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PEER GYNT - VON UNS GESEHEN

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„Peer Gynt“ als Drama der Weltliteratur braucht keinen Nationalitätsstempel, um sich auf den Bühnen der Fremdländer zu behaupten, und einer Ibsen-Aufführung soll durch eine norwegische Brüle kein Reifezeugnis aufprojiziert werden. Haben doch die Engländer vor zehn Jahren mit einer Gastspielaufführung von „Hedda Gabler“ mit Peggy Ashcroft in der Titelrolle, mit ihrer leichten nervösen Replikführung, so viel Bedeutungsschwere und Staub vom Gerüst der Ibsen- Sätze abgetragen, daß unsere norwegischen Darsteller nachher von ihren rhetorischen Kothurnen heruntergefallen sind. So ist auch „Peer Gynt“ vom Sog der gegenwärtigen Theaterstile mitreißbar, langsamer aber, weil so vieles nationales Ja-und-Nein-Gut daran haftet. Das dramatische Epos („Episches Gedicht“, wie es sich nennt), 1867 geschrieben, erschien nicht nur mitten in unserem nationalen Freiheitskampf, sondern auch in der Verdichtungsepoche unseres Volksbewußt-

seins. Peer Gynt wurde fast ein Symbol des romantischen Nationalheldens, phantasiereich, charmebegabt, ein Mann, der konnte, was er wollte — wenn er wollte. Bestätigt wurde dieser Eindruck durch die, fast in Protest geschriebene, romantische Musik Griegs. Heute, nachdem sich die Prozesse unseres nationalen „Sich-selbst-Findems“ amalgiert haben, suchen wir auch andere Eigenschaften in Peer. Wir sehen die Schwächen, die ihn bei der Verwirklichung seines Menschenlebens verhindert haben, und empfinden sie als Warnung an Menschen unserer Wesensart. Neu ist das Ja nicht mehr. Werner Egk hat schon vor dem Krieg in seiner „Peer-Gynt“- Oper den sozialen und menschlichen Angriff viel moderner gestaltet, als dies in einer von Grieg-Musik begleiteten Aufführung’ möglich ist. Ihgmar Bergman hat in einer viel- b4sp "!|uijEührun m ;

Die. norwegische Manifestation einer neuen Auffassüngs- möglichkeit geschah vor 15 Jahren durch den Theatermann Hans Jacob Nilsen, selbst Regisseur und Titeldarsteller, und eine neue, vom Volkston kommende Musik von Harald Säverud. Er bezeichnete selbst seine Auffassung als die „antiromantische“. Peer Gynt wird hier als ein von Erniedrigung zu Erniedrigung gefallener, durch seine Halbtaten immer mehr in Auflösung geratener Mensch — wie so viele von uns — geschildert. Peer übersieht seine Chance, weil er sich von seinen Selbstbehauptungsträumen des „Sich-

selbst-Genugseins“ mitreißen läßt und, durch das Unterliegen unter jede Versuchung des Negativen, seine Instinkte, das was Ibsen das „Ahnende“ nennt, verliert. Seine Ziele sind wie auf den Kopf gestellte Fata-Morgana-Bilder, die auf dem Boden jede Luft und Farbe verlieren. Und mit unserer etwas rationalistischen Einstellung von heute glauben wir nicht, daß Peer gerettet werden kann oder soll. Mit Anatole France nehmen wir es wahr, daß nicht die eine Tat ein Leben aufrichten kann, sondern nur mehrere.

Gewisse nationale Kriterien bleiben in der Schilderung der Personen und des Milieus haften. Peer hat die Eigenschaft mit unseren naturgebundenen Märchenerzählern gemeinsam (und die Norweger sind sicher neben den Iren das am meisten naturgebundene Hochkulturvolk), daß er sich von seiner Phantasie mitreißen läßt. Seine Gesichter und Erlebnisse gehen mit ihm durch, seine Lügen sind nicht bewußt und berechnend. Nur der Wirklichkeit materieller Vorteile gegenübergestellt, fällt er aus seiner Fata Morgana in den krassesten Bodenegoismus. Als Geschäftsmann ist er ein entwurzelter Enstgenerationler. Und eigentlich hilflos, weil er die Spielregel der anderen nicht kennt. So wie er es in seiner Ausgangsposition bäuerlichen Ursprungs auch ist. Er ist anders, aber doch einer von diesen Naturmenschen. Deshalb können wir nur dann auf unsere Trolle in der Halle des Dovrealten verzichten, wenn sie durch etwas Seßhaftes, Träges ersetzt werden, etwa durch Karrikierung der Großbauern (die Ibsen gehaßt hat) oder durch Haustiere — beide einer gebändigten Naturverbundenheit entsprungen. Dasselbe gilt für die Grüngekleidete, die die Geschlechtlichkeit vertritt, und nicht eine kabaretti- stisch-mannequinhafte Versuchung der berechnenden Kälte ist. Alle diese Kräfte, die drei Säterinnen, aber auch Anitra, sind für uns erniedrigte Natur, und nicht entwurzelte Zivilisation. Sie zeigen Peers Mißverständnis, und sind immerhin so romantisch dargestellt von seiten Ibsens, daß wir sie ungern abstrakt, aber mit Begeisterung surreal sehen wollen.

Und hier, glaube ich, sind wir beim Zentralen in einer norwegischen Neuauffassung von Peer Gynt angelangt: Peer Gynt verliert seine Naturverbundenheit, in sich und um sich, und nach einer ziemlich lächerlichen Gastrolle im Reich der Geschäftserfolge, sucht er dahin zurück zu gelangen, wo sich seine Wurzeln befanden. Wie ein Tier sucht er den Ort auf, wo er seine Gebeine niederlegen kann.

Es gibt natürlich in unserer Zeit Versuche, das Gedankengut in „Peer Gynt“, besonders im fünften Akt, als Ausgangspunkt einer „Aussagedarstellung“ zu verwenden. Man hat Peer Gynt den nordischen Faust genannt. Ihsen war ja auch mit dem größten Denker seiner Zeit, Sören Kierkegaard, in Verbindung und stand somit auf der Schwelle zu unserer Zeit. Es fehlt Ibsen aber die gedankliche Subtüität des großen Dänen, er bleibt immer in einem gewissen milieubedingten Provinzialismus haften. Georg Brandes, der führende nordische Theatertheoretiker des 19. Jahrhunderts, und selbst der erste Vorkämpfer Ibsens, schrieb an seine Mutter:

„Ibsen ist ein Dichter von Weltgeltung, er hat aber nicht vnfo ai bau ejsttaßrauh nofnisa ßkntg niüolrbijtcn r Jitasmotisq?

Henrik Ibsen hat aber die Erfanrung von der Asozialität eines dichtenden Menschen mit einem phantastischen Innenleben jenseits von Gut und Böse. In keinem anderen Werk hat er uns soviel davon erzählt wie in „Peer Gynt, Und diese Mitteilung kommt meiner Meinung nach nie ganz heraus, so lange man Peer Gynt als Helden, Schuft oder Normalmenschen auf die Bühne bringt. Man muß in einem Schauspiel wie „Peer Gynt“ immer viel streichen. Man könnte die Striche so setzen, daß eine staunenswerte Vorstellung entstehen würde.

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