marxisten hatte auch Dr. Kellner, Initiator und Geschäftsführer der Gesellschaft, in seinen* Eröffnungsrede konkretisiert: „Wir haben unsere geistigen Gegensätze und Konflikte keineswegs einzuebnen in die Gleichförmigkeit und Geschlossenheit eines einzigen ideologischen Systems ... Alles kommt darauf an, daß wir die einander widersprechenden philosophischen, ideologiischen, soziologischen oder auch theologischen Systeme überprüfen ain der Welt der Realität.“

Solche hochgesteckten Ziele konnten nicht immer ganz erreicht werden. Was in Marienbad, dessen Tagungsthema mit „Schöpfertum und Freiheit in einer humanen Gesellschaft“ umschrieben wurde, dominierte, war auf weite Strecken die erste echte Konfrontation mit der politischen Realität des Marxismus. Auf den bisherigen Tagungen war es relativ einfach, diese Realität auszuklammern und sich auf die Höhe begrifflicher Abstraktion zurückzuziehen. Diesmal klang der politische Akzent schon bei der Eröffnung an,als Dr. Kellner den Teilnehmern mitteilte, daß weder die Moskauer Akademie der Wissenschaften noch diie russisch-orthodoxe Kirche Vertreter entsandt hätten, daß anderseits auch Spanien dem Generalsekretair der dortigen Paulus-Gesellschaft dm letzten Augenblick die Ausreise verweigert hätte.

„Noch nie haben wir so offen miteinander geredet. Jeden Tag drohte der offene Konflikt. Die Spannungen halben uns fast aiusednandergerissen“, resümierte Dr. Kellner, nachdem der Kongreß alle diese Zerreißproben glücklich überstanden hatte.

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