Als meine Eltern mir gesagt haben, dass sie sich scheiden lassen, habe ich das am Anfang nicht schlimm gefunden. Ich war acht Jahre alt und habe nicht verstanden, was das heißt. Erst als Papa wirklich ausgezogen ist, ist es mir bewusst geworden. Mama hat das Sorgerecht bekommen, aber die Besuche waren klar geregelt. Jedes zweite Wochenende war Papa-Zeit. Er ist dann bald nach Wien gezogen, Mama, mein Bruder und ich haben weiter in Graz gewohnt. Trotzdem haben wir ihn jedes zweite Wochenende gesehen. Manchmal ist er nur für einen Tag gekommen, manchmal hat er im Hotel geschlafen. In die Wohnung wollte er gar nicht mehr. Sogar, wenn er uns nur zur Tür gebracht hat, haben meine Eltern gestritten.
Ich habe in dieser Zeit sehr viel geweint. Einmal bin ich in der Schule mitten während der Religionsstunde in Tränen ausgebrochen. Das war mir furchtbar unangenehm, es wusste ja niemand, was los war. Meine Oma hat mich für eine Kindergruppe beim Verein "Rainbows“ angemeldet. Dort habe ich einmal in der Woche andere Kinder getroffen, deren Eltern auch getrennt waren. Wir haben gespielt, und wer wollte, konnte erzählen, was ihn bedrückt. Oft bin ich nur zum Spielen hingegangen, aber manchmal habe ich mir Sorgen von der Seele geredet. Dass Papa nicht mehr bei uns lebt, ist schnell normal geworden für mich. Was mich wirklich traurig gemacht hat, war das Gefühl, dass alles über mich hinweg entschieden wurde. "Nur weil ihr euch nicht mehr versteht, müsst ihr mir nicht die Familie kaputt machen“, habe ich mir gedacht. In der Volksschule habe ich dann eine Freundin gefunden, die auch ein Scheidungskind war. Mit der konnte ich gut darüber reden, was mich bedrückt.
Die fixen Regeln tun gut: Jedes zweite Wochenende ist Papa-Zeit
Als mein Bruder und ich älter waren, sind wir an den Wochenenden zu Papa nach Wien gefahren. Jeden zweiten Freitag nach der Schule sind wir in den Zug gestiegen, er hat uns vom Bahnhof abgeholt. Die Wochenenden waren immer schön, wir sind verwöhnt worden, haben tolle Sachen unternommen und Süßigkeiten bekommen. Aber es war stressig, immer wieder aus dem Alltag rausgerissen zu werden. Ich weiß nicht, wie viele Geburtstagsfeste bei Freunden ich verpasst habe, weil ich immer nach Wien musste. Als ich vierzehn war, haben meine Eltern mir gesagt, ich bin jetzt alt genug, um selber zu entscheiden, ob und wie oft ich nach Wien fahre. Das hat mich überfordert, ich habe nicht gewusst, was ich tun soll. Ich wollte, dass einfach alles so bleibt, wie es ist - nicht schon wieder Veränderung! Deshalb bin ich weiter jedes zweite Wochenende nach Wien gefahren.
Als meine Mutter angefangen hat, neue Freunde nach Hause zu bringen, war ich nicht mehr traurig, sondern wütend. "Du bist unsere Mama, du sollst für uns da sein und nicht nur an dich denken“, habe ich ihr vorgeworfen. Ich glaube, ich war damals sehr schwierig. Heute tut mir das leid. Überhaupt hat sich viel geändert. Auch mein Papa hat eine neue Frau und sogar noch ein Kind. Am Anfang war ich gar nicht begeistert, aber jetzt freue ich mich, dass ich eine Stiefmama und eine Halbschwester habe. Warum meine Eltern sich getrennt haben, weiß ich bis heute nicht. Ich habe auch nie nachgefragt - ändern kann ich’s sowieso nicht. Meinen Kindern später einmal möchte ich so eine Situation auf keinen Fall zumuten. Ob sich’s wirklich verhindern lässt, weiß ich nicht. Denn Beziehungen, glaube ich, halten einfach nicht für die Ewigkeit. (dol)
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